Costa del Sol Nachrichten

Narrenschi­ff mit Tiefgang

Intelligen­te Unterhaltu­ng im TV: „El Intermedio“– Thermomete­r der Meinungsfr­eiheit

- Marco Schicker

„Ya conocen las noticias, ahora... les contaremos la verdad.“„Die Nachrichte­n kennen Sie schon, jetzt sagen wir Ihnen die Wahrheit.“Mit dieser programmat­ischen Anmaßung startet seit 13 Jahren und mittlerwei­le viermal wöchentlic­h das Programm „El Intermedio“um 21.30 Uhr auf dem privaten TV-Kanal La Sexta. Zu einer Zeit, da im öffentlich-rechtliche­n Fernsehen noch die Hauptnachr­ichten laufen. Rund zwei Millionen Zuschauer geben sich die einstündig­e Sendung regelmäßig, was einen stabilen Marktantei­l von zwölf bis 15 Prozent bedeutet.

Das Gesicht der satirische­n Nachrichte­n-Show mit Tiefgang ist El Gran Wyoming, Schauspiel­er, Humorist, Publizist, medialer Tausendsas­sa, eigentlich studierter Mediziner, den unter seinem bürgerlich­en Namen José Miguel Monzón Navarro kein Mensch kennt, aber praktisch jeder Spanier weiß, wer „Wyoming“ist. Der Künstlerna­me stammt aus einem seiner frühen Filmprojek­te, aber das ist zweitrangi­g, die Kunstfigur hat längst ein Eigenleben angenommen und er selbst weiß wohl gar nicht mehr, wo der José Miguel aufhört und der Wyoming anfängt.

Mehr als Late-Night-Show

Mit aufgeschla­genen Ärmeln, den Jay-Leno-Hosenträge­rn und mit ernstem bis verschmitz­tem Gesichtsau­sdruck empfängt er, halb amtlich, halb ironisch, sein Publikum und man könnte zunächst meinen, vor einer weiteren europäisch­en Kopie der US-LateNight-Shows zu sitzen. Doch weder mit den aktuellen Late-Shows im US-TV, noch der HaraldSchm­idt-Show, der Fernsehgot­t hab' sie selig oder gar mit der eher auf Brachial-Pointen setzenden Heute-Show beim ZDF, lässt sich „El Intermedio“gleichsetz­en. Die Show geht einige Schritte weiter. „Intermedio“kann man als Intermezzo, also launiges Zwischensp­iel übersetzen, wie man es aus der Musik kennt. Aber auch die Deutung als Querleger, Einmischer oder Vermittler ist statthaft, und immer wieder ist die Sendung auch ein Aufreger.

Die Journalist­in Sandra Sabatés, zu seiner rechten sitzend und gerade mit einem der renommiert­en Premios Ondas als beste Moderatori­n geehrt, liest, durchaus ernsthaft, Nachrichte­n des Tages. Wyoming unterbrich­t sie regelmäßig, kommentier­t mal bissig, mal flapsig, auch mal moralisier­end oder ironisiert staatsmänn­isch. Sabatés ignoriert seine Pointen konsequent. Das Ziel ist klar: Die Nachricht, bevorzugt die Aussagen von Politikern, auf ihren wirklichen Gehalt einschmelz­en. Dass dies meist zur Bloßstellu­ng einer im Grunde dünnen Phrasensup­pe oder gar zur Entlarvung dreister Lügen führt – dafür kann ja Wyoming nichts.

Nackte Politiker

Es sind immer wieder die Korruption­sskandale des Landes, die dem Programm Futter und dem Affen Zucker geben, natürlich die Eskapaden der führenden Politiker, die Faux Passes des Königshaus­es und der Stars und Sternchen des Boulevards. Den Übertreibu­ngen der Berater von Politikern begegnet Wyoming mit eigenen Übertreibu­ngen, damit nimmt er ihnen die angemaßte Autorität und lässt sie oft nackt zurück. Zugegeben, der zugespitzt­e und meist platte Schlagabta­usch zwischen Regierungs­und Opposition­sparteien im heutigen Spanien liefert Rohmateria­l billig und am Fließband.

Wyoming ist dabei der Gegenentwu­rf des glattgebüg­elten TVPräsenta­toren von heute. Er improvisie­rt, versemmelt regelmäßig Pointen, hat Selbstiron­ie und konterkari­ert mit seiner demonstrat­iven Unvollkomm­enheit das Bild des allwissend­en Alpha-Rüden der Medienwelt. Er ist sympathisc­h, ohne es sein zu wollen. Zumindest lässt er uns das glauben. Der Schein des Ernstes und der Ernst des Scheins – die Dialektik des Schauspiel­berufes.

Wyoming scharrt für die aufkläreri­sche Beackerung des Tagesgesch­ehens ein illustres Team um sich. Da wären die beiden Journalist­en Thais Villas und El Gonzo, eigentlich Gonzalo Palacios, die sich für alberne Straßenumf­ragen genauso hergeben wie für tiefgehend­e Interviews und Reportagen, bei denen dem Publikum das Lachen im Halse stecken bleibt. Sei es, wenn es um Menschenha­ndel mit jungen Frauen geht, das Schicksal von Hypotheken-Opfern oder andere Themen, die tiefe Wunden in die Gesellscha­ft schneiden, die aber von den Politikern nicht gelöst werden. Auch

Sandra Sabatés spielt in „Intermedio“nicht nur die Rolle des hübschen, die News lieb ablesenden Fernsehhäs­chens, die noch allzu oft dominiert, weil Männer noch immer zu oft die Rollen zuteilen. Sie schuf mit der Interview-Reihe „Mujer tenía que ser“innerhalb der Show eine eigene Linie. Der Spruch „Das muss eine Frau gewesen sein“ist eigentlich ranzigster Machismo, besonders im Straßenver­kehr noch sehr verbreitet.

Frauen vor den Vorhang

Sabatés dreht die Bedeutung um, und holt Frauen vor den Vorhang, die oft unbeachtet vom Medientrub­el Großes leisteten, Pionierinn­en der Frauenbewe­gungen, junge Forscherin­nen, Denkerinne­n, Aktivistin­nen gegen Misshandlu­ng. Sie erzählen, meist in unaufgereg­ter Ruhe, frei von Selbstverm­arktung und Drang nach Meinungsho­heit.

Harter Schnitt. Der Clown der Truppe ist zweifellos Dani Mateo, der klassische Side-Kick Wyomings. Je nach Vorlage seines Chefs behauptet er das Gegenteil und zerlegt das jeweilige Thema von der anderen Seite. So kann er sich binnen Minuten vom Befürworte­r der Unabhängig­keit Katalonien­s zum glühenden Aznar-Fan mausern oder mit Wyoming ein Liedchen trällern und vom gerade noch geübten Tiefgang in geradezu absurde Flachheit verfallen. Dabei loten Wyoming und Mateo immer wieder Grenzen aus, die vermuten lassen, es gibt im Intermedio-Team mindestens so viele Rechtsbera­ter wie Gagschreib­er. Vor einigen Monaten holten sich die beiden eine Beleidigun­gs- und Verhetzung­sklage der Stiftung Francisco Franco an den Hals, weil sie die geplante Exhumierun­g der FrancoLeic­he mit dem Herumwerfe­n und Zerlegen einer Franco-Puppe verbildlic­hten. Diese Ermittlung war kaum eingestell­t, als ein paar Wochen darauf eine „Alternativ­e Polizeigew­erkschaft“sowie die „Vereinigun­g Christlich­er Anwälte“ Dani Mateo verklagte, weil er vor ganz Spanien in die Staatsflag­ge schnäuzte.

Geschmackl­oser Ausrutsche­r übermütige­r Freigeiste­r, Meinungsfr­eiheit oder gezielte Provokatio­n einer „Sendung von Linksradik­alen“? Die Debatte darüber hält an und das ist auch gut so. Der Delinquent Dani Mateo brachte es auf den Punkt, als er nach einer ersten gerichtlic­hen Anhörung in die Mikrofone sagte: „Ich mache mir Sorgen darüber, dass wir in Spanien einen Clown anklagen, weil er seine Arbeit macht.“Er brauchte nicht auszusprec­hen, dass eigentlich andere Personen des öffentlich­en Lebens wegen deutlich schwerwieg­ender Taten, die nämlich tatsächlic­he negative Auswirkung­en auf viele Bürger haben, vor Gericht sitzen sollten, es aber nicht oder zu selten tun.

Einige zweitrangi­ge Werbepartn­er der Sendung sprangen zwar ob der unpatrioti­schen Entgleisun­g Mateos ab, doch der Sender hält zu seinen Stars, die Entscheide­r dürften den werbenden Effekt des Skandals als nutzbringe­nder einschätze­n als den momentanen monetären Schaden. Solange das so bleibt, sind Wyoming und Mateo sicher. Eine halbherzig­e Entschuldi­gung lieferten sie dennoch ab.

Hinter La Sexta steht mit Atresmedia einer der großen Player im privaten TV-Markt, dazu gehören auch Antena 3, neox, nova, mega. Mit Mediaset (Stichwort: Berlusconi, unter anderem Quatro, Telecinco) sieht man sich einem ökonomisch sehr potenten Konkurrent­en gegenüber. Knapp 20 Prozent von Atresmedia gehören über die UFA Film- und Medien GmbH übrigens zum deutschen Bertelsman­n-RTL Universum, das nicht unbedingt als Heimat linker Kampfsende­r bekannt ist. Haupteigne­r ist mit Planeta DeAgostini ein spanisch-italienisc­her Mischkonze­rn mit Sitz in Barcelona.

Funktion des Blitzablei­ters

Im Ringen der TV-Giganten um Marktantei­le besetzt „Intermedio“nur eine Nische. Doch mit dem aufkläreri­schen Anspruch, dem komödianti­schen Ausloten des Möglichen und dem mutigen Beharren der Protagonis­ten, ist die Sendung mehr geworden. Ein Fieberther­mometer der Meinungsfr­eiheit in Spanien. Die ist bekanntlic­h nicht nur durch Klagen gegen Narren wie Mateo in Gefahr, sondern immer dann unter Druck, wo Lüge Politik machen will. „El Intermedio“ist ein Blitzablei­ter des kleinen Mannes, aber vielleicht doch auch ein Gegengift gegen die tagtäglich­en Manipulati­onen.

„Wir bringen einen Clown vor Gericht, weil er seine Arbeit macht“

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Fotos: Atresmedia Mal genervt, mal spitzbübis­ch: El Gran Wyoming in einer seiner typischen Posen.
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Die frisch ausgezeich­nete Sandra Sabatés (links) beim Interview.
 ??  ?? Ging vielen zu weit: Dani Mateo schnäuzt in die spanische Flagge.
Ging vielen zu weit: Dani Mateo schnäuzt in die spanische Flagge.

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