Sozial denken und handeln
Wer in Spanien durch das soziale Netz fällt, hat es schwer – Staatliche Hilfsleistungen sind Mangelware
„Spanien ist kein Sozialstaat wie Deutschland, deshalb ist es umso wichtiger, dass es Menschen wie Mariló, Natcha und die anderen Freiwilligen gibt“, sagt Michael Bördner, der mit deutschen Teenies in sozialen Projekten in Spanien arbeitet und sich im Rahmen dieses pädagogischen Projekts zehn Tage in der Casa de Acogida Pepe Bravo in Alozaina aufhält. „Hier können meine Jugendlichen anderen Menschen helfen und einen Teil der Unterstützung, die sie selber erhalten, wieder zurückgeben“, erklärt der Erzieher. Zudem würden sie lernen, sozial kompetenter zu werden.
Bördner ist ein alter Hase im pädagogischen Bereich, er kooperiert mit dem deutschen Jugendamt und die soziale Lage in Spanien kennt er seit Ende der 1970er Jahre. Regelmäßig hält er sich auch in anderen nichtstaatlichen Sozialzentren in Andalusien auf, wie in der Stiftung Fundacion Escuela de Solidaridad (FES) in der Sierra Elvira bei Granada.
Dort leben etwa 80 Personen, vor allem Frauen mit minderjährigen Kindern. „Wenn es Zentren wie Pepe Bravo oder FES nicht geben würde, müssten all diese Menschen auf der Straße leben“, meint Bördner. Und trotz des vielen Geredes über Gleichberechtigung seien beispielsweise Frauen mit kleinen Kindern, die keinen Mann und keinen Familienrückhalt hätten, in Spanien zum Betteln verurteilt. Und Bördner weiß, dass die finanzielle Lage in diesen Zentren, die sich vor allem durch Spenden oder Eigenarbeit am Leben erhalten, schwierig ist. „Es fließt nicht ein Euro an staatlicher Hilfe“, betont er. Ganz im Gegenteil, der spanische Staat verkompliziere die soziale Arbeit noch durch regelmäßige, scharfe Kontrollen.
Von schwierigen Situationen kann Mariló Cejudo, die Leiterin der Casa de Acogida Pepe Bravo, derzeit ein Lied singen. In diesem Zentrum, das von Pepe Bravo, einem Anwohner aus Alozaina, vor etwa 25 Jahren in eine Auffangstation für bedürftige Menschen verwandelt wurde, können bis zu 30 Personen unterschlüpfen. Und nicht nur vorübergehend, sondern meist jahrelang.
Bewohner öffnen ihr Herz
„Wir leben wie in einer Familie zusammen. Mit Volontären und Menschen aus einem problematischen sozialen Umfeld“, erklärt Cejudo. Im Vergleich zu staatlichen Zentren würden sich die Betreuer und Therapeuten hier nicht im Achtstundentakt ablösen. Durch diese Art des Miteinanders könnten die Bewohner des Hauses ihr Herz öffnen und leichter über ihre Erfahrungen, Erlebnisse und Emotionen sprechen. „Wenn Men
schen in der Lage sind, ihre Gefühle zu zeigen, können wir ihre Wunden und Seelen heilen. Es reicht nicht, ihnen nur etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf zu bieten“, unterstreicht Cejudo.
In der Casa de Acogida Pepe Bravo werden die Bewohner deshalb voll in die Arbeit eingebunden, wie die Zubereitung der Mahlzeiten, das Putzen, die Gartenarbeit oder Reparaturen. Eben alles, was in einem Familienhaushalt anfällt. Gleichzeitig können sich die Bewohner in Workshops, die von Volontären erteilt werden, ihre unterschiedlichen Fähigkeiten erweitern. Dazu gehören die Schmuckherstellung, Schmiede-, Tischler- oder Schneiderarbeiten, Zeichnen, gesunde Ernährung, Gruppendynamik, Musiktherapie oder asiatische Kampfkunst. Immer samstags wird an der Persönlichkeitsentwicklung gefeilt.
Zudem gibt es therapeutische Aktivitäten, die auf die jeweiligen Bedürfnisse des Einzelnen zugeschnitten sind. Die Casa de Acogida Pepe Bravo kooperiert auch mit externen Fachleuten, die ihren Schützlingen helfen, spezifische Probleme in den Griff zu bekommen. Zwar wird zusammen gearbeitet, aber nebenbei muss jeder sein eigenes Programm absolvieren, um mentale Probleme oder Abhängigkeiten zu überwinden.
Kaum soziale Hilfsleistungen
In einem Staat wie Spanien, in dem die sozialen Hilfsleistungen auf ein Minimum beschränkt sind, erfüllt die Casa de Acogida Pepe Bravo eine wichtige Aufgabe. Umso schlimmer, dass Cejudo und ihre Mitstreiter derzeit ein großes Problem haben. Als nämlich Pepe Bravo die alte Ölmühle in den 1960er Jahren kaufte, schloss er keinen schriftlichen Vertrag mit der Besitzerin ab. Stattdessen wurde, wie es in diesen Zeiten meist üblich war, auf das Wort und den Handschlag vertraut und nur mündlich vereinbart, die Kaufsumme in monatlichen Raten zu begleichen. Doch die Eigentümerin entpuppte sich als gierig und sie brach ihr Wort. Nachdem der Gesamtbetrag abbezahlt worden war, forderte sie mehr Geld. Der Fall endete vor Gericht, den Prozess gewann Pepe Bravo vor etwa zwölf Jahren in erster Instanz.
Aber zwei Jahre nachdem er 2010 verstorben war, verklagte die ehemalige Eigentümerin die Casa de Acogida wegen der „illegalen Besetzung“eines Gebäudeteils. Und obwohl nachweisbar war, dass Bravo Ratenzahlungen geleistet und auch die Grundstücksteuern beglichen hatte, entschied der Oberste Andalusische Gerichtshof vor kurzem: Keine Papiere, kein Recht für die Casa de Acogida.
„Als wir von dem Urteil erfahren haben, waren wir total geschockt“, berichtet Cejudo, „jetzt müssen wir 1.000 Quadratmeter Wohnfläche räumen“. Eine tragische und existenzbedrohende Nachricht für das Zentrum. Denn als Bravo das Haus eins kaufte, war es ein leeres, heruntergekommenes Gebäude. Mittlerweile befinden sich in dem, von dem Urteil betroffenen Teil unter anderem zehn Schlafräume, drei Bäder, die Küche sowie die Gefrier- und Speisekammer. Auch die alte Olivenmühle und die Solaranlage sind dort untergebracht. Nun muss das Zentrum komplett umfunktioniert werden. „Das ist wie ein Dominospiel, ein Stein wird weggenommen, alle anderen fallen“, sagt Cejudo, „wir müssen alles umbauen und eng zusammenrücken“.
Hilfe wird dringend benötigt
Ein Architekt hat bereits den Bauplan erstellt, doch es fehlt an Geld, an Materialien und an Manpower. Unterstützung wird deshalb dringend benötigt. Diese kann finanzieller Art sein, aber auch Sachspenden sind willkommen. Wer also einige Töpfe Wandfarbe oder Säcke mit Zement, Fliesenreste, Armaturen, Kabel, Möbel, Fenster oder Türen übrig hat, kann diese in das Zentrum bringen. Eben alles, was bei einem derart großen Bauprojekt vonnöten ist. „Wir können alles gebrauchen und gegebenenfalls anpassen“, sagt Cejudo mit einem schwachen Lächeln. Dass die Situation sie sehr belastet, ist ihr anzumerken.
Die Aufgabe, die vor ihr und ihren Mitstreitern liegt, scheint kaum überwindbar. Wer also Zeit hat und mit anpacken möchte, melde sich. Auch kann man das Zentrum besuchen und in dem kleinen Laden schöne Dinge kaufen, die von den Bewohnern hergestellt werden. Und wer mit der Familie oder einer Gruppe ein Fest feiern möchte, kann dies im hauseigenen Restaurant tun. Dort wird dann ein Essen zubereitet und die Gäste werden liebevoll umsorgt. Einmal monatlich wird ein MusikEvent organisiert, das der Öffentlichkeit zugänglich ist. Auch diese Einnahmen fließen in die Finanzierung des Mammutprojekts.
Im Sozialzentrum werden etliche Sprachen gesprochen, darunter auch Englisch. Falls sich jemand engagieren möchte, aber nur Deutsch spricht, kann er sich an Carmen G. wenden, de sich gerne als Dolmetscherin zur Verfügung stellt ( 639 102 664).
Alle anderen können sich direkt im Zentrum melden: Casa de Acogida Pepe Bravo, Alozaina, Calle Sánchez Rivas, 36. Website: