Magische Nächte
Wo die Johannisnacht einen Monat dauert: Bei den Hogueras de San Juan ist eine ganze Stadt auf den Beinen
Die Johannisnacht am 23. Juni wird in vielen spanischen Küstenstädten mit Lagerfeuern an den Stränden gefeiert. In Alicante wird es erst einen Tag nach der Noche de San Juan richtig spannend: Dort werden lebensgroße von Künstlern hergestellte Pappmaché-Figuren verbrannt.
„Als ich vor einigen Jahren einen englischen Kollegen einlud, mit uns die Fiesta de Hogueras in Alicante zu besuchen, war dieser zunächst völlig fassungslos, dass wir wahre Kunstwerke verbrannten. Doch während der Cremà wich das verwunderte Entsetzen auch auf seinem Gesicht ganz langsam jener unerklärlichen Magik einer auf immer unvergesslichen Nacht.“Diese Anekdote hörten die Alicantiner vor wenigen Tagen auf dem Rathausplatz von Asunción Martínez, die 2019 die Ehre hatte, den Pregón, die Festrede zum Auftakt der größten Feierlichkeiten der Stadt, zu halten.
Martínez, als Generaldirektorin des internationalen Wasser- und Energiekonzerns Suez eine Alicantinerin von Welt, sieht sich bei den Hogueras in ihre Kindheit versetzt, buchstabiert während ihrer Ansprache voller Pathos und Selbstrührung ihre Erinnerungen durch, erwachsene Menschen kommentieren mit Tränen in den Augen. Darunter auch die Belleas del Foc, die von gestrengen Jurys ausgewählten Feuerschönheiten in ihren weitausladenden, bunten Trachten.
„Wo sonst findet man 9.000 Alicantiner, mit unterschiedlichen Arten zu denken und zu leben, unterschiedlichen politischen Meinungen, die dennoch das ganze Jahr an einem Strang ziehen“, dankt Martínez den Foguerers und Barraquers genannten 90 FiestaGruppen und definiert damit die Essenz der Fogueres de Sant Joan, wie die Johannisnacht, die in Alicante zu einem Johannismonat wird, auf Valencianisch heißt: Es geht um Identität, Heimat, Gemeinsamkeit. In Verbindung mit einer teils archaischen Mystik verschmelzen diese Begriffe zu einem einzigen Gefühl und einem sehr mediterranen Sommerfest, einer Zelebration der Lebensfreude, die auch mal über die Stränge schlägt, aber eben auch die Vergänglichkeit in Szene setzt.
Feuer und Wasser
Feuer und Wasser, die Gegensätze und Urelemente vereinen sich bei jener Cremà, wenn die HoguerasFiguren verbrannt werden und anschließend die Feuerwehr die Leute einregnet (Banyà). Johannistag und Johannisnacht werden in vielen christlichen Ländern gefeiert. Es geht um den Geburtstag Johannes des Täufers, Juan el Bautista, Wegbegleiter und Lehrer des Gottessohnes und ebenso Märtyrer wie er, sagt die christliche Lehre, seit sie versucht die heidnischen Sommerwendenfeste unter ihre Deutungshoheit zu bekommen. Denn dass es den Täufer als historische Person gab, wird ebenso oft behauptet wie angezweifelt. Unleugbar aber ist, dass die kürzeste Nacht des Jahres nur zwei Tage vor dem Johannisfest stattfindet. Und ein paar Tage davor sei auch Jesus geboren, nicht am 24. Dezember, wie uns die Kirche weismacht. Die wissenschaftliche Nachberechnung dokumentierter Sternenkonstellationen weist auf Ende Juni.
Doch dieses hohe Fest sollte frei von heidnischen Einflüssen um die Sonnenwende gemacht werden, was aber auch nicht ganz gelang, als man Jesu Geburtstag in den Winter verlegte. Das Feuer, nicht Gott oder ein Heiliger, blieb der Johannisnacht zentrales Element, Lebensspender und Bedrohung, ein Stück Sonne auf Erden. In Alicante feierte man Johannes wie den astronomischen Sommeranfang gleichermaßen. Man machte eine Art Ernteauftaktfest daraus. Weder die Kirche, noch deren weltlichen Vollstreckern gefiel das wilde Gebaren der Feiernden, das mehr als einmal überhand genommen hatte. Im 19. Jahrhundert wurden jedes Jahr vor der Johannisnacht Verbotsschilder in der Stadt aufgehängt: „...auf dass in keiner Straße ein Feuer entzündet werde, und ebenso wenig Gewehrschüsse in der Nacht des Johannes und den folgenden sein dürfen, gegen Strafe von 20 bis 100 Reales.“
1881 aber vergaß der Amtsschimmel aus irgendeinem Grund die Schilder aufzuhängen, was die Alicantiner umgehend für Festivitäten in ihren Barrios ausnutzten. Die Barracas und Racós waren geboren, es wurde gespielt, getanzt, gezecht und es tauchten die ersten Ninots – Valencianisch für Püppchen – auf, als Satiren auf die Mächtigen, denen man eins auswischen wollte.
Das Feiern bekam man nicht mehr in den Griff und so machte man es amtlich. Seit 1928 gibt es
die Fiesta de las Hogueras de Alicante als offizielles Stadtfest. Dem ersten Zeremoniemeister, José María Py, huldigt man noch heute jährlich. Dieser erklärte, dass es auch darum ginge, „dass diese alten Traditionen von uns Alicantinern den gleichen Charakter haben sollen, wie die valencianischen Fallas“. Diese sind heute Immaterielles Kulturgut der Unesco.
Die schöneren Fallas
Doch die Alicantiner schwärmen davon, dass ihre Hogueras weitaus familiärer, authentischer, nicht so offiziös und kommerziell wären. Eben einfach besser. Das gleiche sagen sie über ihre Paella. Hier schwingt keine dramatische, aber doch eine latente Konkurrenz zwischen Provinz- und Regionalhauptstadt mit, die auch heutzutage immer mal wieder durch polemische Zeitungskommentare befeuert wird und schon zum Fiesta-Inventar gehört. Alicante sieht sich oft, und nicht so selten zu recht, als vernachlässigter „Mäuseschwanz“des größeren und national wichtigeren Valencias, auch aus der Sicht der Madrilenen. Die werfen der Provinzstadt im Süden schon einmal vor, ständig zu feiern, während Valencia den größten Teil des Inlandsproduktes erwirtschafte. Die Alicantiner können da nur lächeln. Als wäre Arbeitsamkeit eine Errungenschaft in diesem kurzen Leben. Und schließlich sind es doch die Hauptstädter, die an Alicantes Küsten strömen, zur Semana Santa, im Winter oder Sommer, eben auch zu den Hogueras.
Ab 1932 krönt eine feierlich ernste Jury nach umständlichem Bewerbungs- und Auswahlprozess jährlich eine Fiestakönigin als höchste Repräsentantin der Feiern, die Belleza del Fuego (val.: Bellea del Foc). Jede der rund 90 Fiestagemeinden hat zudem eine eigene Bellea. Bald gibt es davon eine Version für Kinder, die auch ihre eigenen Ninots herstellen. Der Bürgerkrieg unterbricht die Tradition. 1939, Alicante war nur zwei Monate davor als letzte spanische Stadt blutend in die Hände der Franco-Putschisten gefallen, da brannte eine einzige Hoguera auf dem Rathausplatz. Seit 1940 nahm das Fest wieder Fahrt auf.
Los geht es in der Stadt schon weit vor den sichtbaren Festivitäten. Immerhin müssen die Hogueras, also die Figuren, die dann kultisch verbrannt werden, erst einmal hergestellt werden, rund 200 an der Zahl. Mittlerweile ist das der Job von Profis in eigenen Werkstätten geworden, die einen eigenen Beruf daraus schufen. Die CBN traf einen dieser Artistas Falleros zum nebenstehenden Interview, in dem er Einblicke gibt in diese satirische, fantastische, mal aberwitzige, aber stets künstlerische Welt aus Pappmaché und Farben.
Jede Figur repräsentiert eine Fiesta-Gruppe und damit eine Straße, ein Viertel oder ein Gebiet und so auch eigene Ideen. Wenn um Mitternacht zum 24. Juni (in anderen Levante-Orten übrigens eine Nacht davor) vom Burgberg Alicantes die weiße Feuerpalme in den Himmel schießt, dann werden all diese Figuren verbrannt in der Cremà, die größte gibt es natürlich auf dem Rathausplatz. Eine emotional aufwühlende Wandlung, ein Memento mori, mitten in der ausgelassensten Feierstimmung, das bis an die Grenzen des Kitschigen inszeniert wird. Nur zwei Figuren bleiben von den Flammen verschont, eine kleine und eine große. Diese haben die Alicantiner in einer Abstimmung zuvor freigesprochen. Im Fiesta-Museum an der Rambla kann man einige der Vorjahre daher betrachten.
Einen Monat lang wird gefeiert, es gibt den Umzug der Ninots, an dem alle Festgruppen teilnehmen und der eher an einen Karnevalsumzug erinnert. Ebenso traditionell ist das Geböller der Mascletàs. Diese finden täglich um 14 Uhr auf der Plaza Luceros statt. Es ist nicht einfach nur ein ohrenbetäubendes Knallfeuerwerk, sondern fast ein komponiertes Musikstück mit künstlerischen Ambitionen, das von Medien wie Schaulustigen entsprechend ernsthaft besprochen wird. Ab und an zerlegt es dabei ein paar Fensterscheiben und es laufen Wetten dazu, wann der Luceros-Brunnen endgültig zusammenstürzen wird.
Der Charme der Hogueras liegt ohne Zweifel auch in ihrer Vielseitigkeit, denn die Feiern ziehen sich durch die ganze Stadt. Es gibt sie als ausgeklügelte VIP-Pakete für reiche Touristen oder, nur ein paar Schritte vom Touri-Zentrum entfernt, als urbanes UndergroundEvent im Barrio, wo die Widerspenstigen ungezähmt bleiben. Harter alternativer Rock mischt sich an der Plaza de Carmen an fünf sehr langen Nächten mit dem durchdringenden Ton der traditionellen Kurzflöten. Hier spricht man Valencià, aus Tradition, aber auch als trotziges Statement gegen die Gentrifizierung durch die AirBnB-Gesellschaft. Den frisch gewählten Bürgermeister vermissen die jungen Leute des Barrio eher wenig. Der Fremde ist willkommen, mitunter bekommt er eine Coca amb Tonyina in die Hand gedrückt, eine Thunfisch-Teig-Pastete, deren Ölgehalt man nur als Prophylaxe auf den kommenden Alkoholkonsum verstehen kann.
Natürlich sind die Hogueras auch Kommerz. Sie füllen die Hotels, Biermarken und Gastro-Ausstatter werben in großen Plakaten um die Gunst der Fiesta-Gemeinden. Mit dem Desfile Folclórico Internacional, einer Multi-KultiFolkparade, bringt man die Weltläufigkeit Alicantes auf den Punkt und auf die Straßen. Und nach wie vor kann man den Alicantinern auch nicht die Stierkämpfe austreiben. Dabei schafft man es sonst fast das ganze Jahr, die Plaza de Toros als Konzert- und Eventort zu betreiben. Der vorherige, linke Bürgermeister hatte das aus der Zeit gefallene Gemetzel schon per Dekret abgeschafft. Doch der musste gehen, die Stierkämpfe blieben. Die neue Stadtregierung stellt sie nicht in Frage. Auch die Corridas sind bei Eintrittspreisen um 50 Euro ein dickes Geschäft.
Der wichtigste, wenn auch inoffizielle Programmpunkt neben der Cremà ist die Noche de San Juan. Jedes Jahr aufs Neue wird gestritten, ob die tausenden Lagerfeuer, die stimmungsvoll den Mittelmeerstrand beflackern, erlaubt oder verboten werden sollen. Jede Gemeinde geht damit anders um. Es ist der Brandschutz, der Sorgen bereitet, vielmehr noch Müll und Feuerstellen, die viel Geld und Zeit kosten. Doch die Touristenmassen der Hochsaison stehen schon Badetuch bei Fuß.
Eine Nacht im Feuerzauber
Die Nacht vom 23. zum 24. erhält ihre Magie nicht ohne Feuer. Freunde treffen sich zum Picknick an der Playa de San Juan oder in einer der Buchten entlang der Küsten, das Lagerfeuer wird entzündet und wer es richtig machen will, muss etliche Riten befolgen: Mit dem Rücken zum Wasser ins Meer gehen, dabei den Mond anschauen sowie den Morgentau abwarten und man hat ein ganzes Jahr Glück. Singles, die zu Mitternacht aus ihrem Fenster schauen, werden die Liebe ihres Lebens erblicken. Man muss über das Feuer springen, darf Fürbitten oder die Namen eines Angebeteten auf kleine Zettelchen schreiben und hineinwerfen. Und Frauen, die sich über ihre Schulter mitternachts im Spiegel, nackt und nur bei Kerzenschein betrachten, können den Moment ihres Todes sehen. Bleiben Sie also besser am Strand.
Das Feiern bekam man nicht in den Griff – so machte man es amtlich