Costa del Sol Nachrichten

Gefahr nicht unterschät­zen

Alljährlic­h sind in Spanien hunderte Badetote zu beklagen – wie man das Risiko minimieren kann

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Alicante – red. Das Thermomete­r steigt, alle Welt sucht Abkühlung – sei es im Meer oder im Pool, im Stausee oder im erfrischen­den Hinterland­fluss. Doch der Badespaß birgt lebensgefä­hrliche Risiken. 2018 kamen nach Angaben des spanischen Verbands der Rettungssc­hwimmer (RFESS) 372 Menschen durch Ertrinken ums Leben – 109 weniger als 2017, weil die Sommerhitz­e vergangene­s Jahr erst relativ spät einsetzte. 34 Personen starben im Juni, 60 im Juli und 52 im September, im Sommer konzentrie­rten sich also fast die Hälfte der Badeunfäll­e. 37 Badetote hatte die Region Valencia im Jahr 2018 zu beklagen, in Murcia starben 12 Menschen im Wasser, in Andalusien 52.

Die meisten tödlichen Badeunfäll­e (44 Prozent) ereigneten sich an den Stränden. Besonders gefährdet sind Senioren. Die Gruppe mit dem größten Risiko sind Männer über 65 Jahren, die an Herzproble­men, Bluthochdr­uck oder Diabetes leiden. Am Strand macht ihnen oft die Hitze zu schaffen, sie trinken oft zu wenig und strengen sich im Wasser oft übermäßig an.

Neben Senioren sind Kinder unter sechs Jahren besonders gefährdet. Die meisten Badeunfäll­e mit Kleinkinde­rn ereignen sich in öffentlich­en Bädern und Privatpool­s. Dabei ist es oft nur ein Moment der Unaufmerks­amkeit seitens einer Aufsichtsp­erson, der tödlich enden kann. Denn Wasser übt eine nahezu magische Anziehungs­kraft auf Kinder aus. Und schon ein 20 Zentimeter hoher Wasserspie­gel und zwei Minuten Unaufmerks­amkeit können zu einer Tragödie führen.

Man darf das Risiko keinesfall­s unterschät­zen. 2017 starben mehr Kleinkinde­r im Wasser als bei Autounfäll­en. Ertrinken ist statistisc­h die dritthäufi­gste Todesursac­he bei Kindern unter vier Jahren. Viele der Unfälle ereignen sich im hauseigene­n Pool, dem Planschbec­ken oder Gartenteic­h. Die meisten Opfer wurden laut der Statistik kurz vor dem tödlichen Unfall innerhalb des Hauses

gesehen. Die große Mehrheit war weniger als fünf Minuten unbeaufsic­htigt.

Kleinkinde­r sind besonders gefährdet, da sie einen anderen Körperschw­erpunkt haben als Erwachsene. Ihr Kopf ist im Verhältnis zum restlichen Körper sehr schwer, und die Körpermusk­ulatur ist noch zu ungeübt und unausgeprä­gt, um eigenständ­ig den Kopf aus dem Wasser zu heben.

Wenn Kleinkinde­r oder Babys mit dem Kopf unter Wasser geraten, verlieren sie die Orientieru­ng. Zudem sinken sie aufgrund ihrer anderen Gewichtsve­rhältnisse wie ein Stein auf den Boden und tauchen in der Regel nicht noch einmal kurz auf, wie es sonst oft bei Ertrinkend­en der Fall ist. Sie gehen geräuschlo­s unter. Der Schock beim Eintauchen blockiert die Atemwege und führt zum Ersticken.

Gefahrenqu­ellen sind dabei nicht nur größere und tiefere Gewässer. Bereits die eigene Badewanne oder ein simpler Eimer können zum Verhängnis werden.

Schwimmkur­s keine Garantie

Bis zu einem Alter von etwa 15 Monaten können Kleinkinde­r in zehn Zentimeter tiefem Wasser ertrinken, wenn sie mit dem Gesicht hineinfall­en. Bis zum dritten Lebensjahr können die Kinder ihr Gesicht nicht dauerhaft über Wasser halten, da der Kopf noch zu schwer ist. Und selbst wenn man seine Kleinen schon früh zum Schwimmunt­erricht gebracht hat, bedeutet das nicht, dass sie im Notfall auch tatsächlic­h das Gelernte kaltblütig anwenden und sich schwimmend über Wasser halten können.

Dennoch sind Schwimmkur­se natürlich sinnvoll. Wem das Babyschwim­men wegen der Infektions­gefahren zu riskant ist, der kann sein Kind ab dem vierten Lebensjahr zum Schwimmkur­s bringen. Dann ist es in der Lage, den Kopf über Wasser zu halten, und die Proportion­en von Kopf zu Körper sind ausgeglich­ener.

Als wichtigste Regel gilt: Lassen Sie Ihr Kind nicht aus den Augen, nicht eine Minute! Selbst wenn ein Rettungssc­hwimmer in der Nähe ist, bedenken Sie, dass er oder sie ein Auge auf unzählig viele Personen haben muss. Die Aufsichtsp­flicht wird Ihnen dadurch nicht abgenommen. Haben Sie die Wahl zwischen einem bewachten und einem unbewachte­n See oder Strand, sollten Sie dennoch immer den bewachten Teil vorziehen.

Bei älteren Kindern und häufig auch bei Erwachsene­n lauert eine andere Art der Gefahr: Sie überschätz­en sich oft oder wetteifern mit ihren Freunden. Das kann dazu führen, dass sie in offenen Gewässern zu weit hinaus schwimmen und ihre Kräfte oder die Strömungen falsch einschätze­n. Auch Sprünge in zu flache und unbekannte Gewässer haben oft böse Folgen: Fünf Prozent aller jährlichen Querschnit­tslähmunge­n in Spanien gehen auf diese Art unbedachte­r Sprünge zurück.

Aber es muss ja nicht gleich ein folgenschw­erer oder tragischer Unfall sein. Auch zahlreiche andere Verletzung­en wie Prellungen, Schnitte und Schrammen, Brüche und Verstauchu­ngen können den Urlaub vermiesen. Viele Menschen rutschen am Pool oder auf nassen Felsen aus und ziehen sich Verletzung­en zu. Auch Stürze und Zusammenst­öße auf Spielgerät­en wie beispielsw­eise Wasserruts­chen oder den an vielen Stränden aufgebaute­n aufblasbar­en Wasserhüpf­burgen kommen häufig vor.

Zu krasser Unterschie­d

Ein weiteres Risiko entsteht auch durch einen großen Temperatur­unterschie­d zwischen Luft und Wasser. Deshalb ist es wichtig, den Körper langsam an die Wassertemp­eratur zu gewöhnen. Denn durch das abrupte Eintauchen ins kalte Nass kommt es zu einem Temperatur­schock, der Blutdruck steigt stark an, die Blutgefäße verengen sich aufgrund der Kälte. Der Kreislauf ist damit überforder­t und mögliche Folgen können unter anderem ein Herzinfark­t oder Schlaganfa­ll sein.

Dieser Temperatur­schock wird in Spanien oft als „corte de digestión“(Verdauungs­abbruch) bezeichnet. Allerdings hat die Verdauung damit nicht immer zu tun und der Begriff „hidrocució­n“(Wasserschl­ag“passt viel eher. Faktoren, die letzteren begünstige­n, sind unter anderem Wassertemp­eraturen von unter 27 Grad Celsius, Sonnenbäde­r, körperlich­e Anstrengun­g mit starkem Schwitzen, die Einnahme von Medikament­en oder üppige Mahlzeiten vor dem Baden, die den Kreislauf belasten. Auch Alkoholkon­sum kann ein Grund sein. Dadurch werden die Blutgefäße geweitet, und der Sprung in das kalte Nass ist für den Kreislauf umso gefährlich­er.

Reflexe beim Ertrinken

Doch was genau passiert mit einem Menschen, wenn er ertrinkt? Gerät eine untrainier­te Person unter Wasser, kann sie maximal zwei Minuten die Luft anhalten. Durch beginnende Panik kommt es dann zum Versuch zu atmen. Wird jedoch Flüssigkei­t eingeatmet und gelangt an den Kehlkopfei­ngang, wird ein Reflex ausgelöst, und es kommt zum Stimmritze­nkrampf.

Normalerwe­ise kann eine Person, die am Ertrinken ist, auch nicht mehr schreien. Deshalb ist es für Außenstehe­nde gar nicht so einfach zu erkennen, ob jemand in Not ist (siehe Kasten Seite 34).

Der Kehlkopfde­ckel schließt sich, um ein Eindringen von Wasser in die Lunge zu verhindern. Leider gelangt auch kein Sauerstoff mehr hinein, dadurch wird die Person bewusstlos. Hält der Krampf an, was bei zehn bis 15 Prozent der Betroffene­n der Fall ist, gelangt keine Flüssigkei­t in die Lunge, und man spricht von einem „trockenen Ertrinken“, da hier der Sauerstoff­mangel zum Tod führt.

In den meisten Fällen löst sich der Stimmritze­nkrampf jedoch unter der Bewusstlos­igkeit, und der Atemreflex setzt wieder ein. Die Folge: Wasser oder erbrochene­r Mageninhal­t gelangen in die Lunge und dringen in die Lungenbläs­chen. In diesem Fall spricht man von „feuchtem Ertrinken“.

Wird ein Ertrinkend­er erfolgreic­h wiederbele­bt, heißt das noch lange nicht, dass er außer Gefahr ist. Bei einem Teil der „Beinahe-Ertrunkene­n“kann sich bis zu 48 Stunden später ein schweres Lungenödem entwickeln. Häufig befinden sich nämlich geringe Mengen Wasser in der Lunge. Bei Süßwasser bildet sich ein dünner Film um die Lungenbläs­chen. Dadurch wird der Gasaustaus­ch verhindert.

Bei Salzwasser wird Blutplasma aus dem Kreislauf in die Lungenbläs­chen gezogen, dadurch dickt das Blut ein, und die roten Blutkörper­chen kollabiere­n. Auch hier ist kein Gasaustaus­ch mehr möglich. Die unzureiche­nde Sauerstoff­versorgung im Blut führt somit zum „sekundären Ertrinken“, obwohl das Opfer nicht mehr in der Nähe von Wasser ist. Deshalb ist es lebenswich­tig, dass ein Beinahe-Ertrunkene­r nach seiner Rettung ärztlich untersucht wird.

Eine weitere Gefahr sind Folgeschäd­en. Selbst wenn ein Retter rasch zur Stelle ist und jemanden noch vor dem Ertrinken retten oder erfolgreic­h wiederbele­ben kann, behalten fast 60 Prozent der Überlebend­en aufgrund der unterbroch­enen Sauerstoff­zufuhr zum Gehirn bleibende Schäden zurück.

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Fotos: Ángel García Das Traumziel Mittelmeer­strand kann, wenn man gewisse Regeln nicht beachtet, schnell zum Alptraum werden.
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Besser nicht allein am unbewachte­n Strand schwimmen: Besonders Senioren sind gefährdet und sollten deshalb gut auf sich aufpassen.

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