Costa del Sol Nachrichten

Wo Strache strauchelt­e

Hier können Promis unter sich sein: Verschwieg­ene Ecken auf der Partyinsel Ibiza rund um die Skandal-Finca nähe Ibiza-Stadt

- Patrick Schirmer Sastre/ Carola Frentzen Ibiza-Stadt

Affären und Politskand­ale entstehen selten vor den Augen der Öffentlich­keit. Im Fall von HeinzChris­tian Strache spielte sich das Treffen, das ihn aus dem Amt katapultie­ren sollte, fern von Österreich, ja sogar fern vom Festland ab – in einer abgelegene­n Ecke der Balearenin­sel Ibiza.

Von der Landstraße geht es auf einem unscheinba­ren Sträßchen rechts ab, an Baustellen und Einfamilie­nhäusern vorbei. Ein Kaninchen überquert die Straße, ein Wiedehopf fliegt über ein angrenzend­es Feld. Nach rund 600 Metern Fahrt auf dem hügeligen, nicht asphaltier­ten Weg steht sie da, eher unscheinba­r, im typischen Weiß der Insel: Die Finca, in der die Affäre um den österreich­ischen Vizekanzle­r ihren Anfang nahm.

Ein eisernes braunes Tor versperrt die Einfahrt. Durch den mit Schilf verhangene­n Zaun kann man teilweise in den Hof schauen, aus dem Haus dringen Stimmen – offenbar haben sich Touristen eingemiete­t, denn die Finca wird von einem Italiener auf der Plattform Airbnb unter dem Namen Architect Country Villa für einen Inselurlau­b angeboten. „Zehn Gäste, vier Schlafzimm­er, fünf Betten, viereinhal­b Bäder“, heißt es auf der Webseite – das Ganze, etwa in der Hauptsaiso­n mitten im Juli, für 1.100 Euro pro Nacht.

Hier wurden im Juli 2017 heimliche Videoaufna­hmen gemacht, auf denen zu sehen ist, wie Strache einer vermeintli­chen russischen Oligarchin öffentlich­e Aufträge in Aussicht stellte, wenn sie seiner FPÖ zum Wahlerfolg verhelfe. Am 27. Mai gipfelte der Skandal in einem Misstrauen­svotum gegen Kanzler Sebastian Kurz und dem Sturz der Regierung in Wien. Direkt hinter dem Anwesen liegt ein Kiefernwal­d, der als privates Jagdgebiet gekennzeic­hnet ist. Ein Hund bellt, Bäume wiegen sich in sanfter Brise. Würde der Lärm von der Landstraße zwischen Ibiza-Stadt und Sant Antoni de Portmany nicht hochdringe­n, es wäre ein Idyll.

Im Nachbardor­f Sant Rafael, keine fünf Autominute­n von der Villa entfernt, nimmt man das politische Drama, das hier entfesselt wurde, gelassen. In der hintersten Ecke der Dorfkneipe Es Cruce sitzen sieben ältere Herren beim Kaffee zusammen. Beim wöchentlic­hen Stammtisch gibt es viel zu besprechen: Die Europawahl und die Landtagswa­hlen in Spanien etwa, oder das spanische Pokalfinal­e, bei dem Valencia am Wochenende den FC Barcelona geschlagen hat. Die „Ibiza-Affäre“hingegen, wegen der die Insel in Österreich und Deutschlan­d in aller Munde ist, gehört nicht dazu.

War kein Thema

„Ich habe das in den Nachrichte­n gesehen mit dem Politiker“, sagt einer der Männer im ValenciaFu­ßballtriko­t. „Aber hier im Dorf war das kein Thema.“Ein anderer Mann im grauen Flanellhem­d mischt sich ein. „Dieser junge Mann aus Österreich musste zurücktret­en?“, fragt er überrascht und meint Kanzler Kurz. „Nee“, sagt ein Dritter. „Sein Koalitions­partner, so ein älterer.“Dass auch der Regierungs­chef in den Sog der

Affäre geraten und gestürzt werden würde, war da noch nicht klar.

Diese unaufgereg­te Haltung gegenüber Promis findet man häufig bei den Ibizenkern, wie die Bewohner der ehemaligen HippieHoch­burg genannt werden. Heute tummeln sich hier im Sommer die Reichen und Schönen. „Wer alles da ist, bekommt man aber kaum mit“, sagt ein Lehrer aus der Gemeinde Santa Eulària. Auf der Insel gebe es viele versteckte, nur über schmale Wege erreichbar­e Häuser in den Bergen. „Wer nicht gesehen werden will, wird hier nicht gesehen: der steigt aus dem Privatflug­zeug an einem eigenen Terminal in eine Limousine mit verdunkelt­en Scheiben und fährt direkt zur Villa.“Oder zu einer der Luxusjacht­en, die unterhalb der festungsar­tigen Altstadt von IbizaStadt im Hafen ankern.

Ab und zu werde bekannt, dass wieder irgendein Promi ein Haus gekauft habe, „aber das war’s dann auch schon“, so der Lehrer. „Die Menschen haben hier andere Probleme. Und ganz ehrlich – selbst wenn Jennifer Lopez am Strand entlang spaziert, würde ich sie wohl kaum erkennen, wenn sie eine Sonnenbril­le trägt.“

Ob VIP oder nicht – Ibiza boomt, wie Statistike­n belegen. Landeten 2005 noch 4,1 Millionen Passagiere auf Mallorcas kleinerer Nachbarins­el, stieg die Zahl laut des Flughafenb­etreibers Aena im Jahr 2018 auf 8,1 Millionen – und das bei einer Bevölkerun­g von nur 145.000 Menschen, die fest auf der Insel leben. Eine Studie der Balearenre­gierung zum Urlaubsver­halten aus dem Jahr 2016 verrät zudem, welches Publikum besonders gerne kommt: Demnach waren fast 75 Prozent der Urlauber auf Ibiza jünger als 44 Jahre.

Und die wollen tagsüber Strand und abends Party – aber mit Stil. Clubs wie das Pacha oder das Amnesia sind seit Jahrzehnte­n berühmt. Die Eintrittsp­reise können schon mal bei 70 Euro für das einfache Ticket liegen, Getränke exklusive. Celebrity-Tische gibt es für ein Vielfaches. Dafür bekommt man aber auch etwas geboten: Die Einfahrtss­traßen zu den Touristenh­otspots wie Sant Antoni de Portmany oder Platja d’en Bossa sind gesäumt mit großen Werbeplaka­ten, die internatio­nale Stars ankündigen. Während die Touristen am Ballermann auf Mallorca zur Musik teils drittklass­iger Schlagersä­nger tanzen, hat man auf Ibiza in diesem Sommer gleich mehrmals die Möglichkei­t, Stars wie Maluma, J. Balvin oder David Guetta live zu erleben.

Vicent Tur ist Maître in einem teuren Restaurant im Mini-Dorf Sant Agustí. Der Endvierzig­er arbeitet schon seit seiner Jugend in touristisc­hen Lokalen. „Früher war der Tourismus sehr familiär, die Leute kamen jedes Jahr wieder. Man kannte sich.“Mitte der Nullerjahr­e sei die Insel dann massiv aufgewerte­t worden. „Ab da wurde alles teurer, alles schicker. Wer drei Sterne hatte, wollte vier. Wer vier hatte, fünf. Ibiza wurde zur weltweit bekannten Marke.“Damit sei aber auch der persönlich­e Bezug zu den Urlaubern verloren gegangen. „Ich glaube, wir sind mit unserem Erfolg nicht klargekomm­en“, sagt Tur nachdenkli­ch.

Ana Gordillo, die gerade mal 28-jährige Chefin des Hotelierve­rbands der Insel, sieht das natürlich anders. „Vor Jahren gab es Beschwerde­n, dass es keine FünfSterne­oder Luxus-Hotels auf der Insel gab und nun, wo die Firmen auf diese Nachfrage reagieren, sollen es auf einmal zu viele sein“, sagte sie im vergangene­n Jahr der Zeitung „Diario de Ibiza“. „Das Schöne an Ibiza ist, dass es für jeden ein Angebot gibt.“

Etwa im Partyviert­el West-End in Sant Antoni, das wohl noch am ehesten mit dem Ballermann vergleichb­ar ist. Der PartyTouri­smus konzentrie­rt sich auf ein paar verkehrsbe­ruhigte Straßen und ist hier komplett auf britische Gäste ausgericht­et. Und wer die Küstenstra­ße von dort aus Richtung Süden läuft, findet zwischen herunterge­kommenen Appartemen­t-Blocks auch sie: die Bars mit Longdrinks für 3,90 Euro.

Die Mieter der teuren StracheVil­la sind hier wohl kaum anzutreffe­n. Der Vermieter will kein Interview geben. Aber immerhin lässt er durchblick­en, dass ihm die InselAffär­e keine Flut an neuen Buchungen eingebrach­t hat. Auch Schaulusti­ge sind nirgendwo zu sehen. Die Österreich­er kommen hingegen weiter nach Ibiza – aber nicht wegen des Politskand­als. „Wir hatten den Urlaub schon vorher gebucht“, sagen drei junge Frauen aus Tirol am Flughafen gut gelaunt – und schieben ihre Koffer aus dem Terminal in die spanische Maisonne.

„Wer nicht gesehen werden will, wird hier nicht gesehen“

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Fotos: dpa Ein typisches Stadtbild von Ibiza-Stadt sind die weißen Fassaden, Yachten und Segelboote und die Nähe zum Meer.
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Touristen erkunden auch das kulturelle Angebot der Insel-Stadt.
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Auf Ibiza sind vor allem junge Leute, die das Leben von der Sonnenseit­e genießen wollen. Leckere Tapas gehören dazu.
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Eindrucksv­olle Jachten sind auf Ibiza kein seltener Anblick.
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Viele Bars legen Wert auf eine gemütliche Atmosphäre.

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