Besonnene Wissenschaft
Geograph und Ökowissenschaftler räumen bei Expertenrunde in Uni Alicante mit falschen Urteilen zum Klimawandel auf
Global denken, lokal agieren. Nach dem Prinzip bot die Universität Alicante (UA) zeitgleich zur Eröffnung des Weltklimagipfels am Montag eine eigene Veranstaltung auf. Das globale Klima-Denken symbolisierte eine riesige grüne Schleife, die um die CampusSkulptur der weißen Hand mit Stift gebunden wurde. Für den lokalen Impuls sorgten zwei Köpfe, die auch auf dem Gipfel in Madrid hätten sprechen können: Geograph Jorge Olcina und Umweltwissenschaftler Fernando Maestre.
Olcina, UA-Professor für regionale Raumplanung, ist seit jeher in Klimafragen Medienansprechpartner Nummer eins. Fernando Maestre, Forscher für die UA und die Madrider Uni Juan Carlos, gehört gar zu den weltweit meistzitierten Autoren. „El Cambio Climático desde un punto de vista ecológico y geográfico“, den Klimawandel aus ökologischer und geographischer Sicht beleuchteten sie in einer Expertenrunde am Montagmittag.
Dass sie nicht im Zentrum des großen politischen Geschehens – in Madrid – weilten, erfreute nicht nur das größtenteils junge Publikum, sondern offenbar auch die Sprecher. „Es ist wahr, dass das Thema politisch gebraucht wird – und das besorgt mich“, sagte Olcina in seinem Vortrag über wissenschaftliche Grundlagen des Klimawandels. „Man muss gut hinschauen, wo Ideologie beginnt, und es nicht mehr reine Wissenschaft ist.“
„Eigentlich schwache Sonne“
Ein bemerkenswerter Hinweis für die „Fridays for Future“-Jugend. „Man kann nicht alles Mögliche dem Klimawandel zuschreiben. Nicht jede Veränderung geschieht durch den Treibhauseffekt“, hatte der Geograph das Referat begonnen. „Es gibt weiter Unklarheiten. Wir haben Hypothesen, die gilt es zu bestätigen.“Allerdings: „Dafür, dass der vom Mensch herbeigeführte Klimawandel existiert, gibt es genug Daten, die man nicht verneinen kann“.
Dass sich das Klima ohne Mensch wandle, stimme ja. „Vom 15. bis 18. Jahrhundert gab es eine kleine Eiszeit. Aus ihr stammen etwa die Eisbrunnen in unserer Region. Ab 1850 wurde es stetig wärmer – doch ab den 1970ern rasant. Und das nicht wegen starker Sonnenstrahlung“, nahm Olcina ein beliebtes Argument von Leugnern des Klimawandels auf. „Wir haben in dieser Zeit eigentlich eine weniger aktive Sonne.“Im Folgenden betonte der Geograph sein Forschungsgebiet: die in der Küstenregion sichtbaren Auswirkungen.
„Wir sehen bei uns sechs grundlegende Effekte: Erstens die höhere Lufttemperatur, zweitens die Verringerung des Schneefalls, drittens die Art und Weise des Regens – nicht zu verwechseln mit der reinen Menge. Die muss man noch prüfen. Viertens hat sich das Meer seit 1980 um 1,3 Grad erwärmt. Sieht nicht nach viel aus? Ist aber viel!“Ferner benannte Olcina „extreme Äußerungen“: „Erstens die stärkeren Gotas frías, zweitens Dürren. Zwar erinnern sich die Älteren auch an Trockenperioden. Heute sind sie aber kürzer und intensiver.“
Sommer würden nicht nur heißer, auch länger. „Das kommt dem Hotelsektor erst einmal gelegen“, sagte Olcina. „Aber auch der muss sich daran anpassen, dass es nicht mehr 15 bis 20 Tropennächte pro Jahr gibt, sondern 80!“In einer Tropennacht fiele das Thermometer nicht unter 20 Grad. „Nun haben wir sogar 15 Äquatornächte im Jahr, mit nicht unter 25 Grad.“
So anfällig, so unangepasst
Doch nicht die reine Erwärmung sei das Hauptkennzeichen des Klimawandels, sondern seine Unvorhersehbarkeit. „Das hat mit dem Schmelzen der Arktis zu tun“, so Olcina. „Die verändert den Jetstream und führt zu einer Unruhe im ganzen atmosphärischen Kreislauf.“An die Folgen der Unstetigkeit müsse sich auch unsere Küste dringend anpassen. „Leider zeigte eine Studie bereits 2013, dass wir eine für den Klimawandel sehr anfällige – doch daran wenig anpassungsfähige Region sind.“
„Keine einzige Stadt ist in der Lage, sintflutartige Regen zu meistern“, wiederholte Olcina eine von ihm oft formulierte Kritik. „Auch kann das Wasser nicht nutzvoll gesammelt werden.“Deshalb sei fehl am Platze, „Politik zu treiben“, und etwa in der Frage des Tajo-Segura-Kanals die jeweils anderen zu beschimpfen, „weil sie uns ihr Wasser nicht geben wollen.“
Ganz Spanien „mediterranisiert sich“, so Olcina. Statt gegeneinander zu agieren, müsse die Gesellschaft ihr Verhalten – etwa was Low-Cost-Reisen angeht – überdenken. „Dann wird die Krise zu einer Chance, um ein schädliches Wirtschaftsmodell zu korrigieren. Aber dazu müssen wir über den Klimawandel mit wissenschaftlicher Besonnenheit sprechen!“
Einen globaleren Ausblick formulierte Maestre. Der Klimawandel beträfe „alle möglichen Systeme, Organismen, die ganze Biodiversität“. „Allein, dass das Laub im Herbst länger grün bleibt, verändert die CO2-Aufnahme der Bäume – und auch den Lebensraum für unzählige Insekten.“Den Regenwald am Amazonas porträtierte Maestre als drastisches Beispiel für Möglichkeiten und Gefahren des menschlichen Beitrags. Seit den 1970ern sei kontinuierlich gerodet worden, sodass ein „Tipping point“– Kipppunkt – erreicht sei, an dem man nicht zurück könne. „Je mehr gerodet wurde, desto unfruchtbarer wurde der Boden, und wieder mehr Bäume mussten gerodet werden“. Seit den 90ern habe eine umweltfreundlichere Politik in Brasilien fatale Entwicklungen abgeschwächt. „Mit dem Regierungswechsel hat die Abholzung gewaltig zugenommen.“
Trockene Erde als Schlüssel
Doch seien nicht nur die grünen Bäume am Amazonas für die Klimaforschung höchst relevant. „Das Augenmerk unserer Studien liegt auf Trockenzonen, die uns ja auch hierzulande vertrauter sind“, so Maestre. An die 45 Prozent der Erdfläche seien Trockengebiete, in den 40 Prozent der Weltbevölkerung wohne. Der Sahel beherberge heute 200 Millionen – und in wenigen Jahrzehnten eine Milliarde Menschen. „Trockenzonen werden um elf bis 23 Prozent zunehmen.“
„Es ist an uns Forschern, sie zu studieren, – ihre Pflanzen, Mikroorganismen, die Erdbeschaffenheit, – um zu verstehen wie sie funktionieren und auf den Wandel reagieren“. Trockenzonen „Geltung zu verschaffen“sei nicht zuletzt notwendig, um den „Migrationsdruck“aus Afrika bewältigen zu können.
Hauptkennzeichen des Klimawandels: Seine Unvorhersehbarkeit