Costa del Sol Nachrichten

Besonnene Wissenscha­ft

Geograph und Ökowissens­chaftler räumen bei Expertenru­nde in Uni Alicante mit falschen Urteilen zum Klimawande­l auf

- Stefan Wieczorek Alicante

Global denken, lokal agieren. Nach dem Prinzip bot die Universitä­t Alicante (UA) zeitgleich zur Eröffnung des Weltklimag­ipfels am Montag eine eigene Veranstalt­ung auf. Das globale Klima-Denken symbolisie­rte eine riesige grüne Schleife, die um die CampusSkul­ptur der weißen Hand mit Stift gebunden wurde. Für den lokalen Impuls sorgten zwei Köpfe, die auch auf dem Gipfel in Madrid hätten sprechen können: Geograph Jorge Olcina und Umweltwiss­enschaftle­r Fernando Maestre.

Olcina, UA-Professor für regionale Raumplanun­g, ist seit jeher in Klimafrage­n Medienansp­rechpartne­r Nummer eins. Fernando Maestre, Forscher für die UA und die Madrider Uni Juan Carlos, gehört gar zu den weltweit meistzitie­rten Autoren. „El Cambio Climático desde un punto de vista ecológico y geográfico“, den Klimawande­l aus ökologisch­er und geographis­cher Sicht beleuchtet­en sie in einer Expertenru­nde am Montagmitt­ag.

Dass sie nicht im Zentrum des großen politische­n Geschehens – in Madrid – weilten, erfreute nicht nur das größtentei­ls junge Publikum, sondern offenbar auch die Sprecher. „Es ist wahr, dass das Thema politisch gebraucht wird – und das besorgt mich“, sagte Olcina in seinem Vortrag über wissenscha­ftliche Grundlagen des Klimawande­ls. „Man muss gut hinschauen, wo Ideologie beginnt, und es nicht mehr reine Wissenscha­ft ist.“

„Eigentlich schwache Sonne“

Ein bemerkensw­erter Hinweis für die „Fridays for Future“-Jugend. „Man kann nicht alles Mögliche dem Klimawande­l zuschreibe­n. Nicht jede Veränderun­g geschieht durch den Treibhause­ffekt“, hatte der Geograph das Referat begonnen. „Es gibt weiter Unklarheit­en. Wir haben Hypothesen, die gilt es zu bestätigen.“Allerdings: „Dafür, dass der vom Mensch herbeigefü­hrte Klimawande­l existiert, gibt es genug Daten, die man nicht verneinen kann“.

Dass sich das Klima ohne Mensch wandle, stimme ja. „Vom 15. bis 18. Jahrhunder­t gab es eine kleine Eiszeit. Aus ihr stammen etwa die Eisbrunnen in unserer Region. Ab 1850 wurde es stetig wärmer – doch ab den 1970ern rasant. Und das nicht wegen starker Sonnenstra­hlung“, nahm Olcina ein beliebtes Argument von Leugnern des Klimawande­ls auf. „Wir haben in dieser Zeit eigentlich eine weniger aktive Sonne.“Im Folgenden betonte der Geograph sein Forschungs­gebiet: die in der Küstenregi­on sichtbaren Auswirkung­en.

„Wir sehen bei uns sechs grundlegen­de Effekte: Erstens die höhere Lufttemper­atur, zweitens die Verringeru­ng des Schneefall­s, drittens die Art und Weise des Regens – nicht zu verwechsel­n mit der reinen Menge. Die muss man noch prüfen. Viertens hat sich das Meer seit 1980 um 1,3 Grad erwärmt. Sieht nicht nach viel aus? Ist aber viel!“Ferner benannte Olcina „extreme Äußerungen“: „Erstens die stärkeren Gotas frías, zweitens Dürren. Zwar erinnern sich die Älteren auch an Trockenper­ioden. Heute sind sie aber kürzer und intensiver.“

Sommer würden nicht nur heißer, auch länger. „Das kommt dem Hotelsekto­r erst einmal gelegen“, sagte Olcina. „Aber auch der muss sich daran anpassen, dass es nicht mehr 15 bis 20 Tropennäch­te pro Jahr gibt, sondern 80!“In einer Tropennach­t fiele das Thermomete­r nicht unter 20 Grad. „Nun haben wir sogar 15 Äquatornäc­hte im Jahr, mit nicht unter 25 Grad.“

So anfällig, so unangepass­t

Doch nicht die reine Erwärmung sei das Hauptkennz­eichen des Klimawande­ls, sondern seine Unvorherse­hbarkeit. „Das hat mit dem Schmelzen der Arktis zu tun“, so Olcina. „Die verändert den Jetstream und führt zu einer Unruhe im ganzen atmosphäri­schen Kreislauf.“An die Folgen der Unstetigke­it müsse sich auch unsere Küste dringend anpassen. „Leider zeigte eine Studie bereits 2013, dass wir eine für den Klimawande­l sehr anfällige – doch daran wenig anpassungs­fähige Region sind.“

„Keine einzige Stadt ist in der Lage, sintflutar­tige Regen zu meistern“, wiederholt­e Olcina eine von ihm oft formuliert­e Kritik. „Auch kann das Wasser nicht nutzvoll gesammelt werden.“Deshalb sei fehl am Platze, „Politik zu treiben“, und etwa in der Frage des Tajo-Segura-Kanals die jeweils anderen zu beschimpfe­n, „weil sie uns ihr Wasser nicht geben wollen.“

Ganz Spanien „mediterran­isiert sich“, so Olcina. Statt gegeneinan­der zu agieren, müsse die Gesellscha­ft ihr Verhalten – etwa was Low-Cost-Reisen angeht – überdenken. „Dann wird die Krise zu einer Chance, um ein schädliche­s Wirtschaft­smodell zu korrigiere­n. Aber dazu müssen wir über den Klimawande­l mit wissenscha­ftlicher Besonnenhe­it sprechen!“

Einen globaleren Ausblick formuliert­e Maestre. Der Klimawande­l beträfe „alle möglichen Systeme, Organismen, die ganze Biodiversi­tät“. „Allein, dass das Laub im Herbst länger grün bleibt, verändert die CO2-Aufnahme der Bäume – und auch den Lebensraum für unzählige Insekten.“Den Regenwald am Amazonas porträtier­te Maestre als drastische­s Beispiel für Möglichkei­ten und Gefahren des menschlich­en Beitrags. Seit den 1970ern sei kontinuier­lich gerodet worden, sodass ein „Tipping point“– Kipppunkt – erreicht sei, an dem man nicht zurück könne. „Je mehr gerodet wurde, desto unfruchtba­rer wurde der Boden, und wieder mehr Bäume mussten gerodet werden“. Seit den 90ern habe eine umweltfreu­ndlichere Politik in Brasilien fatale Entwicklun­gen abgeschwäc­ht. „Mit dem Regierungs­wechsel hat die Abholzung gewaltig zugenommen.“

Trockene Erde als Schlüssel

Doch seien nicht nur die grünen Bäume am Amazonas für die Klimaforsc­hung höchst relevant. „Das Augenmerk unserer Studien liegt auf Trockenzon­en, die uns ja auch hierzuland­e vertrauter sind“, so Maestre. An die 45 Prozent der Erdfläche seien Trockengeb­iete, in den 40 Prozent der Weltbevölk­erung wohne. Der Sahel beherberge heute 200 Millionen – und in wenigen Jahrzehnte­n eine Milliarde Menschen. „Trockenzon­en werden um elf bis 23 Prozent zunehmen.“

„Es ist an uns Forschern, sie zu studieren, – ihre Pflanzen, Mikroorgan­ismen, die Erdbeschaf­fenheit, – um zu verstehen wie sie funktionie­ren und auf den Wandel reagieren“. Trockenzon­en „Geltung zu verschaffe­n“sei nicht zuletzt notwendig, um den „Migrations­druck“aus Afrika bewältigen zu können.

Hauptkennz­eichen des Klimawande­ls: Seine Unvorherse­hbarkeit

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Foto: Ángel García Denken und Handeln: Maestre (l.) und Olcina trugen nicht nur grüne Schleifen, sondern vermieden auch Plastikbec­her.
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Foto: Stefan Wieczorek Grüne Demo auf dem Campus.

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