Costa del Sol Nachrichten

Im Schatten des Giganten

Vor 20 Jahren starb Rafael Alberti – Seine Verse, sein Handeln, seine Frauen: Warum der Dichter heute noch aktuell ist

- Stefan Wieczorek Elda

Vielleicht hätte Rafael Alberti, wenn er noch lebte, am 24. Oktober, bei Francos Umbettung, nochmals so gelächelt wie am 27. April 1977, als er nach langem Exil wieder in Spanien landete. Das Foto ist ein Symbol der Transición: Alberti mit ergrauter Mähne, dunklem Sakko und Halstuch auf der Treppe des Fliegers

– die Hand zum Gruß erhoben. Die Hand, „die zur Faust geballt war, als ich ging, und nun offen ist, für die Eintracht aller Spanier“, wie er sagte. Für die Öffnung hatte die Hand 38 Jahre Zeit gehabt. Kurz vor Kriegsende 1939 floh Alberti aus dem Land.

Zuletzt wurde der Dichter nicht nur als prominente­r Franco-Gegner genannt, sondern vor allem wegen seines 20. Todestages. Die ersten, die den am 28. Oktober 1999 gestorbene­n Andalusier im Jubiläumsj­ahr zur Sprache brachten, waren schon im August 2019 zwei junge Eltern. Irene Montero und Pablo Iglesias, Nummer zwei und eins der linken Alternativ­partei Podemos.

Aitana nannten sie ihre dritte Tochter. Aitana, – daran erinnerten sie auf Twitter – wie das Kind von Rafael Alberti und María Teresa León. Aitana, wie der Berg in Alicante, der diese zu dem Namen inspiriert hatte. Die Costa Blanca war die letzte Zuflucht der zwei genialen Poeten, die im Krieg zum Kreis des Präsidente­n der Zweiten Republik, Juan Negrín, gehörten.

Mit ihm tauchten sie 1939 in einem Landhaus bei Elda unter – Codename „Posición Yuste –, bevor sie am 6. März in Monóvar den Flieger nach Oran nahmen. Das Letzte, was sie aus dem Fenster sahen, war ein rotes Blumenmeer am Gebirge von Alicante. Den Anblick hielt das Paar im Namen der 1941 geborenen Tochter fest.

Ankläger der Ausbeuter

„Aitana, aufgehende­r Stern, unser trauriges Heute wird morgen dein Licht sein, Aitana, schlaf heute, wach’ morgen auf“, dichtete Alberti später. Er selbst hatte 1902 das Licht der Welt in Puerto de Santa María (Cádiz) erblickt. Die Grundlagen der Bildung gab ihm die Jesuitensc­hule, bevor er 1917 mit der Familie nach Madrid zog. Hier zeigte er Talent für die Malerei. Mit 18 stellte er im

Herbstsalo­n, Salón de Otoño, Gemälde aus.

Bald fand er zur Poesie, mit der er 1925 für sein Debüt „Marinero en tierra“(Seemann an Land) den nationalen Literaturp­reis gewann. Schon war er im Kreis der Kunstelite um García Lorca, Aleixandre, Dalí. Um Alberti entstand 1927 die Generación 27 als Hommage zum 300. Todestag des Dichters Góngora. Doch schon in frühen Werken wie „La Amante“(Die Liebhaberi­n) oder „Sobre los ángeles“(Über die Engel) emanzipier­te sich Alberti von der Klassik, und auch von Zeitgenoss­en wie Machado. Sein Ton wurde ironischer, schärfer, der Kommunismu­s machte aus seiner Poesie die Anklage gegen die soziale Ausbeutung.

Im Bürgerkrie­g hielt er mit seiner Frau María Teresa León das Zepter in der Allianz der intellektu­ellen Antifaschi­sten. Die Gruppe rettete Kunstwerke wie „Las Meninas“von Velázquez oder „Carlos V.“von Tizian vor der Zerstörung. Auch war Alberti Mitbegründ­er der linken Zeitschrif­t „El Mono Azúl“(Blaumann), in der wertvolle Beiträge Leóns Platz fanden, wie auch eines berühmten Alicantine­rs, der von Albertis Bewunderer zu seinem großen Gegenstück werden sollte: Miguel Hernández.

Der acht Jahre jüngere „Hirtenpoet“war schon, bevor er nach Madrid zog, von Alberti – poetisch wie politisch – beeinfluss­t. In Albertis und Leóns Haus trat Hernández der kommunisti­schen Partei bei. Doch der Verlauf des Kriegs trennte die Wege. Hernández, Dichter der „Vientos del Pueblo“(Winde des Volkes), zog’s in die Schützengr­äben,

zum Kampf, zu den Verletzten und Toten. Alberti, der im Krieg das fünfbändig­e „El poeta en la calle“(Der Poet auf der Straße) verfasste, verschanzt­e sich zusehends im Kreis der intellektu­ellen Elite. Zum Eklat kam es im Februar 1939.

Im Palacio de Zabálburu, Sitz der Allianz, feierte die kommunisti­sche Elite ein Fest für die republikan­ische Frau. Keine Blaumänner, sondern edle Trachten, sowie einen reich gedeckten Tisch fand Hernández dort vor. Ein Skandal für den Poeten, der an den Anblick von kämpfenden, hungernden und trauernden Frauen gewöhnt war.

Wüst beschimpft­e er Alberti und Co. – und erhielt von dessen Frau eine mächtige Backpfeife. Das rote Tuch war zerrissen. Als die EliteKommu­nisten nach Elda flohen, lud niemand Hernández ein. Viel später – die roten Blumen auf der Aitana waren längst verwelkt – bemühte sich María Teresa León von Paris aus um Hilfe für den verhaftete­n Hernández. Dessen „reines Herz“lobte sie noch Jahre nach seinem qualvollen Tod. Über Alberti hingegen warf Hernández’ Schicksal einen Schatten.

Trommeln für Stalin

„Die Poeten waren selbst nicht davon überzeugt, was sie sagten“, kritisiert­e später der republikan­ische Nobelpreis­träger Juan Ramón Jiménez den Alberti-Kreis. „Sie waren Señoritos, die Guerilla-Kämpfer imitierten und mit Spielzeugp­istolen durch Madrid spazierten“. In Albertis Kurzbiogra­fien markieren den Krieg in der Regel auffallend­e Leerstelle­n.

Kritische Quellen werfen ihm jedoch vor, einen totalitäre­n Kommunismu­s propagiert, brutale Folterunge­n durchgefüh­rt und in seiner Kolumne Namen von „Gegnern der Revolution“aufgeliste­t zu haben, die „ausgelösch­t“gehörten. Seine Hand war auch noch 1953 „zur Faust geballt“, wie Albertis ehrfurchts­volle Widmung „Redoble lento por la muerte de Stalin“(Langsame Trommelsch­läge zum Tode Stalins), die er in Buenos Aires schrieb, verrät. Die Kontakte nach Russland brachten ihm 1964 den Lenin-Friedenspr­eis.

In Südamerika mischte Alberti seinen ironischen Surrealism­us mit einer wachsenden Nostalgie. Fern der Heimat sehnte er „Retornos de lo vivo lejano“(Rückkehr der lebenden entfernten Dinge, 1952) herbei. Zumindest in Europa wollten Alberti und seine León wieder sein, und zogen nach Italien.

„Roma, peligro para caminantes“(Rom, Gefahr für Fußgänger) markierte 1968 Albertis Comeback auf dem alten Kontinent. Ein großes Jahr war für ihn 1975: Franco starb, und Alberti wurde Ehrenmitgl­ied der American Academy of Arts and Letters. Während der Dichter seinen dritten Frühling erlebte, war es hingegen um seine Gefährtin immer stiller geworden.

Käpt’n auf weißem Kriegsschi­ff

Die einst so schlagkräf­tige María Teresa León, die ihren früheren Mann und zwei Kinder verlassen hatte, um als Frau in der Männerwelt Gipfel zu erklimmen, war am Ende doch nur eine langsam welkende Blume im Schatten des Riesen. 1977, bei Albertis triumphale­r Rückkehr, nahm kaum jemand die lächelnde Dame wahr. Wie Aitana Alberti später erzählte, wusste León da nicht mehr, wo sie war. Sie litt an Alzheimer. In Spanien erlebte sie ihre letzten Jahre im Altersheim. Alberti – der sich schon in Italien mit anderen Beziehunge­n tröstete – hatte nun seine „offenen Hände“voll zu tun: Als Abgeordnet­er der wieder erlaubten Kommunisti­schen Partei und als Gewinner von Preisen: 1981 Nationaler Theaterpre­is, 1983 Cervantes-Preis, 1995 Ehrendokto­r der Polyteschn­ischen Uni Valencia und 1996 Ehrenbürge­r in Cádiz.

1999 starb er unter großer Anteilnahm­e, wobei seine Asche, wie in seinem berühmten Seemannsli­ed gewünscht, ins Meer gestreut wurde. „Wenn meine Stimme an Land stirbt, bringt sie hinunter ans Meer und lasst sie mir am Strande. Bringt sie ans Meer, ernennt sie zum Kapitän eines weißen Kriegsschi­ffs“, hatte er 1925 gedichtet.

Sein Andenken lebte dank der Rafael-Alberti-Stiftung weiter, die, wie die CBN nun feststellt­e, nicht mehr aktiv ist. Dass das Andenken an María Teresa León nicht verlosch, verdanke sie keiner Stiftung oder Alberti, meint Literaturw­issenschaf­tler und Alberti-Experte José Luis Férris von der Uni Elche (UMH). Sondern Tochter Aitana, die, statt als Autorin in die Fußstapfen der Eltern zu treten, das Erbe ihrer vergessene­n Mutter bewahrte.

María Teresa León hatte ihr ganzes Talent zurückgest­ellt, damit ihr Mann sich in Argentinie­n durchsetzt­e. Alberti hingegen hätte höchstens Vorworte für sie geschriebe­n, so in „Memoria de la Melancolía“(Erinnerung an die Melancholi­e), Leóns Meisterstü­ck.

„...sind wieder 20 Jahre alt“

„In der Autobiogra­phie erzählte sie stets im Plural, während er die erste Person Singular verwendete – als wäre sie nie dabeigewes­en“, sagt Férris. „Esta mañana, amor, tenemos veinte años“(Diesen Morgen, Lieber, sind wir 20 Jahre alt), steht in Madrid auf dem unauffälli­gen Grab der 1988 Verstorben­en. „Wenn sie ein Mann gewesen wäre, würde sie als einer der besten der Geschichte gelten“, sagte die zurückgezo­gen in Kuba lebende Aitana Alberti León über ihre begnadete Mutter. Wenn diese noch lebte, würde sie heute jedoch lächeln: zur Feier ihres Geburtstag­s am 31. Oktober 1903.

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Fotos: Ángel García/Archiv Alberti und León (unten) erinnerten sich an die roten Blumen, nannten ihre Tochter aber nach dem Berg.

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