Wo Jesus die Nebenrolle spielt
Alcoy begeistert seit über 100 Jahren Groß und Klein mit Tirisiti-Krippenspiel – Komische Szenen und Lokalkolorit
Alcoy – ann/fin. In Alcoy spielt nicht das Jesuskind die weihnachtliche Hauptrolle, sondern ein kleines Männlein aus Holz in rotem Sakko und mit roter Mütze. Tirisiti heißt die Marionette, die in der selbsternannten Weihnachtsstadt seit über 100 Jahren die Geschichte von Maria und Josef erzählt, aber eben auch die eines berühmten Stierkämpfers aus der Stadt und die der Mauren- und Christenumzüge, für die Alcoy weit über die Grenzen Alicantes hinaus bekannt ist.
Als Marionetten-Krippenspiel voll von Lokalkolorit könnte man das Stück „El Betlem de Tirisiti“wohl am ehesten bezeichnen, das jedes Jahr im Handumdrehen ausverkauft ist und Groß und Klein verzaubert. Klein, weil ein Puppenspiel Kinderaugen immer zum Leuchten bringt. Groß wegen der vielen eingebauten Anekdoten, die – wenn man ein bisschen Spanisch und Valenciano versteht – zum Schreien sind.
Antiheld als Protagonist
Im Mittelpunkt der Geschichte steht Tirisiti, der Anführer des Dorfes – oder der sich zumindest dafür hält. Ein Held mit viel Pech, oder doch eher ein unfreundlicher Tolpatsch, der bekommt, was er verdient? Er legt sich jedenfalls mit jedem und allen an, hat einen schlechten Charakter und ist geizig – und trotzdem wird er von den Zuschauern heiß und innig geliebt. Ausgerechnet in seinem Wirtshaus suchen Maria und Josef eine Herberge
– naturgemäß weist der knauserige Alcoyaner das Paar ab.
Aufgeführt wird das Krippenspiel mit Stockpuppen, einer Technik, die hierzulande „de pie y varilla“genannt wird. Die kleinen hölzernen Puppen sind auf einem Stab befestigt und werden von unten durch Schlitze im Bühnenboden bewegt. Eine schwer zu erlernende Technik, die heute neben anderen Spielarten wie dem „reinen“Marionettentheater
oder dem Schwarzen Theater weitgehend in Vergessenheit geraten und verschwunden ist.
Das Bühnenbild zeigt die traditionsreiche Stadt im Alicantiner Hinterland, die Puppen lässt seit 1987 die Theatergruppe La Dependent tanzen. Eine Erzählerin führt durch die Rahmenhandlung, die echten Schauspieler hauchen den hölzernen mit den typisch abgehackten Bewegungen Leben ein. Komik entsteht dabei schon allein durch teils unkoordiniert schnelle, teils fein abgestimmte Bewegungen: Ein Klaps von Josef auf den Hintern von Marias Esel, der vom Pferd geworfene Balthasar oder Tirisiti, der einer vorübergehenden Kirchgängerin unter den Rock schaut, sorgen für Gelächter im Publikum.
Wie es zu Tirisiti kam
Und dann ist da noch Tirisitis grotesk verzerrte Stimme, die immer zur Heiterkeit beiträgt. Ein Effekt, der durch den Einsatz von zwei aufeinander geklebten Metallplättchen im Mund des Spielers erzeugt wird. Diese Technik wurde schon in der italienischen Commedia dell’arte angewendet.
Ihrer Stimme hat die Hauptfigur auch ihren Namen zu verdanken. Vorher hieß das Männlein einfach nur „der Wirt“. Doch durch die verzerrte Stimme klang es wie „Tirisiti“, wenn der Protagonist seine Ehefrau Tereseta rief, und so nannte das Publikum den sympathisch-unsympathischen Helden des Stücks mit der Zeit einfach so – bis schließlich das ganze Krippenspiel nach ihm benannt wurde.
Die Textgrundlage, die bis in die 90er Jahre lediglich mündlich überliefert war, ist immer gleich, allerdings wird sie jedes Jahr mit kleinen aktuellen Andeutungen gespickt. So ist sowohl der traditionelle Text als auch die jeweils veränderte Version stets mit ironischhumorvollen, auch schon mal antiklerikalen und sozialkritischen Pointen angereichert.
Der religiöse Teil wird dabei auf Castellano gespielt, alles, was mit Alcoy zu tun hat, auf Valenciano. Und auch bei der Weihnachtsgeschichte geht es natürlich nicht ganz ohne Ironie zu.
Der Großteil des Publikums kennt den Text in- und auswendig, gehört ein Besuch der „Betlem de Tirisiti“doch zum traditionellen Weihnachtsprogramm in Alcoy – und man wird des Spiels nicht müde. Im Gegenteil: Etwa 20.000 Menschen kommen Jahr für Jahr, um Tirisiti zu sehen.
Aufführungen gibt es bis 5. Januar mehrmals täglich im Teatro Principal von Alcoy. Tickets im Vorverkauf online auf www.ticket alcoi.com sowie jeweils eine halbe Stunde vor Aufführungs-Beginn an der Theaterkasse.