Liebe Leser,
An diesem Montag schlagen wir ein neues Kapitel in der Corona-Krise auf. Wir lassen die traumatischen Bilder hinter uns und folgen der Regierung und ihrem Vier-PhasenPlan in die neue Normalität. Wenn Sie bei dem letzten Teilsatz an George Orwell und „1984“denken, dann halten Sie jetzt inne, gehen bitte zurück auf Los und fangen nochmal das Lesen an. Wir warten solange auf Sie. Besser? Gut, wie Ministerpräsident Pedro Sánchez sagt, gehen wir zusammen rein und kommen zusammen wieder raus. Ende Juni, wenn es gut läuft. Und wir gehen davon aus, dass es gut läuft. Aus reiner Notwendigkeit.
Sie werden in dieser Ausgabe im Einzelnen lesen, was in dieser ersten Phase auf Sie zukommt. Vorwiegend handelt es sich um Erleichterungen. Ab Montag kann man endlich wieder Freunde treffen oder sich freier bewegen. Häppchenweise nehmen die persönlichen Freiheiten zu, ohne dass sie den Verlauf der Pandemie negativ beeinflussen. Das ist der Plan. Das Ziel, das uns am Ende der Phasen 1, 2 und 3 erwartet, aber ist zweischneidig, es ist eine neue Normalität. Ein Oxymoron in unserem Leben. Nichts was neu ist, kann gleichzeitig normal sein.
Unabhängig von dem, was kommen mag, sollten wir diese Phasen 1,2 und 3 wie einen Einschub sehen, die Ruhe vor dem Sturm. Wir können all das, was passierte, mal sacken lassen, das, was wir haben, genießen und für das, was kommt, Kraft schöpfen. Den ganzen Sommer lang. Dann aber zeichnen sich einschneidende Veränderungen ab. Vielleicht sollten wir die Zeit bis dahin nutzen, uns bewusst zu werden, dass vieles anders werden wird. Wer noch im Berufsleben steht, sollte sich eine wage Idee vom Jenseits seiner bisher angedachten Lebenspläne machen. In sechs Wochen Quarantäne mussten wir auf vieles verzichten, was uns wichtig erschien, und sehen vielleicht vieles, was wir zuvor für selbstverständlich hielten, in einem anderen Licht. Wir können die Spreu vom Weizen trennen. Menschlich sind wir gut gerüstet.
Niemand kann in die Zukunft schauen, aber wenn die Grenzen nicht öffnen, machen im Sommer hier nur die Supermärkte Kasse. Der Weg aus der Kurzarbeit mündet dann in die Arbeitslosigkeit. Die Masse an Leuten und Betrieben aus dem Dienstleistungssektor, die hier an der Küste von Juni bis September ihr Auskommen verdienen, gehen ohne Rücklagen in den Herbst und Winter – was unschöne Kettenreaktionen auslöst. Wer dann noch arbeitet, arbeitet noch mehr, unter noch schlechteren Bedingungen und für noch weniger Lohn. So wird die neue Normalität für viele aussehen und für einige womöglich noch schlimmer. Man sagt, es gibt in jeder Krise Gewinner und Verlierer. Niemand aber fragt, ob man dieses Spiel mitspielen muss. Wir haben es von 2008 bis 2014 erlebt, wir haben verloren und wir werden, wenn wir das nochmal mitmachen, wieder verlieren. Vielleicht sollten wir uns bei dieser neuen Normalität diesmal weniger auf das Normale und etwas mehr auf das Neue konzentrieren.