Tourismus und Krise
Mit heimischen Urlaubern zum Neustart, dann müssen Alternativen zum Massentourismus her
Murcia setzt auf Spanier: Wie sich die Branche auf die Saison der anderen Art vorbereitet
Murcia – sg. Wo steuert der Tourismus in Zeiten der Coronavirus-Krise hin? Keiner weiß es. „Die Sommersaison steht kurz bevor und die Ungewissheit ist groß“, sagte die Bürgermeisterin von Águilas, María del Carmen Moreno (PSOE) gegenüber der Zeitung „La Verdad“. „Wir können nichts planen.“Im Moment scheint die Krise unter Kontrolle zu sein, was einen Rückfall jedoch nicht ausschließt. Das wichtigste sei die Gesundheit der Bürger, so Moreno.
Das Landesministerium für Tourismus und die Hotelverbände von Murcia wollen ausschlachten, dass die Region bisher vergleichsweise glimpflich in der Coronavirus-Krise davon gekommen ist mit „nur“136 Opfern beim Stand vom 6. Mai. Murcia soll als „sauberes“, „virusfreies“und „sicheres“Urlaubsziel angepriesen werden. Ein Zertifikat soll als Aushängeschild dienen. Der Konkurrenzkampf zwischen den Autonomen Regionen in Spanien dürfte hart werden, da sie sich zunächst einen relativ kleinen Markt teilen müssen, nämlich die einheimischen Urlauber.
20.000 deutsche Urlauber
Eingeschränkte Reisemöglichkeiten, wenig Flugverbindungen, geschlossene Grenzen lassen den internationalen Tourismus zumindest in diesem Sommer einbrechen. Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) riet den Deutschen vorsorglich davon ab, ihren Sommerurlaub in diesem Jahr im Ausland zu verbringen. Allein die Region Murcia verliert dadurch fast 20.000 deutsche Urlauber. So viele verbrachten ihre Ferien von Juni bis September des vergangenen Jahres an der Costa Cálida.
Laut Nationalem Statistikinstitut INE gaben die Gäste 24,5 Millionen Euro aus. Dabei machen die
Deutschen in der Region nur 5,6 Prozent der ausländischen Urlauber in Murcia aus. Über 42 Prozent und damit die meisten kommen aus Großbritannien, gefolgt von Franzosen (15 Prozent) und Skandinaviern (7,5 Prozent).
Die Hotelverbände sagen einen Kampf ums Überleben voraus. Die Preise werden sinken und damit auch die Einnahmen. Etliche Betriebe werden auf der Strecke bleiben. Der Verband Hostemur verglich die Coronavirus-Krise mit dem Börsencrash von 1929, dem Auslöser der Weltwirtschaftskrise.
Nüchtern und sachlich gehen die Wirtschafts-Professorinnen von den Universitäten in Alicante und Alcalá, Ana Ramón und María Jesús Such, an das Thema Tourismus und Coronavirus-Krise heran. Eines sei sicher, schreiben sie in einem Artikel auf dem Wissenschaftsportal „The Conservation“:
Der Tourismus werde sich langsam wieder erholen, doch er werde anders sein als der Tourismus, den wir bis jetzt kannten.
Die Entwicklung gehe weg vom Massentourismus, schon allein wegen des geforderten Mindestabstands zwischen Menschen. In der Branche müsse ein Umdenken stattfinden.
Kurzfristig sind es nach Meinung der Wirtschaftswissenschaftlerinnen die Inlandstouristen und Besitzer von Ferienhäusern, die dem Sektor zu einem Neustart verhelfen. Profitieren könnte der Urlaub auf dem Land, der genügend Raum für den sozialen Abstand bietet. Dagegen werde der Kongresstourismus
abnehmen. Während der Ausgangssperre habe sich gezeigt, dass Tagungen und Meetings auch online abgehalten werden können.
Auf längere Frist müsse das bisherige Konzept des Massentourismus überdacht werden. Auch nach der Coronavirus-Krise werden weiterhin Beschränkungen bestehen, weshalb die Urlaubsorte nur eine begrenzte Zahl an Touristen aufnehmen können. Um den Andrang zu steuern und zu kontrollieren, seien intelligente, digitale Technologien nötig, meinen die Wissenschaftlerinnen.
Es könnte sich zudem ein neuer Markt auftun: Der spanische Tourismus könnte sich auf Gesundheit und Wellness spezialisieren, angesichts einer immer älter werdenden Bevölkerung in Europa, die auch noch von der Coronavirus-Krise gebeutelt wird.
Künstliche Intelligenz könnte in Zukunft den Tourismus steuern