Liebe Leser,
im Nachrichtengewitter um die Abriegelung der Hauptstadt Madrid wegen der hohen Corona-Ansteckungsgefahr verhallte die Ankündigung des Gesundheitsministeriums fast ungehört, dass die alljährliche Grippeimpfung am Montag begonnen hat. Spanien nimmt also Kurs auf das gefürchtete Szenario, in dem zwei einander recht ähnliche Infektionskrankheiten wie die Grippe und Covid-19 zeitlich zusammenfallen und das Gesundheitswesen stark unter Druck setzen könnten. Deswegen setzt sich das Gesundheitsministerium höhere Zielvorgaben als in vergangenen Jahren und will 75 Prozent aller Senioren über 65 Jahre und des Personals im Gesundheitswesen impfen lassen. Eine Vorsorge, die man derzeit an anderen Schauplätzen der Pandemie vermisst.
Die Situation ist keineswegs überall so entspannt wie in weiten Teilen der Mittelmeerküste. In Madrid stehen früh morgens Menschen vor den Gesundheitszentren Schlange. Derweil liefern sich die Regionalregierung unter der streitlustigen Ministerpräsidentin Isabel Díaz Ayuso und der seit dem Ende des Deeskalationsplans viel zu nachlässig auftretenden Zentralregierung ihre zu gar nichts führenden Scharmützel. Im Chaos über die Abriegelungs-Regeln der Hauptstadt und ihre absurden Konsequenzen hat die Politik an diesem Wochenende das letzte verbliebene Vertrauen der Bevölkerung verspielt – und prompt von über 50 Verbänden aus Medizin und Forschung ein vernichtendes Zeugnis über die konfusen Covid-19-Eindämmungsmaßnahmen ausgestellt bekommen. Ganz anders als in Deutschland scheint in Spanien der gesellschaftliche Konsens über die Anti-Corona-Maßnahmen um ein Vielfaches höher zu sein als der politische. Die Politik muss diesen Konfrontationskurs ändern, Madrid kann nicht warten. Die Stadt mutiert sonst im Herbst zu einer Zeitbombe für das Gesundheitswesen wie schon einmal geschehen.
Erleben wir nun an der Küste die Ruhe vor dem Wintersturm? Das Coronavirus hat vielerorts an Gefahr eingebüßt, weil man mehr darüber weiß und das Gesundheitswesen besser rüstet. Sein Wesen hat das Virus aber nur unwesentlich verändert. Ausbrüche wird es immer wieder und kann es überall geben wie die 168 Fälle an der Polytechnischen Universität von Valencia. In dicht besiedelten Gebieten wie in und um die Metropolen Madrid und Barcelona breitet es sich stärker und flächendeckender aus als auf dem Land. Das merkt man in Küstenstädten, in denen die Ansteckungen mit dem Ausklang der Hochsaison spürbar nachgelassen haben. Seitdem leiden verstärkt Altersgruppen über 65 Jahren an Covid-19. Es wird halt auch in Spanien kälter, die Familien kommen häufiger in ihren Wohnungen zusammen und ältere Menschen sind einer höheren Ansteckungsgefahr ausgesetzt als im Sommer. All das ist ebenso bekannt wie die Tatsache, dass eigentlich in wärmeren Gefilden genauso Vorsicht angebracht ist und das Coronavirus gerne dann zuschlägt, wenn niemand mehr mit ihm rechnet.