Jakob der Eroberer
Am 9. Oktober feiert die Comunidad Valenciana sich selbst – Was wirklich geschah ...
Der Sieger schreibt die Geschichte. Und so teilt die valenciansche Landesregierung, wohlgemerkt eine Linksregierung, dieser Tage den Bürgern in einer Aussendung mit, dass „wir am 9. Oktober unserer Gründung als Volk, geschmiedet in acht Jahrhunderten Geschichte, erinnern.“Mehr noch: „Das valencianische Volk kämpft heute mit der gleichen Entschlossenheit gegen einen Feind, der so mächtig ist wie jener, gegen den sich vor 782 Jahren König Jaime I. stellte“. Seriöse Historiker müssen bei einem solchen Gleichnis körperliche Schmerzen erleiden.
Dass Gründungsmythen von Nationen an den Haaren herbeigezogen wurden, ist nichts Neues, denn das Konstrukt einer Nation, der Nationalismus selbst, musste ja eine Funktion erfüllen: Die künstliche Schaffung von Grenzen, die Abgrenzung „Wir“gegen „Die“, zur Definition von Interessenssphären.
Akt der Emanzipation
Nichts anderes macht der 9. Oktober in Valencia: Eine Identität gegen eine andere konstruieren. Seit 1976 feiert Valencia den Tag der Comunidad Valenciana.
Nach der Franco-Diktatur, die alles unter dem Banner eines Großspanien gleichschaltete, war das ein verständlicher Akt der Emanzipation und eine Betonung der kulturellen und regionalen Vielfalt der Spanier als Galicier, Basken, Valencianer, Katalanen oder Andalusier. Doch auch schon 100 Jahre nach den Heldentaten von Jaime I. 1238 wurden zu dessen Ehren in Valencia Prozessionen veranstaltet. Die Kurzformel damals wie heute lautete: Jaime I., König von Aragón, eroberte Valencia von den Mauren für die Christenheit zurück und gründete das Königreich Valencia, Basis der heutigen spanischen Region.
Was wirklich geschah: Das 12. und 13. Jahrhundert waren, in der
langen Reihe blutiger Jahrhunderte in Europa, mit die kriegerischsten. In Spanien lief die sogenannte Reconquista zu erster Hochform auf, denn die islamischen Herrscher boten ein Bild der Zersplitterung und Schwäche. Nach dem Zerfall des Kalifats von Córdoba im 11. Jahrhundert splittete sich Ál-Andalus in mehreren Wellen in etliche Kleinreiche auf, die
Taifas. Aus
Afrika
schickten sich radikal-islamische Stämme, die Almoraviden und Almohaden an, Al-Ándalus neu unter sich aufzuteilen. Das christliche Königreich Kastilien gewann durch clevere Allianzen und brutale Gewalt immer mehr an Einfluss, Juden, die früher in den Mauren ihre Schutzmacht sahen, flohen angesichts der Invasion der Fundamentalisten zu den Kastiliern. Die Krone von Aragón war der andere christliche Machtfaktor auf der iberischen
Halbinsel,
in losem
Gefüge von Katalonien, Oxitanien, Baskenland, Navarra und natürlich Aragón im Zentrum.
Der Prinz aus Oxitanien
Valencia, unter den Römern als Valentia und bei den Mauren Balansyia geheißen, war 1094 schon einmal „christlich“erobert worden, vom sagenhaften Ritter El Cid, der in Wahrheit ein brutaler SöldnerGeneral war, der seine Loyalität an den Meistbietenden verkaufte, sogar für die Moslems kämpfte er zeitweise. Der errichtete eine grausame Diktatur in der Stadt und presste alles heraus, was er nur konnte. Die Unzufriedenheit der Bewohner öffnete den Mauren so erneut die Tore zur Stadt. 1102, drei Jahre nach dem Tod des Cid, erobern die Almoraviden Valencia, gefolgt von den Almohaden, die auch für Al-Ándalus feindliche Eindringlinge waren. Muhámmad ibn Mardanís, der einer hispano-gotischen, also christlichen Adelsfamilie entstammte, die zum Islam konvertiert war, stieg in dieser Zeit zur Legende als Rey Lobo, Wolfskönig auf. Er wurde Emir des Taifas Murcia und verteidigte Valencia und Murcia lange gegen die Almohaden, in endlosen Schlachten seit 1144. 1171 siegten dennoch die Almohaden und herrschten bis 1238, bis Jaime I. von Aragón die Stadt erobern konnte.
Jaime El Conquistador auf Kastilisch oder Jaume auf Katalanisch, Jakob der Eroberer auf Deutsch, ist schon als kleines Kinde Vollwaise geworden. Geboren wird er 1208 in Montpellier, damals Oxitanien, heute Frankreich, seine Mutter soll Abkömmling eines byzantinischen Kaisers gewesen sein. Doch sein Vater sah in ihr eher eine Konkubine und tat sich schwer, den Sohn als Nachfolger anzuerkennen. Jaimes Onkel übernahmen in einer Art Weisenrat die Regentschaft für den erst sechsjährigen König, zerstritten sich mit dem aragonesischen Adel und es brauchte lange, bis Jaime sich in Zaragoza eine Lobby schuf, die seine geerbte Macht stützte.
Erzogen wurde er von Gelehrten aus dem Umfeld der Tempelritter und als Feldherr einte er letztlich auch die Streithähne für das gemeinsame Ziel der Expansion, für das er auch das schwächelnde Reich von Navarra gewann, wo sich König Sancho VII. durch die Krone Kastiliens in der Existenz bedroht sah. Am Ende vereinte Jaime über eine Adoption und die Zusicherung von Schutz Navarra mit der Krone von Aragón und stellte seinen Adeligen neue Besitzungen in Aussicht.
Erste Station: Mallorca
Zunächst eroberte der König von Aragón und Katalonien, der Jaime nun endlich unstrittig war, die Balearen. Auf Mallorca musste er jahrelang bitter kämpfen und verausgabte sich so, dass er sich am Ende damit begnügte, Menorca zunächst in den Händen eines tributpflichtigen Emirs zu belassen. Sein Balearen-Feldzug brachte ihm viel Ruhm ein, der Papst erhob seinen Griff nach Valencia daher 1237 zum Kreuzzug.
Jaime versammelte Ritter und andere Adelige, die bereits auf eigene Faust die eine oder andere Burg erobert hatten, brachte einen ehemaligen maurischen Verwalter Valencias, der nun im Norden Länder beherrschte, zum Überlaufen, mit dem Versprechen ihn wieder zum Bürgermeister Valencias
zu machen und begann 1232 seine Eroberungen. Bis 1233 nahm er Borriana, Chivert, Castellón und Almazora ein. Die Güter der Mauren und den Besitz der Juden ließ er beschlagnahmen, um damit die Ritter bei Laune zu halten und seine Truppe bezahlen zu können. Man kann es drehen und wenden wie man will, die Krone von Aragón expandierte, hier wurde nichts zurückerobert, Jaimes Feld- war ein klassischer Raub- und Eroberungszug, das Kreuz voran die Rechtfertigung.
Einmarsch in Valencia
1235 war am Fluss Júcar erstmal Schluss, die Belagerung von Cullera musste abgebrochen werden, Zuhause waren einige Dinge zu regeln. Der navarresische Adel hielt sich nicht an das Erbabkommen und holte sich einen Grafen aus der Champagne, den sie zu ihrem König Theobald I. machten. In Barcelona heiratete Jaime zum zweiten Male. Nach der 1244 verstorbenen Elonore von Kastilien, Enkelin von Henry II. von England, war es diesmal Yolanda von Ungarn, deren Mutter auch mit dem Kaiserhaus in Constantinopel verbunden war. Auch sie starb bald, 1251, mit 32 Jahren. Katalanen und Aragoneser mussten mühsam von einer Weiterführung des Kreuzzuges überzeugt werden, Jaime bekam sein Geld gegen Versprechen und zog wieder gen Süden.
Durch einen Sieg in El Puig de Santa María, nur zehn Kilometer vor den Stadttoren Valencias gelegen, verschaffte Jaime sich 1238 den entscheidenden strategischen Vorteil. Valencias Herrscher, Emir Zayyan, hoffte vergeblich auf die Rettung durch ihm zugesagte Truppen aus Tunesien. Der Sultan von Tunis schickte sie zwar los, als sie aber Valencia schon belagert sahen, verging ihnen die Lust zu kämpfen und sie drehten wieder ab.
Tempel auf vielen Säulen
Am 28. September 1238 wurde die Kapitulation Valencias besiegelt, die maurische und jüdische Oberschicht erhielt freies Geleit, die meisten exilierten nach Murcia. Am 9. Oktober dann prozessierte Jaime I. in Valencia ein. Auch hier folgten die Tilgung des Eigentums und die Neuverteilung der Güter. Wer sich nicht unterwarf, wurde massakriert, es galten die gleichen Regeln wie damals 711, nur jetzt unter dem Kreuz, nicht mehr unter der Mondsichel.
Der Sieg machte Jaime zum anerkannten Eroberer, König Ludwig IX. von Frankreich sandte ihm einen Dorn aus Jesus Dornenkrone, die noch heute in der Kathedrale
von Valencia zu sehen ist, die die
Sieger auf den Grundmauern der Hauptmoschee errichteten, die wiederum auf den Fundamenten einer Kathedrale der Goten ruhen, die auf einen römischen JupiterTempel gebaut wurden. Der Dorn und der Heilige Gral, der von Huesca später nach Valencia kam und Jaimes Verbindung zu den Tempelrittern bezeugen soll, sind für Valencias Christen bis heute die Insignien ihres Sieges.
Ab Valencia Stadt wurde es für Jaime aber kompliziert. Die Mauren mussten auf seinen Druck alle Burgen und Orte bis Dénia räumen, doch ab Alicante stieß der Aragoneser wieder auf islamischen Widerstand und gleichzeitig auf die Interessen der Krone von Kastilien. Dennoch eroberte er in den 40er Jahren die Burgen im Süden, Villena, Alcira und bis 1245 auch Biar, im unmittelbaren Hinterland von Alicante. Er schlug mehrere maurische Aufstände nieder, 1247 erhoben sich die Bewohner Valencias unter Al-Azraq und es dauerte bis 1258, bis Jaime seine Macht wenigstens in Valencia selbst gefestigt hatte. 1266 dann krönte Jaime seine Laufbahn und eroberte auch noch Murcia und so nach Valencia und Mallorca das dritte muslimische Königreich.
Von Alicante und dem Süden Valencias sowie Murcia musste Jakob der Eroberer aber die Finger lassen. 1247 marschierte Kastiliens Kronprinz, später König Alfonso X. der Weise genannt, in Alicante und den Süden Valencias ein, im gleichen Jahr eroberte sein Vater, König Fernando III., Sevilla. Es dauerte bis 1296, 20 Jahre nach Jaimes Tod in Alcira, das auch Alicante ins Königreich Valencia eingegliedert wurde, nach etlichen christlichen Bruderkriegen.
Dass Valencia nicht einfach zu einem Teil Aragóns wurde, sondern seine eigene Rechtsprechung, Währung und Verwaltung und sogar den Titel eines Königreiches bekam, war ein Zugeständnis an Kastilien, das ein zu mächtiges geeintes Aragón ebenso wenig duldete wie Frankreich, aber auch ein Deal mit den lokalen Adeligen, die man für ihre Treue entlohnen musste und ihnen so eine Art Steuerparadies schuf.
Mit der Eroberung leerten sich die Orte, eine Besiedlungskampagne ließ tausende Familien vor allem aus Aragón, aber auch Navarra, Katalonien und Mallorca in valencianische Lande kommen. Das Gros der einfachen Bevölkerung blieb indes eine Mixtur aus Nachfahren ibero-gotisch-römisch-islamischer Hispanier, die mal christlich, dann wieder islamisch konvertierten und nun wieder zurückkonvertiert waren. An ihrem durchgehenden Elend änderten die religiösen Etikettierungen wenig.
Ein nicht unwesentlicher Teil der Bewohner vor allem des Südens Valencias kam auch aus den Ländern Kastiliens, was erklären hilft, warum sich die Valencianer für ein unabhängiges Groß-Katalonien bis heute nicht so recht begeistern mögen.
Während Kastilien zumindest bis zu den Katholischen Königen (eigentlich nur bis zu den Judenpogromen
von Sevilla 1391) relativ tolerant mit den maurischen und jüdischen Altbesiedlern war, sie integrierte und mit ihnen paktierte, merzten die Aragoneser bei ihren Eroberungen ihre Spuren weitgehend aus. Die überlieferten Toleranzedikte waren rein taktischer Natur.
In Córdoba hat man zwar eine Kathedrale in die Hauptmoschee gerammt, das muslimische Gotteshaus aber stehen lassen, der Alcázar in Sevilla wurde als Königssitz erweitert, aber nicht zerstört. Die Alcazaba mitten in Málaga blieb erhalten und Carlos I. ließ sich seinen Palast in die Alhambra von Granada so bauen, dass er die besten Blicke auf die Nasriden-Paläste und die Gärten des Generalife hatte. In Valencia muss man maurisches Erbe mit der Lupe suchen.
Dass die Reconquista dennoch nicht bedeuten konnte, dass von heute auf morgen alles Muslimische getilgt und durch christliche Gebräuche ersetzt wurde, kann man in Valencia sehr schön an den
Baños del Almirante in der gleichnamigen Straße ablesen, „arabischen“Bädern, die erst knapp 100 Jahre nach der christlichen Eroberung Valencias, um 1320 errichtet wurden. Aus der gleichen Zeit, Anfang des 14. Jahrhunderts, stammt der Almudín, ein Lager und Handelsplatz für Weizen ganz in maurischer Machart an der Plaza de San Luis Bertrán.
1490 erhielt Valencia von den Katholischen Königen die Stadtprivilegien, nach 1492, also dem Ende der Reconquista, kam es bald zu neuen Machtkämpfen zwischen der Krone von Aragón und der
Krone Kastiliens um die beste Ausgangsposition und die besten Häfen für die Schätze der Neuen Welt. Valencia erlebte ab Ende des 15. und im 16. Jahrhundert eine Blütezeit, aber keine sehr lange. Die Seidenbörse, Lonja de la Seda, ab 1470 ist das beeindruckende Zeugnis dieser Epoche in Valencias Innenstadt. Auch der Palacio
del Almirante, Calle Palau 14 aus dem 15. Jahrhundert gehört in diese Zeit und ist eines der Beispiele der Mudéjar-Architektur, die in Andalusien zu Blüte kam, in „aragonesischen“Landen aber eher ein Exot blieb. Heute sitzt hier das valencianische Finanzministerium, davor waren es die Markgrafen von Guadalest. Namensgeber des Stadtpalais sind die arabischen Bäder, die hier früher sprudelten.
Die Einigkeit der spanischen Granden und der historischen Herrscherhäuser unter einer Krone, jener Carlos I., blieb nur eine äußere. Als der gemeinsame Feind, der Islam, verschwunden war, brach die alte Rivalität zwischen Zentralspanien und Katalonien, das ideologisch das Erbe Aragóns übernahm, wieder auf. Im Spanischen Erbfolgekrieg Anfang des 18. Jahrhunderts setzten Valencia wie die Katalanen auf die Österreicher und ihren Erzherzog Karl als neuen König von Spanien, also letztlich auf die falsche Seite. Die Borbonen bestraften Valencia mit der Abschaffung der Privilegien, das Königreich Valencia wie die Krone von Aragón hörten als eigenständige Struktur auf zu existieren.
Jaime schreibt Geschichte
Jaume I., Valencias Held, schrieb seine Geschichte selbst in einer mehrbändigen Chronik auf. Das „Llibre dels feyts“, in etwa das „Buch der Geschehnisse“, stellte über Jahrhunderte sicher, wie die Geschichte zu deuten war.
In gewisser Weise folgen sogar die Worte des heutigen valencianischen Ministerpräsidenten zum 9. Oktober dieser Beschreibung. Neben historischen Details und viel Schlachtenlärm, sticht in Jaimes Chronik immer wieder die Betonung des Gottesgnadentums heraus, das ihn zu seiner Aufgabe bestimmt habe. Heute wird er als Gründervater der Valencianer und Valencias vergöttert, dessen Spirit wahrscheinlich sogar das Coronavirus besiegen wird. Der Sieger schreibt die Geschichte ...
Am Elend des Volkes änderten die religiösen Etiketten wenig