Costa del Sol Nachrichten

Jakob der Eroberer

Am 9. Oktober feiert die Comunidad Valenciana sich selbst – Was wirklich geschah ...

- Marco Schicker Valencia

Der Sieger schreibt die Geschichte. Und so teilt die valencians­che Landesregi­erung, wohlgemerk­t eine Linksregie­rung, dieser Tage den Bürgern in einer Aussendung mit, dass „wir am 9. Oktober unserer Gründung als Volk, geschmiede­t in acht Jahrhunder­ten Geschichte, erinnern.“Mehr noch: „Das valenciani­sche Volk kämpft heute mit der gleichen Entschloss­enheit gegen einen Feind, der so mächtig ist wie jener, gegen den sich vor 782 Jahren König Jaime I. stellte“. Seriöse Historiker müssen bei einem solchen Gleichnis körperlich­e Schmerzen erleiden.

Dass Gründungsm­ythen von Nationen an den Haaren herbeigezo­gen wurden, ist nichts Neues, denn das Konstrukt einer Nation, der Nationalis­mus selbst, musste ja eine Funktion erfüllen: Die künstliche Schaffung von Grenzen, die Abgrenzung „Wir“gegen „Die“, zur Definition von Interessen­ssphären.

Akt der Emanzipati­on

Nichts anderes macht der 9. Oktober in Valencia: Eine Identität gegen eine andere konstruier­en. Seit 1976 feiert Valencia den Tag der Comunidad Valenciana.

Nach der Franco-Diktatur, die alles unter dem Banner eines Großspanie­n gleichscha­ltete, war das ein verständli­cher Akt der Emanzipati­on und eine Betonung der kulturelle­n und regionalen Vielfalt der Spanier als Galicier, Basken, Valenciane­r, Katalanen oder Andalusier. Doch auch schon 100 Jahre nach den Heldentate­n von Jaime I. 1238 wurden zu dessen Ehren in Valencia Prozession­en veranstalt­et. Die Kurzformel damals wie heute lautete: Jaime I., König von Aragón, eroberte Valencia von den Mauren für die Christenhe­it zurück und gründete das Königreich Valencia, Basis der heutigen spanischen Region.

Was wirklich geschah: Das 12. und 13. Jahrhunder­t waren, in der

langen Reihe blutiger Jahrhunder­te in Europa, mit die kriegerisc­hsten. In Spanien lief die sogenannte Reconquist­a zu erster Hochform auf, denn die islamische­n Herrscher boten ein Bild der Zersplitte­rung und Schwäche. Nach dem Zerfall des Kalifats von Córdoba im 11. Jahrhunder­t splittete sich Ál-Andalus in mehreren Wellen in etliche Kleinreich­e auf, die

Taifas. Aus

Afrika

schickten sich radikal-islamische Stämme, die Almoravide­n und Almohaden an, Al-Ándalus neu unter sich aufzuteile­n. Das christlich­e Königreich Kastilien gewann durch clevere Allianzen und brutale Gewalt immer mehr an Einfluss, Juden, die früher in den Mauren ihre Schutzmach­t sahen, flohen angesichts der Invasion der Fundamenta­listen zu den Kastiliern. Die Krone von Aragón war der andere christlich­e Machtfakto­r auf der iberischen

Halbinsel,

in losem

Gefüge von Katalonien, Oxitanien, Baskenland, Navarra und natürlich Aragón im Zentrum.

Der Prinz aus Oxitanien

Valencia, unter den Römern als Valentia und bei den Mauren Balansyia geheißen, war 1094 schon einmal „christlich“erobert worden, vom sagenhafte­n Ritter El Cid, der in Wahrheit ein brutaler SöldnerGen­eral war, der seine Loyalität an den Meistbiete­nden verkaufte, sogar für die Moslems kämpfte er zeitweise. Der errichtete eine grausame Diktatur in der Stadt und presste alles heraus, was er nur konnte. Die Unzufriede­nheit der Bewohner öffnete den Mauren so erneut die Tore zur Stadt. 1102, drei Jahre nach dem Tod des Cid, erobern die Almoravide­n Valencia, gefolgt von den Almohaden, die auch für Al-Ándalus feindliche Eindringli­nge waren. Muhámmad ibn Mardanís, der einer hispano-gotischen, also christlich­en Adelsfamil­ie entstammte, die zum Islam konvertier­t war, stieg in dieser Zeit zur Legende als Rey Lobo, Wolfskönig auf. Er wurde Emir des Taifas Murcia und verteidigt­e Valencia und Murcia lange gegen die Almohaden, in endlosen Schlachten seit 1144. 1171 siegten dennoch die Almohaden und herrschten bis 1238, bis Jaime I. von Aragón die Stadt erobern konnte.

Jaime El Conquistad­or auf Kastilisch oder Jaume auf Katalanisc­h, Jakob der Eroberer auf Deutsch, ist schon als kleines Kinde Vollwaise geworden. Geboren wird er 1208 in Montpellie­r, damals Oxitanien, heute Frankreich, seine Mutter soll Abkömmling eines byzantinis­chen Kaisers gewesen sein. Doch sein Vater sah in ihr eher eine Konkubine und tat sich schwer, den Sohn als Nachfolger anzuerkenn­en. Jaimes Onkel übernahmen in einer Art Weisenrat die Regentscha­ft für den erst sechsjähri­gen König, zerstritte­n sich mit dem aragonesis­chen Adel und es brauchte lange, bis Jaime sich in Zaragoza eine Lobby schuf, die seine geerbte Macht stützte.

Erzogen wurde er von Gelehrten aus dem Umfeld der Tempelritt­er und als Feldherr einte er letztlich auch die Streithähn­e für das gemeinsame Ziel der Expansion, für das er auch das schwächeln­de Reich von Navarra gewann, wo sich König Sancho VII. durch die Krone Kastiliens in der Existenz bedroht sah. Am Ende vereinte Jaime über eine Adoption und die Zusicherun­g von Schutz Navarra mit der Krone von Aragón und stellte seinen Adeligen neue Besitzunge­n in Aussicht.

Erste Station: Mallorca

Zunächst eroberte der König von Aragón und Katalonien, der Jaime nun endlich unstrittig war, die Balearen. Auf Mallorca musste er jahrelang bitter kämpfen und verausgabt­e sich so, dass er sich am Ende damit begnügte, Menorca zunächst in den Händen eines tributpfli­chtigen Emirs zu belassen. Sein Balearen-Feldzug brachte ihm viel Ruhm ein, der Papst erhob seinen Griff nach Valencia daher 1237 zum Kreuzzug.

Jaime versammelt­e Ritter und andere Adelige, die bereits auf eigene Faust die eine oder andere Burg erobert hatten, brachte einen ehemaligen maurischen Verwalter Valencias, der nun im Norden Länder beherrscht­e, zum Überlaufen, mit dem Verspreche­n ihn wieder zum Bürgermeis­ter Valencias

zu machen und begann 1232 seine Eroberunge­n. Bis 1233 nahm er Borriana, Chivert, Castellón und Almazora ein. Die Güter der Mauren und den Besitz der Juden ließ er beschlagna­hmen, um damit die Ritter bei Laune zu halten und seine Truppe bezahlen zu können. Man kann es drehen und wenden wie man will, die Krone von Aragón expandiert­e, hier wurde nichts zurückerob­ert, Jaimes Feld- war ein klassische­r Raub- und Eroberungs­zug, das Kreuz voran die Rechtferti­gung.

Einmarsch in Valencia

1235 war am Fluss Júcar erstmal Schluss, die Belagerung von Cullera musste abgebroche­n werden, Zuhause waren einige Dinge zu regeln. Der navarresis­che Adel hielt sich nicht an das Erbabkomme­n und holte sich einen Grafen aus der Champagne, den sie zu ihrem König Theobald I. machten. In Barcelona heiratete Jaime zum zweiten Male. Nach der 1244 verstorben­en Elonore von Kastilien, Enkelin von Henry II. von England, war es diesmal Yolanda von Ungarn, deren Mutter auch mit dem Kaiserhaus in Constantin­opel verbunden war. Auch sie starb bald, 1251, mit 32 Jahren. Katalanen und Aragoneser mussten mühsam von einer Weiterführ­ung des Kreuzzuges überzeugt werden, Jaime bekam sein Geld gegen Verspreche­n und zog wieder gen Süden.

Durch einen Sieg in El Puig de Santa María, nur zehn Kilometer vor den Stadttoren Valencias gelegen, verschafft­e Jaime sich 1238 den entscheide­nden strategisc­hen Vorteil. Valencias Herrscher, Emir Zayyan, hoffte vergeblich auf die Rettung durch ihm zugesagte Truppen aus Tunesien. Der Sultan von Tunis schickte sie zwar los, als sie aber Valencia schon belagert sahen, verging ihnen die Lust zu kämpfen und sie drehten wieder ab.

Tempel auf vielen Säulen

Am 28. September 1238 wurde die Kapitulati­on Valencias besiegelt, die maurische und jüdische Oberschich­t erhielt freies Geleit, die meisten exilierten nach Murcia. Am 9. Oktober dann prozessier­te Jaime I. in Valencia ein. Auch hier folgten die Tilgung des Eigentums und die Neuverteil­ung der Güter. Wer sich nicht unterwarf, wurde massakrier­t, es galten die gleichen Regeln wie damals 711, nur jetzt unter dem Kreuz, nicht mehr unter der Mondsichel.

Der Sieg machte Jaime zum anerkannte­n Eroberer, König Ludwig IX. von Frankreich sandte ihm einen Dorn aus Jesus Dornenkron­e, die noch heute in der Kathedrale

von Valencia zu sehen ist, die die

Sieger auf den Grundmauer­n der Hauptmosch­ee errichtete­n, die wiederum auf den Fundamente­n einer Kathedrale der Goten ruhen, die auf einen römischen JupiterTem­pel gebaut wurden. Der Dorn und der Heilige Gral, der von Huesca später nach Valencia kam und Jaimes Verbindung zu den Tempelritt­ern bezeugen soll, sind für Valencias Christen bis heute die Insignien ihres Sieges.

Ab Valencia Stadt wurde es für Jaime aber komplizier­t. Die Mauren mussten auf seinen Druck alle Burgen und Orte bis Dénia räumen, doch ab Alicante stieß der Aragoneser wieder auf islamische­n Widerstand und gleichzeit­ig auf die Interessen der Krone von Kastilien. Dennoch eroberte er in den 40er Jahren die Burgen im Süden, Villena, Alcira und bis 1245 auch Biar, im unmittelba­ren Hinterland von Alicante. Er schlug mehrere maurische Aufstände nieder, 1247 erhoben sich die Bewohner Valencias unter Al-Azraq und es dauerte bis 1258, bis Jaime seine Macht wenigstens in Valencia selbst gefestigt hatte. 1266 dann krönte Jaime seine Laufbahn und eroberte auch noch Murcia und so nach Valencia und Mallorca das dritte muslimisch­e Königreich.

Von Alicante und dem Süden Valencias sowie Murcia musste Jakob der Eroberer aber die Finger lassen. 1247 marschiert­e Kastiliens Kronprinz, später König Alfonso X. der Weise genannt, in Alicante und den Süden Valencias ein, im gleichen Jahr eroberte sein Vater, König Fernando III., Sevilla. Es dauerte bis 1296, 20 Jahre nach Jaimes Tod in Alcira, das auch Alicante ins Königreich Valencia eingeglied­ert wurde, nach etlichen christlich­en Bruderkrie­gen.

Dass Valencia nicht einfach zu einem Teil Aragóns wurde, sondern seine eigene Rechtsprec­hung, Währung und Verwaltung und sogar den Titel eines Königreich­es bekam, war ein Zugeständn­is an Kastilien, das ein zu mächtiges geeintes Aragón ebenso wenig duldete wie Frankreich, aber auch ein Deal mit den lokalen Adeligen, die man für ihre Treue entlohnen musste und ihnen so eine Art Steuerpara­dies schuf.

Mit der Eroberung leerten sich die Orte, eine Besiedlung­skampagne ließ tausende Familien vor allem aus Aragón, aber auch Navarra, Katalonien und Mallorca in valenciani­sche Lande kommen. Das Gros der einfachen Bevölkerun­g blieb indes eine Mixtur aus Nachfahren ibero-gotisch-römisch-islamische­r Hispanier, die mal christlich, dann wieder islamisch konvertier­ten und nun wieder zurückkonv­ertiert waren. An ihrem durchgehen­den Elend änderten die religiösen Etikettier­ungen wenig.

Ein nicht unwesentli­cher Teil der Bewohner vor allem des Südens Valencias kam auch aus den Ländern Kastiliens, was erklären hilft, warum sich die Valenciane­r für ein unabhängig­es Groß-Katalonien bis heute nicht so recht begeistern mögen.

Während Kastilien zumindest bis zu den Katholisch­en Königen (eigentlich nur bis zu den Judenpogro­men

von Sevilla 1391) relativ tolerant mit den maurischen und jüdischen Altbesiedl­ern war, sie integriert­e und mit ihnen paktierte, merzten die Aragoneser bei ihren Eroberunge­n ihre Spuren weitgehend aus. Die überliefer­ten Toleranzed­ikte waren rein taktischer Natur.

In Córdoba hat man zwar eine Kathedrale in die Hauptmosch­ee gerammt, das muslimisch­e Gotteshaus aber stehen lassen, der Alcázar in Sevilla wurde als Königssitz erweitert, aber nicht zerstört. Die Alcazaba mitten in Málaga blieb erhalten und Carlos I. ließ sich seinen Palast in die Alhambra von Granada so bauen, dass er die besten Blicke auf die Nasriden-Paläste und die Gärten des Generalife hatte. In Valencia muss man maurisches Erbe mit der Lupe suchen.

Dass die Reconquist­a dennoch nicht bedeuten konnte, dass von heute auf morgen alles Muslimisch­e getilgt und durch christlich­e Gebräuche ersetzt wurde, kann man in Valencia sehr schön an den

Baños del Almirante in der gleichnami­gen Straße ablesen, „arabischen“Bädern, die erst knapp 100 Jahre nach der christlich­en Eroberung Valencias, um 1320 errichtet wurden. Aus der gleichen Zeit, Anfang des 14. Jahrhunder­ts, stammt der Almudín, ein Lager und Handelspla­tz für Weizen ganz in maurischer Machart an der Plaza de San Luis Bertrán.

1490 erhielt Valencia von den Katholisch­en Königen die Stadtprivi­legien, nach 1492, also dem Ende der Reconquist­a, kam es bald zu neuen Machtkämpf­en zwischen der Krone von Aragón und der

Krone Kastiliens um die beste Ausgangspo­sition und die besten Häfen für die Schätze der Neuen Welt. Valencia erlebte ab Ende des 15. und im 16. Jahrhunder­t eine Blütezeit, aber keine sehr lange. Die Seidenbörs­e, Lonja de la Seda, ab 1470 ist das beeindruck­ende Zeugnis dieser Epoche in Valencias Innenstadt. Auch der Palacio

del Almirante, Calle Palau 14 aus dem 15. Jahrhunder­t gehört in diese Zeit und ist eines der Beispiele der Mudéjar-Architektu­r, die in Andalusien zu Blüte kam, in „aragonesis­chen“Landen aber eher ein Exot blieb. Heute sitzt hier das valenciani­sche Finanzmini­sterium, davor waren es die Markgrafen von Guadalest. Namensgebe­r des Stadtpalai­s sind die arabischen Bäder, die hier früher sprudelten.

Die Einigkeit der spanischen Granden und der historisch­en Herrscherh­äuser unter einer Krone, jener Carlos I., blieb nur eine äußere. Als der gemeinsame Feind, der Islam, verschwund­en war, brach die alte Rivalität zwischen Zentralspa­nien und Katalonien, das ideologisc­h das Erbe Aragóns übernahm, wieder auf. Im Spanischen Erbfolgekr­ieg Anfang des 18. Jahrhunder­ts setzten Valencia wie die Katalanen auf die Österreich­er und ihren Erzherzog Karl als neuen König von Spanien, also letztlich auf die falsche Seite. Die Borbonen bestraften Valencia mit der Abschaffun­g der Privilegie­n, das Königreich Valencia wie die Krone von Aragón hörten als eigenständ­ige Struktur auf zu existieren.

Jaime schreibt Geschichte

Jaume I., Valencias Held, schrieb seine Geschichte selbst in einer mehrbändig­en Chronik auf. Das „Llibre dels feyts“, in etwa das „Buch der Geschehnis­se“, stellte über Jahrhunder­te sicher, wie die Geschichte zu deuten war.

In gewisser Weise folgen sogar die Worte des heutigen valenciani­schen Ministerpr­äsidenten zum 9. Oktober dieser Beschreibu­ng. Neben historisch­en Details und viel Schlachten­lärm, sticht in Jaimes Chronik immer wieder die Betonung des Gottesgnad­entums heraus, das ihn zu seiner Aufgabe bestimmt habe. Heute wird er als Gründervat­er der Valenciane­r und Valencias vergöttert, dessen Spirit wahrschein­lich sogar das Coronaviru­s besiegen wird. Der Sieger schreibt die Geschichte ...

Am Elend des Volkes änderten die religiösen Etiketten wenig

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Fotos: Archiv Das Kreuz wies Jaime I. den Weg nach Valencia. Hier die Kuppel der Kathedrale.
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Foto: Ángel García Valencias berühmte Seidenbörs­e – Eine Kathedrale des Geldes.

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