Köstliche Tafelfreuden: Spaniens Königen in den Topf geschaut
Spaniens Königen in den Topf geschaut: Vom trinkfreudigen Eintopfesser Karl zu den sparsamen Felipes
Madrid – mar. Begab sich das gekrönte Haupt zu Tisch, aß es nicht, sondern tafelte, hielt Hof. Die Könige machten Politik mit Messer und Gabel und aßen gleichsam für das Volk mit, dem im „realen“Leben meist nur die Brotkrumen blieben. In ganz Europa und so auch in Spanien gab es Könige, die über Protz und Opulenz am Tisch den Glanz und Ruhm ihres Reiches spiegeln und vermehren, manchmal auch nur vorgaukeln und den Nachbarn möglichst dabei überflügeln wollten – wie ein Louis XIV. in Frankreich. Andere Könige hegten gleiches Kalkül durch zur Schau gestellte Askese.
Der Alte Fritz, Friedrich II. von Preußen, wurde wegen seiner protestantischen Bescheidenheit gerühmt. Allein, selbst die war königlich: „Nicht mehr als sieben, acht Schüsseln“wies der Kartoffelkönig die Bediensteten an, wünsche er sich zum Mittagstisch in Sanssouci – wenn keine Gäste anwesend waren. Von dessen Zeitgenossen, Carlos III. von Spanien, hängt ein Bild im Prado, das ihn beim „Abendessen vor seinem Hof“zeigt, worauf er alleine isst, während er seinen Höflingen die Ehre zubilligt, ihm dabei stehend zuzusehen.
Üppiger kaiserlicher Eintopf
Moden kamen und gingen, Könige gefielen sich darin, Trendsetter zu sein. Galt der habsburgische Reichseiniger Spaniens Carlos I. Anfang des 16. Jahrhunderts noch als stattlicher Renaissancemensch, der keinen Trunk – am liebsten Bier – mit seinen Truppen ausließ und dem königlichen Sport, also der Jagd, reichlich frönte, war sein Sohn aus ganz anderem Holz geschnitzt.
Felipe II., in die katholische Gegenreformation und Weltherrschaft verbohrt, verkrümelte sich lieber zwischen Aktenberge im abgeschiedenen Klosterschloss Escorial, dem „Seelenzuchthaus. Eine Gruftvilla mit zwölfhundert Türen – für Gespenster“, wie Deutschlands Kulturpapst Alfred Kerr 1924 Felipes bevorzugte Residenz beschrieb. Die Tafelfreuden hier waren eher Tafelqualen, mit all dem Zeremoniell und der Inquisition als Tischgast. Felipes Mahl soll so schmal gewesen sein, dass man ihm regelrecht ansah, dass er die ganze Bürde seines Amtes und seiner Vorsehung mitverdauen wollte. Abgesehen natürlich von Staatsbanketten, wo er zur Ehre Spaniens auffahren ließ, was Feld, Wald und Meer – und unter Zwang – die Untertanen hergaben.
Danach übernahm lange die französische Küche das Regiment an den Herden Spaniens und selbst der heutige „demokratische“Monarch Spaniens, Felipe VI., übermittelt „seinem“Volk kulinarische Verdikte. 2018 lud er ein TV-Team in die Zarzuela, das filmen durfte, wie sich die reale Familie in bescheidener Bürgerlichkeit um eine einfache Linsensuppe versammelt. Der kecke Blick und eine kindsfreche
Bemerkung der Kronprinzessin Leonor gab den sympathischen Hinweis auf die Gestelltheit der PR-Szenerie.
Das Goldene Zeitalter unter Carlos I. war küchentechnisch eine Zeit des Übergangs. Man war noch ganz dem Mittelalter verhaftet, profitierte aber bereits von Früchten und Anbaumethoden, welche die Mauren dem Land hinterließen. Außerdem war Carl, in Gent geboren und als Habsburger erzogen, mit allen europäischen Wassern gewaschen. Er sprach, als er nach Spanien kam, nicht einmal richtig spanisch, seine Küche war daher alles andere als einheimisch zu nennen.
Zwar war Amerika schon entdeckt und wurde rabiat von den Spaniern erobert, doch viele der Produkte, die heute für die spanische und europäische Küche als wesenseigen gelten, wie Kartoffeln, Tomaten, Paprika, fanden erst langsam Eingang bei Hofe und waren zunächst exotische Schaustücke, ein Thema für die Salons und die Gärten. Die Hofküche im 16. und 17. Jahrhundert war noch durch Unmengen von Fleisch – hauptsächlich Wild – gekennzeichnet, das nach heutigen Begriffen maßlos überwürzt wurde.
Aus Carlos Endzeit im Kloster San Juste ist ein mittelalterliches Rezept von wahrlich kaiserlichen Ausmaßen überliefert, das bis heute als Olla podrida (Mächtiger Eintopf) im spanischen Rezepte-Kanon als Inbegriff der Landküche erhalten blieb, wenn auch in irdischeren Dimensionen als damals. Kaiser Karl bestimmte vor den Banketten selbst die Größe der Kupfertöpfe – die (Un)Mengen an Leber, Mägen, Bäuchen, Würsten aus Schwein, Lamm und Rind, ergänzt mit Fasanen, Rebhühnern, Bohnen, Kastanien und was noch alles in diesen Eintopf kam, enthielten – und in welcher Reihenfolge alles wieder entnommen und aufgetafelt zu werden hatte.
Sollte in Karls Reich die Sonne nie untergehen, so sollte Karls Eintopf offenbar alle Passagiere der Arche Noah verkochen. Den Brauch alles gemeinsam zu garen, dann aber getrennt voneinander aufzutafeln hat sich in Spanien bei den Pucheros erhalten, den Eintöpfen, die in manchen Regionen wie in Valencia sogar als feierliches Weihnachtsessen zelebriert werden (Putxero valenciá de Nadal).
Carlos Sohn Felipe II verfügte bereits über viele Produkte aus der Neuen Welt, die aber unter ihm kaum in der Küche Fuß fassten, auch wenn sein Küchenchef durchaus Interesse zeigte. In Italien und Frankreich waren Produkte, die die Spanier aus der Neuen Welt mitbrachten, mitunter billiger zu bekommen als in Spanien selbst, weil der ewig bankrotte Importeur Spanien wahnwitzige Steuern aufschlug, um seine Kriege, die man mit der halben Welt führte, weiter finanzieren zu können.
Während Kaiser Karl protzte, verkrümelte sich Sohn Felipe II. lieber
Hofkoch dreier Könige
Ein unschätzbares Zeugnis dieser Epoche stellt das Buch „Arte de Cozina, Pasteleria, Vizcocheria y Conserveria“dar, das 1611 in Madrid erschien und von keinem Geringeren stammt als von Francisco Martínez Motiño, der 34 Jahre Leibkoch dreier Könige, von Felipe II. bis IV. war. Leider weiß man über Herkunft und Ausbildung dieses Küchenmeisters fast gar nichts.
Aber erstaunlich in dem Band
Einfallsreichtum der Arme-Leute-Küche reüssiert bei Hofe
sind die genauesten Anweisungen zur Hygiene in der Küche, in einer Epoche, in der es „Mediziner“gab, die das Händewaschen mit Wasser für gesundheitsschädlich hielten. Ja, selbst der König badete sich nur alle paar Jahre mal. Möglicherweise übernahm Motiño hier Gepflogenheiten der Mauren, die in Sachen Hygiene und Medizinkenntnissen schon seit Jahrhunderten in einer anderen Liga spielten. Immerhin lebten in Spanien bis ungefähr 1610, bis zur letzten Deportationswelle der Morisken, also Konvertiten, noch viele Familien der Al-Ándalus-Kultur im Land.
Motiño gibt in seinem Küchenkompendium genaue Kunde über die Abläufe und die Servierkunst der Bankette und auch über die Speisenfolge. Seine „Küchenkunst“enthält außerdem über 500 Rezepte, über die Hälfte davon verraten ausländischen Einfluss, die vielen anderen aber nehmen die spanischen Küchenstandards der damaligen Zeit auf und sind das wertvollste kulinarische Zeugnis des christlichen Spanien. Vergessen wir nicht, dass die hispanische Küche schon von den Römern und die Küchen von Al-Ándalus eine der wichtigsten „Zutaten“der heutigen spanischen Küche sowohl von jüdischen wie maurischen Gelehrten und Reisenden schon relativ gut dokumentiert war.
Zwischen Paris und La Mama
Das „Menú del día“bei Felipes Küchenchef Motiño konnte so aussehen. Erster Gang: Olla podrida, Kapaune in Sauce, Küchlein auf Savoyer Art in Blätterteig (eine neue Mode aus Frankreich), Täubchen aus dem Ofen, Artaletes genannte Teigtaschen, die auch Cervantes Quijote erwähnt, Fasane in Zitronensauce, gegrillte Milchlämmer in Käsesuppe mit Zucker und Zimt und Hefekuchen mit Huhnragout. Im Ganzen elf Gerichte als Vorspeisen!
Im zweiten Gang kam Stierfleisch hinzu, Gerichte aus englischer Tradition, Unmengen von Saucen, die oft als Camouflage der strengen Geschmäcker dienten, Deftiges mit Süßem wild gemischt und zum Schluss Unmengen an Obst und Käse. Motiño preist in seinem über 400 Jahre alten Buch „Die Kunst der Küche“lokale und saisonale Produkte, praktizierte also, was heute als nachhaltiges Nonplusultra mühsam wieder erlernt wird.
Folgt man der Essenz seiner Rezepte, findet man Spuren in die heutige Küche, von Empanadas bis Artischocken mit Schinken. Doch interessanterweise gehen die authentischsten Gerichte der modernen spanischen Gastronomie auf die Kreativität der „Armenküche“zurück und weniger auf die verschwenderische Prahlerei der Höfe. Das gemeine Volk darbte nämlich fast durchgängig und füllte Teller und Bäuche
so gut es eben ging mit Getreidebreien, Brotsuppen und Hülsenfrüchten.
Motiño nahm den bäuerlichen Einfallsreichtum, aus wenigen und einfachen Zutaten Schmackhaftes
zu zaubern, auf und machte daraus höfische Kunstfertigkeit. Mag man nach außen auch den französischen Hofküchen nachgeäfft haben, in der Stunde der Wahrheit am Herd, war doch immer die Küche von „La Mama“angesagt. So gesehen stahl der Hof nicht nur die Zutaten der Untertanen, sondern auch ihre Rezepte.
Spanien verpasste ab dem 18. Jahrhundert den Zug, selbst eine große Küchennation zu werden. Die Franzosen gaben den Ton bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts an, von Escoffier bis Paul Bocuse, den letzten Don Quijote der umständlichen französischen Kochkunst, dem am Ende seiner
Karriere selbst ein gutes Landbrot mit Butter als Lieblingsspeise galt.
In Frankreich gab es wegen der Revolutionen ein weitaus größerer Bürgertum, mehr Menschen mit geselligem Lebenswandel und Geld zum Ausgeben, was die Gastronomie beflügelte. Spanien hatte auch gastronomisch seine letzte wirkliche Blütezeit bis 1492 in Granada, wo Früchte und Gerichte aufgefahren wurden, von denen das mittelalterliche Europa nur träumte. Leider war Spanien wegen des Größenwahns seiner Herrscher gezwungen, das Mittelalter, nun da Europa daraus erwacht war, nachzuholen. Spaniens große
Stunde historisch eher eine knappe Viertelstunde in der Gastronomie sollte erst Anfang des 3. Jahrtausends schlagen, als Ferran Adrià im El Bulli die Molekularküche zur Avantgarde erhob, Michelin ihn besternte und der Jet Set verzückt dazu gluckste. Soweit bekannt, war König Juan Carlos I. allerdings eine Scheibe guten Jamón ibérico immer willkommener als irgendwelche dekonstruierten Kügelchen aus Adriás Küchenlabor.
Strebte das Geld-Bürgertum nach adeliger Pracht auf den Tafeln, will sich das heutige spanische Königshaus wiederum an das Volk anbiedern, wohl ahnend, dass die einfachen Leute allmählich dahintergestiegen sind, welche „Mitesser“sie seit Jahrhunderten durchfüttern.
PR-Aktion mit Linsen
Entsprechend höhnisch waren daher auch die Reaktionen auf die Linsensuppen-Charade aus dem Zarzuela-Palast. Denn mag sich Felipe VI. auch bescheidener geben als seine ebenfalls ungewählten Ahnen, so bleiben Ungerechtigkeiten und anachronistische Privilegien und Pfründe der Oberschicht doch oft unangetastet. Die da Oben kochen sich auch heute ihr ganz eigenes Süppchen und was sie einbrocken, müssen nach wie vor andere auslöffeln.
Die Hofküche aus dem 18. Jahrhundert im Palacio Real in Madrid wurde übrigens restauriert und ist seit 2017 im Rahmen eines Schlossbesuches zu besichtigen, wenn auch mit etwas neuerem Tand ausgestattet.