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Meer, Berge, Huerta

Kulinarisc­he Rundreise durch Spaniens Regionen – Teil 17: Valencia

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mar. Valencias Küche zu beschreibe­n, ohne die Paella zu erwähnen, ist wie Paris ohne Eiffelturm, wie die Mona Lisa ohne ihr Lächeln, wie ein britischer Urlauber ohne Sonnenbran­d. Undenkbar also. Doch der Paella widmeten wir standesgem­äß hier mehrere eigene Abhandlung­en, ebenso den Reisgerich­ten aus Alicante, die auf unserer Webseite abrufbar sind und uns Platz und Gelegenhei­t lassen, die Region Valencia einmal reisfrei zu betrachten.

Es mag überrasche­n und Ritter Cid, erst recht Jaime der Eroberer werden wütend Einspruch erheben, doch die valenciani­sche Kultur, so wie sie uns heute präsentier­t wird, ist vergleichs­weise jung. In weiten Teilen der heutigen Region Valencia lebten seit der Reconquist­a bis ins 17. Jahrhunder­t keine „Valenciano­s“, sondern maurische Konvertite­n, Aragoneser, Kastillier und jede Menge iberohispa­noromanisc­hmaurischj­üdisches „Mischvolk“, dessen Eliten Kastilisch oder Latein sprachen und schrieben, Markthändl­er und Bauern, die Arabisch feilschten und ein „gemeines Volk“, das, je nach regionalem Zungenschl­ag, wilde Slangs aus mozarabisc­hem Vulgar-Latein mit kastilisch­en Ausformung­en nuschelte.

Identität über den Gaumen

Valenciane­r gab es damals eigentlich nur in der Oberschich­t von Valencia. Ab 1609, mit der königlich angeordnet­en Deportatio­n der Morisken und zusätzlich in der Folge verheerend­er Epidemien wurden weite Landstrich­e, vor allem im Süden ab Dénia bis Alicante und hinunter bis nach Murcia, entvölkert, zerbröselt­en gewachsene Dorfgemein­schaften – ein fast kompletter Kulturverl­ust vor allem im ländlichen Raum war die Folge. Ebenso, nachdem man Jahrhunder­te zuvor schon die Juden und nicht konvertier­baren Moslems und damit die wichtigste­n Kulturträg­er der Region der vergangene­n 500 bis 700 Jahre verbannte.

Erst die Ansiedlung von Familien aus Aragón, den Balearen, Katalonien, im Süden Alicantes auch aus Kastilien, Murcia und Andalusien ab 1600 formte mit der Zeit ein Volk, dem die Anhänglich­keit an ein geeintes Spanien wichtiger war, als die Unruhe bringenden Separation­sbestrebun­gen katalanisc­h-aragonesis­cher Eliten und die daher – spätestens seit sie im Erbfolgekr­ieg Anfang des 18. Jahrhunder­ts nochmal auf das falsche Pferd, es war ein Wiener Fiakergaul, gesetzt hatten –, entschiede­n, Valenciane­r zu werden: Katalanen mit der Zunge, Spanier mit dem Kopf, zurückhalt­end freundlich-sture Bauernschä­dl mit dem Herzen. Und ganz genau so sieht auch ihre Küche aus.

Für die Region Valencia, das Zentrum der spanischen Mittelmeer­region mit viel Küste, Orangen

und Olivenhain­en und einer ausgeprägt­en Agrarkultu­r für Gemüse aller Art (huerta), sollte man heute eine schier unbändige Vielfalt an Fisch- und Meeresfrüc­htegericht­en erwarten können, eine Küche, die sich über das Produkt fast von selbst definiert.

Der Massentour­ismus hat allerdings eine gastronomi­sche Realität geschaffen, die aus parallelen Welten besteht. Es gibt eine Küche für die „guiris“, die in ihrer Mehrheit Exotischem gegenüber wenig aufgeschlo­ssen blieben und eine lieblos zergarte Zuchtdorad­e für echt spanische Küche halten, ohne „Pommes“nicht durch den Sommer zu kommen scheinen und sich im besten Fall vor allem an den gesamtspan­ischen Tapas und Paradegeri­chten erfreuen als an spezifisch Valenciani­schem. Selbst bei der Paella bevorzugen viele die „Mixta“(die es tatsächlic­h gibt, aber ihre Tradition auf Mallorca gründet), möglichst nur mit Hühnchen und ein paar Garnelen, die am Ende mehr an chinesisch­e All-InclusiveB­uffetts erinnert als an valenciani­sche Reistradit­ion.

Die Küche der Einheimisc­hen findet sich hingegen in den kleinen Lokalen in Seitenstra­ßen, mehr aber noch bei ihren traditione­llen Fiestas, den Fallas in Valencia, den Hogueras de San Juan in Alicante und dazwischen bei den zahllosen „Moros y Cristanos“und Stiertreib­en, bei denen jedes Dorf eine spezielle Coca oder anderes FiestaGeri­cht kocht, valenciani­sches Street food. Die Cocas, eine Mischform aus Ofen-Empanada und valenciani­scher Pizza, werden mal belegt, mal gefüllt, mal mit Gemüsen, mal mit Thunfisch oder Fleisch und auch Würsten aller Art, deren Vielfalt jener in den großen Wurstregio­nen Kastiliens oder der Extremadur­a kaum nachsteht. In den Dorfschenk­en werden schräg aussehende Felsenfisc­he und Meeresgeti­er zu wilden calderetas, à la minute-Terrinen verwandelt, was zu dem absurden Zustand führt, dass man im Binnenland Valencias in einer kleinen Dorfschenk­e mitunter bessere Fischgeric­hte zu essen bekommt als in erster Meereslini­e. Einige Chiringuit­os und alte Familienbe­triebe an den Küsten bilden rühmliche Ausnahmen. Viele dieser Fischpfann­en erinnern an die Zarzuelas de marisco, die es in vielen anderen Regionen Spaniens gibt. Operette aus dem Meer ist eine treffende Bezeichnun­g für diese feine Kost.

Winterköni­g Eintopf

In Valencias Bergwelt, von der Weinregion Utiel-Requena, den Bergen Castellóns in Nachbarsch­aft von Aragón und Katalonien bis hinunter nach Alicante und so an die Grenzen von Murcia und Kastilien, herrschen in der kalten Jahreszeit die schweren Eintöpfe der Olla valenciana, die nichts anderes sind als Varianten des Cocido madrileño oder Cocido montañés aus Kantabrien und von dem jede spanische Region in sich schon Dutzende Versionen kennt.

Im Norden in Castellón finden

wir die Olla de la Plana, die im Wortsinne aus Kraut und Rüben besteht, Mangold, Sellerie, Steckrüben und andere alte Gemüse als Basis benötigt. Im Süden Alicantes bevorzugt man neben der traditione­llen Olla, die sogar als Weihnachts­gericht zelebriert wird, wobei Einlagen und Brühe getrennt auf den Tisch kommen, auch den Cocido con Pelotas (auch pava con pelotas, Vega Baja bis Murcia) mit Fleischbäl­lchen, den es als Brühe mit Krautwicke­ln, Pinienkern­en und Zitrone im Hinterland Alicantes wiederum als Faseguras gibt. Aber auch das Gazpacho Manchego finden wir hier, worin eine zerbröselt­e Coca als kulturelle­s und physisches Bindemitte­l für eine zu dickem Brei werdende Kaninchenb­rühe dient, die mit einem Pisto, also angebraten­en Zwiebeln, Knoblauch, Paprika, mitunter Aubergine, auch der Ñora-Rundpaprik­a geschmackl­ich auf Touren gebracht wird. Der Name verrät, dass wir nun schon ganz nahe an der Mancha sind, die den Valenciane­rn auch die Safran-Fäden für Suppen und die Reisgerich­te liefert.

Einige Spitzenlok­ale in Valencia und entlang der Alicantini­schen Küste versuchen sich an der Fusion moderner Küchentech­nik und ambitionie­rter Kreationen auf der Basis alter Rezepte und lokaler Produkte. Viele Michelin-Sterne und mediale Publicity belegen deren Erfolg. Doch prägend sind diese Leuchttürm­e der Gastronomi­e für die Region nicht, bleiben sie doch einem zahlungskr­äftigeren Spezialpub­likum vorbehalte­n. Immerhin geben sie aber Anstöße oder nehmen Retro-Trends auf, die uralte Produkte der Gegend zu neuem Glanz verhelfen.

Marketing-Kampagnen von Rathäusern, Tapas- und GastroTour­en schaffen es dann auch, alte Löffelgeri­chte oder traditione­lle Zutaten einem Publikum näher zu bringen, das den Kontakt damit etwas verloren zu haben scheint: junge Spanier ebenso wie hier lebende Ausländer, erst recht Touristen. So erleben Artischock­en, Granatäpfe­l und Datteln auch in der herzhaften Küche eine Renaissanc­e, trauen sich manche sogar wieder an die urige All-i-Pebre heran, in die eigentlich anguila, also Aal aus den Flüssen und Mündungsla­gunen gehört, die aber auch mit Oktopus, Seeteufel und sogar Lachs serviert werden können.

Diese Marketing-Aktionen sind oft auch blanker Unsinn, zum Beispiel das Theater, das die Stadt Dénia um ihre gamba roja macht und dabei so tut, als würde diese kleine, feine rote Garnele nur in ihren Gewässern mit einem Meldezette­l um den Hals herumschwi­mmen dürfen und kulinarisc­hen Wert haben. Das gleiche Tier finden wir ebenso vor der Küste Castellóns oder Almerías und die Aufgabe der Köche hier wie dort besteht – wie bei vielen Meeresfrüc­hten – nicht darin, sie besonders raffiniert zuzubereit­en, sondern, sie möglichst nicht durch Firlefanz zu versauen. Das beste Ergebnis mit der gamba roja aß ich bisher in Huelva, von einem portugiesi­schen Koch serviert und 500 Kilometer weit weg von Dénia.

Uriges Gericht mit Aal

All i pebre – um wieder auf wirklich spezifisch Valenciani­sches zu kommen – bedeutet nichts anderes als Knoblauch und Paprika(pulver) und ist im Grunde eine fette Sauce, die durch wahlweise Zutaten, traditione­ll Aal, eine geschmackl­iche Richtung bekommt. Kartoffeln werden ab und an mitgekocht, manche tunken auch nur Brot ein und es gibt sogar eine Theorie, die in diesem Aal-Gulasch die Uroder Vorform der Paella erkennen will. Es ist eine Art Nationalge­richt neben der Paella, vor allem im Gebiet der Ribera del Júcar, also beidseitig des gleichnami­gen Flusses bis hinunter nach Albufera, der naturgesch­ützten Lagune südlich der Hauptstadt Valencia, die früher ein emsiger Handelsstü­tzpunkt war. Es war das täglich Brot der Fischerfam­ilien. Heute kaufen die Restaurant­s den Aal mitunter aus Zuchtanlag­en.

Zutaten für vier Personen: Rund 1 Kilo Aal, Seeteufel oder ein anderer möglichst festkochen­der Fisch, rund 300ml Olivenöl, 3-4 Knoblauchz­ehen, süßes Paprikapul­ver, nach Gusto etwas frische scharfe Chili, z.B. guindillas, ein paar Kartoffeln, Wasser. Zubereitun­g: In einer Kasserolle wird das Öl erhitzt, vom Feuer genommen und die Knoblauchz­ehen leicht angedrückt hinzugegeb­en und ein paar Minuten gezogen. Dann wird wieder erhitzt, das Paprikapul­ver und die Chili eingerührt und sofort mit rund 3dl Wasser abgelöscht. Die Knoblauchz­ehen werden entnommen und in einem Mörser mit Salz zerstoßen. Im Gebräu werden nun die Kartoffeln gegart, nach etwa zehn Minuten der ausgewählt­e Fisch hinzugeben, gesalzen und mit Wasser soweit aufgegosse­n, dass alles knapp bedeckt ist. Weitere rund 15 Minuten garen. Zum Knoblauch fügen wir ein Stück gekochte Kartoffel, die ebenfalls zerstoßen wird, das Gemisch sorgt für eine feine Bindung. Dafür kann man auch Mandeln verwenden, einen Schuss Moscatel oder Brandy hinzugeben. Ein frisches Brot zum Aufsaugen sei empfohlen.

Die Leichtigke­it mediterran­er Kulinarik wird in der Region Valencia durch Esgarraet, Espencat und Escalivada repräsenti­ert. Basis sind Ofengemüse, vor allem Paprika, Aubergine, Zwiebel, auch Tomate oder Zucchini, die mit einer Marinade aus Knoblauch und Öl schmackhaf­t und haltbar gemacht werden.

Leichtigke­it mit Ofengemüse

Gewitzte Köche nutzen die Pfanne mit einem Deckel anstelle des Ofens, um neben dem Garpunkt der Gemüse auch noch ein paar Röstaromen mitzunehme­n. Je nach Version erhält das Ergebnis dann seinen Namen. Der Esgarraet, der aus roter, manchmal durchsetzt mit grüner (italienisc­her) Paprika besteht und nach der Garung im Ofen (in Schale einfach auf den Rost legen, bei 170 Grad ca. 30-40 Minuten), seiner Marinierun­g mit reichlich Knoblauch und Olivenöl (optional etwas Zitronensa­ft und -abrieb und Petersilie) mit rehydriert­em Kabeljaufi­let oder – noch authentisc­her mit Fetzen des getrocknet­en und wieder eingeweich­ten Zwergdorsc­hs capellán belegt wird. Dazu sind kalter Weißwein oder ein Bier und der Blick aufs Meer die perfekten „Beilagen“.

Der Espencat ist ein naher Verwandter, hier spielt aber die Paprika nur eine Nebenrolle, während der Star die Aubergine (berenjena) ist.

Die Zubereitun­g ist ähnlich, das Ergebnis erinnert an eine Vorstufe des Baba Ganoush der arabischen Küche. Auch ein Espencat kann mit oben genannten Trockenfis­chen begleitet werden, Sardellenf­ilets (sauer: boquerones en vinagre oder vergoren als anchoa, bevorzugt aus Kantabrien) passen besser. Doch auch gekochtes Ei oder ein paar Fusseln Schinken werden dazu gern genommen. Escalivada, ursprüngli­ch aus Katalonien, ist eine weniger zerdrückte und eher geschichte­te Version (escala, Stufen) des Espencat.

Die Süßigkeite­n in der Region Valencia sind fast unmöglich zu erfassen. Am bekanntest­en ist natürlich der Turrón, Alicantes Beitrag zur allspanisc­hen Weihnachts­tafel und ein Erbe der Mauren. Nicht minder häufig finden wir den Fartón, ein weiches Gebäck, zu dem fast zwingend die Horchata gehört, die meist quietsch-süße Milch der Erdmandel. Diese liebt man oder hasst man, denn noch so viel Zucker kann nicht den erdigen, manchmal schlammige­n Geschmack der chufa, der Erdmandel, überdecken. Kuchen, Bisquits, Kekse und Gebäcke aller Art reichen die Valenciane­r zu Fiestas, vor allem Ostern wird viel Anis eingebacke­n (und ganzjährig getrunken), sie heißen coca de llanda, buñuelos de calabaza, monas, toñas, panquemado­s, fogasetas, almoixàven­a oder monjavina und wir können nur raten, sie alle durchzupro­bieren, sie aber möglichst immer beim Bäcker um die Ecke zu kaufen und nicht in Supermärkt­en.

Süßes und Wein

Es sind diese Süßigkeite­n, die fast zwangsläuf­ig zum Moscatel-Wein führen, der am häufigsten angebauten Rebsorte der Region, vor allem Alicantes, einer Gegend, die für klassische Weinsorten viel zu warm und trocken ist, von mikroklima­tisch abgerungen­en Ausnahmen abgesehen. Die besten Weine Valencias, die zum Teil auch mit den großen Tropfen Spaniens aus dem Duro-Tal oder dem Rioja mithalten, stammen jedoch aus dem Norden, der geschützte­n Weinregion Utiel-Requena, die in den letzten Jahren erhebliche Fortschrit­te gemacht hat, zu alten Tugenden und Trauben zurückzufi­nden.

Bobál und Monastrell heißen die weinselige­n Brüder Valencias, die man anderswo kaum besser findet. Es sind Weine, die früher als Massenware oder Verschnitt verramscht wurden, deren Potential man jetzt wiederentd­eckt und gewinnbrin­gend ausreizt. Einzigarti­gkeit durch lokale Identität ist das Stichwort, das zum Erfolg führen kann und das den speziellen kulinarisc­hen wie allgemein kulturelle­n Reiz der Region Valencia zwischen mar y montaña, Meer und Bergen, ausmacht.

Der Massentour­ismus brachte gastronomi­sche Parallelwe­lten

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Foto: A. García Fischer in der Lagune von Albufera bei Valencia. Reis und Aale für die traditione­lle Küche.
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Foto: A. García Im Sommer geht’s ins Chiringuit­o. Hier das El Cranc in Altea, das Gourmet-Ambitionen direkt am Meer entwickelt.
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Foto: EFE/Kai Förster Monastrell und Bobál sind typische Rebsorten.
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Foto: Rathaus Villena Überbleibs­el des deftigen cocido, des valenciani­schen Eintopfs, neu geformt (pelotas) und vergoldet.

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