Spaniens längste Nacht: 23F – Vor 40 Jahren wurde ein Militärputsch zur Feuertaufe der Demokratie
23F – Vor 40 Jahren wurde ein Militärputsch zur Feuertaufe der Demokratie in Spanien
Am 23. Februar 1981 wollte das spanische Parlament einen neuen Regierungschef wählen, der das Land aus einer tiefen Krise führen sollte. Am Morgen ahnte niemand, dass der Tag zu Spaniens längster Nacht werden würde, zur Feuertaufe der jungen, fragilen spanischen Demokratie.
Regierungschef Adolfo Suárez, das Aushängeschild des demokratischen Übergangs ab Francos Tod 1975, war Ende Januar zurückgetreten. Er hatte einen Misstrauensantrag der oppositionellen PSOE hinter sich, aber auch das Vertrauen der eigenen Leute von der UCD verloren, der heterogenen Zentrumspartei. Selbst der König, seit dem Referendum 1978 das legitime Staatsoberhaupt, habe sich von ihm abgewandt, Einflüsterer trugen ihm zu, Suárez bekomme Spanien nicht in den Griff, er sei verbraucht und nach eigenem Eingeständnis war er zumindest erschöpft. Spanien hatte mit Suárez seinen kleinsten gemeinsamen Nenner verloren.
Jetzt, da er abgesägt war, schien die Zeit für die alten Militärs und ihre Hintermänner gekommen, jene, die unter Franco die Macht und das Geld hatten, das Rad der Geschichte nochmal zurückzudrehen. Sie wähnten „das Volk“auf ihrer Seite. Massive Teuerungen, fast jeder Vierte arbeitslos, Kapitalflucht setzten Wirtschaft und Menschen zu. Der ETA-Terror kostete das Land allein im letzten Jahr über 100 Tote und schien außer Kontrolle, eine harte Hand daher willkommen.
Die alte Riege, die Schergen Francos, war fast vollständig noch in ihren Ämtern, ob in Gerichten oder Kasernen. Der Generalamnestie 1977 sei dank, die Teil des „Deals“war, der einen friedlichen Übergang zur Demokratie garantieren sollte. Täter und Verbrechen blieben ungestraft und ungesühnt.
Ihre Überzeugung war, dass König Juan Carlos I., Francos Ziehsohn und als politischer Erbe vorgesehen, eigentlich auf ihrer Seite stand, nur zögerlich sei, um seine verfassungsgemäße Position nicht zu gefährden. Man müsste nur eine „revolutionäre Situation“herbeiführen, die ihm keinen anderen Ausweg ließe als das Land in eine Art Präsidialdiktatur zu führen, ob nun unter seiner Leitung oder der einer
anderen Marionette. Solch konkrete Planspiele flogen schon 1978 auf, waren Teil einer Verschwörung mit dem Decknamen Operación Galaxia, benannt nicht nach Visionären, die nach den Sternen greifen, sondern nach einem spießigen Madrider Kaffeehaus in einem Neubaublock, das als konspirativer Treffpunkt diente. Ein gewisser Antonio Tejero, Oberstleutnant der Guardia Civil, wurde damals als Anstifter zum Umsturz zu ein paar Monaten Gefängnis verurteilt. Danach trat er seinen Dienst wieder an.
Schüsse im Plenarsaal
Die Parlamentssitzung am 23. Februar 1981 bedeutet schon den zweiten Wahlgang zum Regierungschef. Im ersten scheiterte Leopoldo Calvo-Sotelo als Nachfolger seines Parteifreundes Adolfo Suárez an sieben Stimmen. TV und Radio übertragen live, als bewaffnete Guardia Civiles den Plenarsaal stürmen, just als der erste Abgeordnete
aufgerufen wird, seine Stimme abzugeben. „Alles bleibt ruhig, auf den Boden, auf den Boden!“ruft Obersteleutnant Antonio Tejero mehrfach – eben jener von der Operación Galaxia. Schüsse folgen. Zum Glück in die Luft und in die Decke. Zwei Hundertschaften der Guardia Civil mit Maschinenpistolen im Anschlag stürmen das Parlament, in dem die gesamte Regierung versammelt ist.
Suárez, sein Stellvertreter, der Parlamentspräsident und Oppositionsführer Felipe González bleiben sitzen. Santiago Carillo, Chef der gerade wieder legalen Kommunistischen Partei, steckt sich eine Zigarette an. Suárez steht auf und stellt Tejero zur Rede, wird mit der Pistole im Anschlag zum Schweigen gebracht. Tejero fuchtelt mit der Waffe am Rednerpult herum und deklamiert, dass man ein wenig warten müsse, bis die „legitime Militärregierung“ihren Vertreter schickt. Könne aber nicht lange dauern. Bis
dahin: Ruhe, dann werde niemandem etwas geschehen.
Dass im Parlament Schüsse fielen, um das vorwegzunehmen, war vielleicht das Momentum, das dem Putsch von Anfang an den Garaus machte. Den Widerhall der Kugeln hörte durch das Radio nämlich das ganze Land. Es war das Echo des Bürgerkrieges und der Diktatur, der das Land in eine Schockstarre versetzte und jede Sympathie, die zu einer Massenbewegung aus Unzufriedenheit hätte führen können, verhinderte.
Doch zunächst nahm der Putsch Fahrt auf. Zeitgleich mit Tejeros aberwitzigem Auftritt in Madrid lässt General Jaime Milans del Bosch in Valencia Panzer ausrücken, den Rundfunk besetzen, 1.800 Soldaten in den Straßen aufmarschieren. Der General diente unter Diktator Primo de Rivera, unter Franco und kämpfte in der División Azúl an der Seite der WaffenSS in der Sowjetunion. In Valencia werden Ausnahmezustand und Ausgangssperre verhängt.
Valencia sei „gefallen“, verkündet Tejero das lauthals den verschreckt geduckten Abgeordneten. Angeblich hätten sich soundsoviele Militärbezirke angeschlossen, was nicht stimmte. „Viva España, viva el rey!“rufen Tejeros Mitkämpfer. Die vier Aufrechten um Suárez und González und ein paar weitere Minister, darunter jener für Verteidigung, werden aus dem Plenarsaal abgeführt, niemand weiß, wohin.
In Madrid stürmen zur selben Zeit rund 40 Soldaten den Sitz des nationalen Fernsehens RTVE, unterbrechen die Berichterstattung, lassen Marschmusik, später Heimatfilme spielen. Einige Stunden später ziehen sie wieder ab. Einfach so. Eine Division der Landstreitkräfte bei Madrid wird aufmunitioniert und zum Abmarsch bereit gemacht, marschiert aber nicht los. Befehle werden gegeben und widerrufen.
Das Faktotum des Königs
Erste Anzeichen von Nervosität: Tejero wartet vergeblich auf einen Anruf, vom König, vom Generalstab. Milans del Bosch hält ihn vorerst bei der Stange. Die Schlüsselfigur des Putsches aber blieb zunächst im Hintergrund: General Alfonso Armada, ebenfalls FrancoGetreuer, bei der Belagerung Leningrads dabei. Armadas Taufpatin war die Mutter von König Alfonso XIII., er selbst adelig, tief verwurzelt in den „alten Familien“und im Opus Dei.
Er bildete einst den jungen Juan Carlos an der Militärakademie als persönlicher Mentor aus, war lange im Generalstab tätig und seit Juan Carlos’ Krönung 1975 Generalsekretär der Casa del Rey. Armada galt als enger Vertrauter von Juan Carlos, manche sagen Freund, zumindest bis zum 23. Februar 1981. Er war es, der Tejero, Milans del Bosch und den anderen Kommandeuren und Stabsgenerälen einredete, dass der König auf der Seite der Putschisten stünde und das bald auch öffentlich erklären würde.
Armadas Lebenslauf enthält ein wichtiges Indiz dafür, dass hinter dem Putsch mehr steckte als ein paar durchgeknallte Altkader mit Tejero an der Spitze. Wenige Wochen vor dem Putsch wurde er, der still und leise als für die neuen Zei
ten unhaltbar entfernt wurde, erneut zum zweiten Generalstabsschef der Landstreitkräfte berufen, auf Drängen anderer Offiziere. Armada wurde strategisch positioniert und Juan Carlos musste das bei der Ernennung gewusst haben.
Widerstand formiert sich
Es ist gegen 21 Uhr. Widerstand formiert sich. Staatssekretäre, die nicht als Geiseln im Parlament sind, bilden unter Francisco Laína, damals Staatssekretär für Nationale Sicherheit, ein Notkabinett. Gleichzeitig beruft der König vom Zarzuela-Palast aus telefonisch eine ständige Konferenz der Chefs der Generalstäbe ein, sich gleichzeitig deren Loyalität auf die Verfassung versichernd. So die offizielle Geschichtsschreibung. Was tatsächlich geschah und wie die Telefonate, die laut Laína alle mitgehört wurden, abliefen, ist bis heute unter Verschluss. Das Parlament sieht sich rechtlich außer Stande, die Geheimhaltung aufzuheben. Das Königshaus tut es nicht.
Es gibt prominente Zeugen, die behaupten, der König hätte einigen Generälen gesagt, „er könne“diesen Staatsstreich „jetzt“nicht unterstützen, aber nicht, dass er nicht wolle oder dürfe. Ein semantischtaktischer Schachzug des Königs, der den Generälen Vertrautheit, ja Kumpanei vorgaukeln wollte oder der Freudsche Versprecher eines Opportunisten, der seine Optionen auslotet? Seine Handlungen waren am Ende eindeutig prodemokratisch, seine späteren, eigenen Skandale erlauben Zweifel an der Version des überzeugten Demokraten.
König und Laína sprechen sich indes ab, dass sie alles versuchen, damit der Konflikt nicht auf die Straßen getragen wird und eskaliert. Der König solle Militärs und Guardia Civil im Zaum halten und die Chefs der Provinz- und Regionalregierungen beruhigen. Das Notkabinett ruft Gewerkschaften und Parteien an, um Demos vor dem Congreso, gar Randale zu verhindern, die dem Militär erst recht Gründe geben könnten, „die Ordnung wiederherzustellen“.
Den Putschisten fehlt Personal. Die Medien bleiben frei: „El País“bringt schon gegen 22 Uhr ihre legendär gewordene Sondernummer heraus: „Staatsstreich – El País ist mit der Verfassung“. Der Zeitungsname „El País“heißt „das Land“, eine Steilvorlage für den Chefredakteur. Weil Kioske geschlossen sind, wird der Leitartikel über den Rundfunk vorgelesen, so hören die Spanier vom „Attentat auf das spanische Volk“, aber auch von der Entschlossenheit, „vor der Geschichte ein Exempel zu statuieren“. Um 4 Uhr morgens erscheint ein weiteres Extrablatt, das bereits das Scheitern des Putsches ankündigt.
Im Hintergrund wird es hektisch. General Milans del Bosch ruft am späten Abend Tejero mehrmals im Parlament an, Armada werde kommen und als Übergangspräsident fungieren. Tejero lehnt ab, er wolle das vom König selbst hören. Armada, dem der Zutritt zum König verweigert wurde, begibt sich persönlich ins Parlament. Tejero, der eigentlich nur als Marionette auf der Schaubühne gedacht war, verselbständigt sich und weist ihn ab, als der ihm seine Kabinettsliste vorliest, in der sogar Felipe González, – ein Sozialist! – auftaucht. „Mein General, ich habe für sowas nicht das Parlament gestürmt“, sagt Tejero und hält Armada gewaltsam davon ab, zu den Abgeordneten zu sprechen.
Der König spricht Klartext
Der König ist mit seinem Telefonmarathon bei Milans del Bosch angekommen, kann ihn aber nicht überzeugen, seine Truppen aus Valencia abzuziehen. Es folgt ein unmissverständliches Telegramm: „Wer gegen den Staat putscht, putscht auch gegen mich. Den König!“Der Rest ist Geschichte: Der König lässt in der Uniform des Oberbefehlshabers seine historische Fernsehansprache aufzeichnen, die mit Partisanen-Tricks in den Sender gelangt. Sein Bekenntnis zur Verfassung und damit zur Demokratie lässt die Armee in den Kasernen bleiben, die große Mehrheit der Kommandeure verhält sich still, ob sie wirklich gegen den Putsch sind, erfahren wir nie. Das Land hält noch den Atem an, Europa aber atmet erstmal auf.
Im Parlament dreht Tejero inzwischen frei. Milans del Bosch will ihn nun schon selbst zum Präsidenten ernennen, wenn er nur durchhalte, Tejero erkennt in sich den letzten Verteidiger Spaniens. Die Farce ist jetzt vollständig. Tejero lässt zwar die Zivilangestellten und Journalisten frei, zerstört aber TV-Kameras und Fotoapparate, Mobiliar wird im Plenarsaal aufgestapelt, es sollte im Falle einer drohenden Stromsperre angezündet werden, um Licht zu haben doch der ganze Saal war aus Holz. sitzen blieben und den Putsch so in gewisser Weise entwaffneten. Die UCD von Adolfo Suárez versinkt mit 6,8 Prozent in der Versenkung und geht bald mit anderen konservativen Gruppierungen wie der AP – und PDP in der Partido Popular auf. Die kommunistische PCE bleibt Randgruppe.
Um die Absurdität einer selbstmörderisch toleranten Demokratie auf die Spitze zu treiben: Auch Antonio Tejero, der ein Jahr zuvor noch im Parlament herumballerte, trat, aus dem Gefängnis, bei der Wahl 1982 an. Im Knast hatte er die offen rechtsextreme Partei „Solidaridad Española“gegründet, die das aberwitzige Motto führte: „Komm mit Tejero ins Parlament!“Sie erhielt 28.451 Stimmen und hätte – wäre die Vorgeschichte nicht so ernst – zumindest einen ComedyPreis verdient gehabt.
Armada und Milans del Bosch, die beiden Putschisten-Generäle,
Was tun? Einen Sturm aufs Parlament schließen die Verantwortlichen aus, zu viele Opfer hätte man riskiert. Bevor Tejero völlig Amok läuft, organisieren Unterhändler beider Seiten die ganze Nacht lang einen geordneten Abzug der Putschisten, wieder mal mit einem milden Deal. Die Geiseln, also auch die legitime Regierung, darf um 6 Uhr am Morgen das Parlament verlassen. Alle am Putsch beteiligten Dienstgrade ab Leutnant abwärts sollen straffrei bleiben, die anderen werden verhaftet, nur die Rädelsführer bleiben auch in Haft. Der Albtraum ist vorbei.
Am Samstag, den 27. Februar 1981, findet in Madrid eine Massendemo gegen den Putschversuch statt. Fast 80 Prozent Wahlbeteiligung machen die auf 1982 vorgezogenen Wahlen zu einer zweiten Volksabstimmung zu Gunsten der spanischen Demokratie und einer Abrechnung mit den Putschisten, die deutlicher kaum sein konnte.
48 Prozent der Stimmen entfallen auf die sozialdemokratische PSOE, die erstmals in ihrer Geschichte eine absolute Mehrheit der Mandate erlangt. Regierungschef wird Felipe González, einer der Männer, die neben dem Konservativen Suárez und dem Kommunisten Carillo während der Schüsse im Parlament aufrecht wurden schon 1988 und 1990 begnadigt. Ersterer leugnete bis zum Schluss jede Intention eines Umsturzes, behauptete, er habe den Putsch durch seine Verhandlungen beendet. In rechten Kreisen wird er bis heute als Verräter gehandelt.
2013 starb Armada 97-jährig, Milans del Bosch 1997 mit 82 Jahren. Tejero wurde 1996 als letzter der Putschisten nach 13 Jahren Haft entlassen und lebt heute als 88-Jähriger zwischen Madrid und seiner Zweitwohnung am Strand der Costa del Sol in Torre del Mar. Er schreibt ab und an noch Leserbriefe gegen die Zersetzung Spaniens durch die katalanischen Separatisten und protestierte 2019 in persona und umringt von vielen Kameras gegen die Exhumierung Francos. Übrigens: Nur drei der Putschisten vom 23F erhielten höhere Haftstrafen als die 2019 verurteilten Führer der katalanischen Separatistenbewegung. Ist die spanische Demokratie heute wehrhafter geworden oder blieb sie auf dem rechten Auge blind?
Nachspiel per WhatsApp
Der gefeierte Retter der Demokratie aber, Ex-König Juan Carlos I, begeht den 40. Jahrestages des Staatsstreiches in den Vereinigten Arabischen Emiraten, vom eigenen Sohn ins Exil empfohlen, wo er sich vor möglichen juristischen Konsequenzen wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung im dreistelligen Millionenbereich und womöglich auch Korruption und Amtsmissbrauch versteckt. Am 23. Februar 1981 hatte er, so weiß es die Hoflegende, seinen damals 13-jährigen Sohn und Thronfolger Felipe an seine Seite holen lassen, „damit er sehen kann, wie man handelt, wenn es darauf ankommt“.
Nachspiel: Im November 2020 unterschreiben 73 Ex-Offiziere, darunter mehrere Generäle, einen Brief an König Felipe VI, worin sie ihre Sorge über die „Zerstörung der Einheit des Vaterlandes“durch eine „sozio-kommunistische Regierung, die aus ETA-Freunden und Separatisten gebildet“würde, ausdrücken. Die Partei Vox lässt durch ihre Generalsekretärin Macarena Olona im gleichen Parlamentssaal, in dem in der Decke noch die Einschüsse von 1981 zu sehen sind, ausrichten, „ja natürlich sind das unsere Leute“, was schwer zu leugnen ist, benutzen sie schließlich Vox-Wortlaut.
Einige der Unterzeicher tauchen einen Monat später in einer WhatsApp-Gruppe auf, wo ExKommandeure darüber phantasieren, dass „uns, als guten Faschisten“, „keine andere Möglichkeit bleibt, als zu beginnen, 26 Millionen Hurensöhne (lies: die Hälfte des Landes) zu exekutieren“.
Die Schüsse im Parlament waren der Widerhall der Diktatur