Sevilla – Opernbühne der Welt
Spanien als Kulisse und Inspiration für große Opern: Mozarts Genie küsst Don Juan zum universalen Charakter
Kennen Sie eine spanische Oper? „Carmen“ist die falsche Antwort. Denn die meist zwischen den Extremen triefender Klischees und gendergerechter Überhöhung inszenierte Liebesgestragödie der Flamenco-Sirene aus der Königlichen Tabakfabrik in Sevilla stammt vom Franzosen Georges Bizet, die Vorlage von dessen Landsmann Prosper Mérimée. „Der Barbier von Sevilla“. Natürlich. Komponiert hat sie der Italiener Gioachino Rossini. „Don Carlos“, das finstere Königs- und Freiheitsdrama, vertonte Giuseppe Verdi nach dem Bühnenstück des Deutschen Friedrich Schiller. Selbst die urspanischen Archetypen Don Juan und Don Quijote wurden erst durch Mozarts Geniestreich „Don Giovanni“(1787) und, in viel geringerem Maße, durch Jules Massenets Heldenkomödie „Don Quijote“, 1910, musikalisch zu Weltstars.
Opern von Weltruhm spanischer Komponisten gibt es nicht. Das scheint auch deshalb absurd, da in keiner Stadt der Welt mehr Opern angesiedelt sind als in Sevilla. Rund 150 Opern spielen in und um Andalusiens Hauptstadt und der Kulturstadt Spaniens. Doch nur zwei völlig unbekannt gebliebene Werke wurden auch in Sevilla komponiert und uraufgeführt.
Dabei war die spanische Musiktheaterproduktion nicht weniger zahlreich als anderswo in Europa, doch die Höfe folgten den Moden und die drei wichtigsten Jahrhunderte der Oper gehörten Frankreich und den deutschen Landen, vor allem aber Italien, und von dort rekrutierte der Adel auch die Operntruppen für die musikalische Zerstreuung. In Spanien dominierte die Zarzuela, die erst im 19. Jahrhundert als „spanische Operette“zu bezeichnen ist, davor ähnelte sie eher dem, was man in Deutschland und Österreich als Singspiel, Posse, Nummernoper oder in Italien als opera buffa aufführte.
Spanische Komponisten hatten, wenn sie in Spanien blieben, auf dem Gebiet der Musik bis ins 19. Jahrhundert wenig kulturellen Anschluss an den Rest Europas. Das war Folge einer Isolation, die sich auch in anderen kulturellen und zivilisatorischen Bereichen wie der Wissenschaft zeigt. Denn im Unterschied zu aufklärerischen Strömungen und zunehmender Industrialisierung der absolutistischen Reiche in Mitteleuropa, die untereinander konkurrierten, sich aber auch anstachelten, leckte ein tief katholisches, abgeschottetes Spanien noch bis ins 19. Jahrhundert hinein seine Wunden über das verlorene Weltreich und ein „Goldenes Zeitalter“, das sich gesamtgesellschaftlich als Trug erwies.
Figaro als „trending topic“
Als verspielte, zumal exotische Kulisse oder als Sujet kam Spanien dem europäischen Opernschaffen aber gerade recht: Die Barbiere und Figaros, Don Juans und Carmens entstanden gleich im Dutzend und rollten als „trending topics“über Jahrzehnte über die Opernbühnen. Die Werke stammen von Komponisten, die heute fast alle in Vergessenheit geraten oder nur noch Fachleuten bekannt sind. Im Spätbarock, als Opern tagesaktuelle Unterhaltung mit schnellem Verfallsdatum waren, gab es dieses Phänomen auch mit anderen Vorlagen. So erlebte die tragische Geschichte von Pedro dem Grausamen, König von Kastilien (um 1350, Amtssitz: Sevilla) und seiner Geliebten María de Padilla als „La forza della virtù“(Die Macht der Tugend) sowie als „Siface“, aus der Feder des Star-Librettisten Metastasio nach Nordafrika verlegt, von 1693 bis 1761 mindestens 30 Versionen, die sich heute noch nachweisen lassen.
Zu den namhafteren Komponisten, die sich in Sevilla und Spanien musikalisch austobten, gehören Alessandro Scarlatti („La Forza Della Virtù“, 1699) und Georg Friedrich Händel, der sich 1707 mit „Rodrigo“ dem Schicksal des letzten gotischen Königs auf Hispaniens Boden annahm. Donizettis „La Favorita“(1840) wandelt durch die maurisch inspirierten Hallen der Alcázares de Sevilla. Figaros Haus will die andalusische Tourismusagentur in der Calle Santo Tomás wiedergefunden haben, Rossinis Barber-Shop war angeblich auf der Plaza Alfaro.
Verdi vertonte nicht nur den „Don Carlos“(1867) im schaurigen Ambiente des El Escorial bei Madrid, sondern schon „Die Macht des Schicksals“(1862) geht auf eine spanische Vorlage zurück, rund um den reichen Amerika-Rückkehrer Don Álvaro, der sich in Liebessachen mitten im Spanischen Erbfolgekrieg verheddert. Spielort: Sevilla.
Von Fidelio bis Parsifal
Beethovens „Fidelio“(1805) wiederum wird im Castillo San Jorge in Sevillas Stadtteil Triana gefangen gehalten und sogar der deutscheste aller deutschen Komponisten, Richard Wagner, verschwurbelt Eschenbachs endlose Parsifal-Legende in Spanien im Castillo de Montsalvat. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine sprachliche Verzerrung des berühmten Klosters Montserrat bei Barcelona, sondern vermutlich eher um das Kloster San Juan de la Peña in den Bergen von Aragón bei Huesca.
Im Laufe der Operngeschichte