Mücken verbreiten Erreger
Invasive Stechmücken breiten sich vermehrt in Europa aus und führen tropische Krankheiten ein
Tropenkrankheiten in Europa waren einst ein Ding der Unmöglichkeit, doch der Klimawandel und die hohe menschliche Mobilität lassen den Schutzwall bröckeln. Stechmücken der Gattung Aedes – nämlich aegypti (Gelbfiebermücke oder Ägyptische Tigermücke), albopictus (Asiatische Tigermücke), japonicus (Asiatische Buschmücke) und koreicus (Koreanische Buschmücke) – sind die häufigsten Überträger von Dengue-, Gelbfieber-, Chikungunya-, West-Niloder Zika-Viren und sie sind dabei, den europäischen Kontinent allmählich für sich zu erobern. Forscher schlagen Alarm.
Eingereist sind sie unter anderem durch den Handel mit Gebrauchtreifen oder mit Pflanzen. Bislang konnten sie sich im kühleren Europa nicht halten, doch mit der Zunahme der Temperaturen – den milderen Wintern und heißeren Sommern – hat sich das Blatt gewendet. Wissenschaftlern zufolge dringt beispielsweise die Asiatische Tigermücke Aedes albopictus zurzeit mit 150 Kilometern pro Jahr Richtung Mitteleuropa vor. Aedes-Stechmücken nutzen jede
Wasseransammlung zur Vermehrung. Eine veröffentlichte Studie in Insects (MDPI) – Insects ist eine von Experten begutachtete OpenAccess-Zeitschrift für Entomologie, die seit 2010 monatlich vom MDPI, Multidisciplinary Digital
Publishing Institute, herausgegeben wird – weist außerdem auf einen weiteren Faktor für die gefährliche Ausbreitung der fremden Mücken hin: Aedes-Mücken bevorzugen menschliches Blut. Je nach Mückenart wird bis zu 93
Prozent der Nahrung von Menschen bezogen. Das macht sie zu perfekten Überträgern von Arboviren (Viren, die durch Arthropoden wie Mosquitos übertragen werden), die die Auslöser von Tropenkrankheiten wie Dengue- Chikungunyaund Gelbfieber, Zika-Virus-Infektionen, Malaria, Japanischer Enzephalitis und lymphatischer Filariose sind.
Nilvirus in Spanien
Mit der Studie wurde auch eine Risiko-Karte über die Ausbreitung des ebenfalls durch Stechmücken übertragenen Nilvirus, das das West-Nil-Fieber hervorruft, erstellt. Ursprünglich stammen West-Nil-Viren aus Afrika und werden dort von Stechmücken zwischen Vögeln übertragen, aber auch Säugetiere, vor allem Pferde, und Menschen können durch Stiche infiziert werden. Mit Zugvögeln und Stechmücken ist das Virus dann auch in nördlichere Re
gionen vorgedrungen. Obwohl viele mit dem West-Nil-Virus infizierte Menschen quasi symptomfrei bleiben, sorgte das Virus im letzten Jahr für sieben Todesfälle in Spanien. Treten Symptome auf, dann können diese recht unterschiedlich sein: abrupt auftretende grippeähnliche Symptome wie Kopf- und Rückenschmerzen, Schüttelfrost, Abgeschlagenheit, Lymphknotenschwellungen, gutartige Hirnhautentzündung (Meningitis) und Gehirnentzündung (Enzephalitis).
Nicht immer sind die Exoten für die Verbreitung derartiger Krankheiten verantwortlich. Raimundo Real, Wissenschaftler der Abteilung für Tierbiologie an der Universität von Málaga (UMA), weist darauf hin, dass die Gemeine Stechmücke (Culex pipiens), eine in Spanien recht verbreitete Art, die Quelle des Ausbruchs war und auch schon 2018 in 1.600 Fällen nachgewiesen werden konnte.
Die Risiko-Karte ermöglicht eine bessere Vorhersage von Inzidenzen, basierend auf diversen räumlichen und ökologischen Variablen. Demnach sind in Spanien die Gebiete mit dem höchsten Risikograd Andalusien, der Süden der Extremadura und der Südwesten von Kastilien-La Mancha. Das deckt sich mit den Flussgebieten des Guadalquivir und des Guadiana. Je nach Risikogebiet können erste Krankheitssymptome schneller entdeckt und weniger mit anderen Krankheiten verwechselt werden, was besonders den Gesundheitsbehörden vor Ort zu Gute kommt. Überraschenderweise soll die Bevölkerungsdichte eher weniger relevant bei der Verbreitung des Nil-Virus sein. Der letztjährige Ausbruch wurde in den sevillanischen Städten La Puebla del Río und Coria del Río festgestellt, die eine geringere Einwohnerdichte als die Provinzhauptstadt aufweisen und etwa zwischen zwölf und 17 Kilometer entfernt liegen.
Obwohl das Virus bei Vögeln von Stechmücken übertragen wird, stellt ein hemmender Faktor gerade eine große Vogel-Vielfalt dar. Das verhindere, so die Experten, dass Moskitos ihre „infektiöse Ladung“ausschließlich an Vögel weitergeben, die am empfänglichsten für den Erreger sind; ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Mücken auf dem Speiseplan vieler Vögel stehen. Real betont, dass die Viren-Infektionen eine ökosystemische und biogeografische Sichtweise
erfordern, weil letztendlich alles zusammenhängt und einen Einfluss hat. Im Klartext: Es reicht nicht, nur den Erreger zu analysieren, sondern es müssen auch Faktoren wie das Klima und anfällige Umweltbereiche für dessen Ausbreitung wissenschaftlich unter die Lupe genommen werden.
Ein leichtes Spiel
Dass Mücken ein leichtes Spiel bei der Übertragung von Krankheitserregern haben, untermauert auch Jordi Figuerola, ebenfalls einer der Autoren der MDPI-Studie, nach Angaben der spanischen Tageszeitung „El País“. Figuerola ist Forscher der Abteilung Ökologie für Feuchtgebiete der Biologischen Station Doñana (CSIC). Laut dem Experten genügt ein importierter einzelner Fall. „Wenn eine Person eine aktive Infektion hat und von einer Mücke gestochen wird, kann diese die Krankheit weiter übertragen.“In der Studie konnte nachgewiesen werden, dass die Asiatische Tigermücke bekannte Überträgerin des Dengue-, Zika- und Chikungunya-Virus an den DengueAusbrüchen in Frankreich (2010), Spanien (2018) und Italien (2020) beteiligt gewesen ist. Des weiteren sind sie Überträger anderer autochthoner Krankheitserreger, darunter Dirophiliaria (ein parasitärer Fadenwurm, der hauptsächlich Hunde, Katzen und Rinder befällt).
„Das Problem ist, dass sie sich in winzigen Behältern vermehren können, wie in Abflüssen, Friedhofsvasen oder Blumentopf-Untersetzern“, so Figuerola. Albopictus, die Asiatische Tigermücke, hat bereits ihre Anpassung an städtische Umgebungen bewiesen und ist obendrein noch tagaktiv. In Katalonien, Valencia, Andalusien und auf den Balearen hat sie sich diese Mückenart bereits etabliert. Japonicus, die Asiatische Buschmücke, konnte in Kantabrien und Asturien nachgewiesen werden. Anfangs wird diesen invasiven Tierarten meist keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt und dann ist es irgendwann zu spät. Nur zu gut erinnert sich Figuerola an die Asiatische Tigermücke. 2004 wurde sie erstmalig in einer Gärtnerei in Barcelona entdeckt und konnte sich dann ungehindert ausbreiten.
Aus all den genannten Gründen warnt die Studie eingehend davor, dass Aedes-Stechmücken zu einem globalen Problem werden könnten, besonders im Fall der Asiatischen Tigermücke und der Gelbfiebermücke, die bereits die Tropen, Ostasien, Europa und Nordamerika für sich erobern konnten. Von all den invasiven Stechmückenarten gilt allein die nordamerikanische Aedes atropalpus als noch nicht etabliert.
Allerdings ist das nur eine Frage der Zeit, denn sie wurde schon mehrfach in Europa nachgewiesen.
Obwohl, wie anfangs erwähnt, die meisten Stechmückenarten die Fähigkeit besitzen, sich vom Blut verschiedener Wirbeltiere zu ernähren, bevorzugt die überwiegende Mehrheit ihre Blutmahlzeiten von Säugern, insbesondere vom Menschen. Für etwa 90 Prozent der Gelbfiebermücken und der Koreanischen Buschmücken gilt der Mensch als Nahrungsmittelquelle Nummer Eins. Bei der Asiatischen Tigermücke sind es noch 60 und bei der Asiatischen Buschmücke 33 Prozent. Vögel dagegen machen nur einen Anteil von weniger als sechs Prozent aus. Dieses „anthropophile Verhalten“der Mücken in urbanisierten Gebieten erleichtert somit auch die Übertragung von Krankheitserregern.
Ein weiterer Grund zur Besorgnis ist die Zunahme von sogenannten virulenteren Virus-Varianten. Beispielsweise warnen die Gesundheitsbehörden von Paraguay, wo es in diesem Jahr schon zwei Todesfälle durch Dengue-Fieber gegeben hat, eindringlich vor einem kontinuierlichem Anstieg und der Präsenz des Dengue-Serotyps DEN-2, eine der aggressivsten Varianten, die während der Epidemie von 2012 bis 2013 für mehr als 200 Todesfälle in dem südamerikanischen Land verantwortlich gewesen ist. Laut Tropeninstitut.de gilt das Denguefieber als die weltweit häufigste und sich am schnellsten ausbreitende, durch Aedes-Mücken übertragene virale Erkrankung.
Infizierte Mücken-Weibchen können das Dengue-Virus direkt auf ihre Brut übertragen und einmal infizierte Mücken können das Virus für den Rest ihres Lebens übertragen. Menschen untereinander sind bislang nicht in der Lage sich mit Dengue anzustecken. Allerdings dienen infizierte Menschen uninfizierten Mücken als Reservoir, um das Virus weiterzutragen. Eine Infektion mit dem Virus äußert sich meist mit hohem Fieber sowie starken Kopf-, Muskel-, Knochen- oder Gliederschmerzen. Meist erholen sich die Betroffenen innerhalb weniger Tage wieder, dennoch, es kann auch zu schweren Komplikationen oder gar zum Tod führen.
Natürlich stellt sich bei der aktuellen Coronavirus-Pandemie die Frage, ob Mücken auch das Coronavirus weitergeben können. Nach dem aktuellen Kenntnisstand der Weltgesundheitsorganisation WHO gibt es keinerlei Hinweise dafür. Hauptübertragungsweg des Coronavirus bleibt die Tröpfcheninfektion.
Das durch Mücken übertragene Nilvirus sorgte im letzten Jahr für sieben Todesfälle in Spanien