Paniertes Glück
Kokette Kroketten: Wie die Spanier die Franzosen mit ihren eigenen Waffen schlugen
mar. Die Kroketten sind nicht nur der Liebling der spanischen Tapasbars, sondern im kollektiven Gedächtnis der Spanier vor allem ein Synonym für die Geborgenheit des mütterlichen und großmütterlichen Herdes. Kamen die Kinder tränenüberströmt mit aufgeschlagenen Knien nach Hause, trösteten ein paar Kroketten, heulte sich die Enkelin über ihren ersten Liebeskummer bei der Omi aus, kam vor dem guten Rat ein Teller mit dampfenden Kroketten, denn die Oma hatte, wenn nicht fertige Masse im Kühlschrank, so doch immer eine eingefrorene Reserve parat.
„Nichts geht über die Kroketten meiner Mama“ist das ultimative Lob, weniger für die croquetas selbst, als für die jeweils beste Mama der Welt. Die Krokette ist dem Spanier der Geschmack der Kindheit, seine weltliche Hostie. Für den Wirt der Bar freilich auch eine billige Resteverwertung oder, wenn er Berufsehre hat, seine Visitenkarte. Sind die Kroketten gut, ist die Küche gut, ist eine verlässliche Faustregel.
Die Obsession der Spanier für das frittierte Teil ist umso erstaunlicher, da es eigentlich vom Erzfeind stammt, den Franzosen. Über die Herkunft und die Einverleibung durch die Spanier gibt es verschiedene Thesen, die bis zu den Römern und Mauren zurückreichen. Denn schon Apicius beschrieb Krokettenartiges, allerdings waren das alle Arten von geformten, frittierten Massen, die eher den albóndigas, also Fleischbällchen nahe kommen. So auch der berühmte Koch François Massialot, der in seinem Werk „Höfische und bürgerliche Küche“im Jahr 1691 15 Rezepte mit „croquettes“beschreibt, die ebenfalls alle noch ohne die Sauce Bechamel auskommen.
Doch eben diese Sauce Bechamel ist der Kern der spanischen croqueta, die sich damit prinzipiell von der Kartoffelkrokette unterscheidet, die sowohl ein sizilianischer Gaumenschmaus, aber auch ein Inbegriff der „modernen“Küche der plüschigen 70er Jahre in deutschen Landen sein kann, der als Tiefkühlware und Beilage für Einfallslose bis heute überliefert wurde.
Der Name der Krokette und croqueta stammt vom französischen croquer ab, knuspern, und ihrer weiblichen Verniedlichung, der croquette, einer knusprigen Koketten also. Die Bechamel hingegen verdanken wir Louis de Béchameil (1630-1703), dem Herzog von Nointel, der Kassenwart des Herzogs von Orleans und später Verwalter am Hofe des Sonnenkönigs Louis XIV. war.
Es ist unwahrscheinlich, dass der edle Herr sich selbst in die Küche
gestellt hat, um Butter, Mehl und Milch zu rühren, er strich nur die Meriten für die Arbeit seiner Köche ein. Doch so bekam die Sauce immerhin einen klangvollen Namen. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts, das zeigen zeitgenössische Kochbücher, begannen französische Köche damit, die Bechamel als Basis für ausgebackene Leckerbissen zu verwenden.
Unter Großmutters Fittichen
Den Sprung über die Pyrenäen nahm die croquette mit den Truppen Napoleons. Laut einem Dokument, das der Gastroredakteur der Zeitung „El País“ausgegraben hat, wurde britischen Truppen im unbesetzten Teil von Spanien 1812 „un frito de croquetas“serviert, um sie für die Befreiung des Landes von den gallischen Besetzern zu stärken und zu motivieren. Die Spanier schlugen die Franzosen sozusagen mit ihren eigenen Waffen und bemächtigten sich mit der Bechamel auch noch einem Mitglied
des kulinarischen Hochadels des französischen Küchenimperiums, der Dynastie der Saucen.
Dabei blieb die spanische croqueta in Ausführung und Präsentation geradezu provokant simpel, zumal sie von außen immer gleich aussieht, egal was in ihr steckt. Allerdings hatte das erste KrokettenRezept, das in einem spanischen Kochbuch auftauchte, das war 1830, aber auch noch so gar nichts mit den typischen croquetas von heute zu tun und war sogar als Dessert gedacht. Anstelle der Bechamel diente darin ein Milchreis, der famose arroz con leche, als Basis, der zweimal zu panieren und dann zu frittieren war. Erst in Hauswirtschaftsbüchern ab 1860 tauchten die heutigen Klassiker auf, mit Kabeljau und mit Schinken.
Der Siegeszug war seitdem unaufhaltsam und füllt die Industrie mittlerweile auch meterweise Tiefkühlregale mit Einheitsware, blieben die croquetas doch in den Kü
Die spanische Ausführung der croquette ist für Franzosen geradezu provokant simpel
chen der Lokale und Großmütter unter sorgsamer Aufsicht und resoluten Fittichen. Spanien hatte in der Geschichte selten Gelegenheit, in der Küche oder auf dem Schlachtfeld über die Franzosen zu triumphieren. Bei der Krokette, die sie verbessert und perfektioniert hat, ist das der Fall. Schon 1917 schrieb die adelige Sufragette Emilia Pardo Bazán, Grande Dame der spanischen Volksküche, dass „die Kroketten mit der Akklimatisierung in Spanien sehr gewonnen haben, die französische Krokette ist zu groß, von der Form eines Korkens, hart und ohne Pfiff. Hier in Spanien, wenn wir sie gut machen, zergehen die Krokettchen im Mund, so mild und weich sind sie im Innern“.
Die Bandbreite der Geschmacksrichtungen ist heute schier unendlich. Nicht nur, was die Füllungen betrifft. Denn auch der Bechamel, der Sauce, aus der die Spanier eigentlich einen Teig gemacht haben, wird heute einiges zugesetzt: mit gewürzten Ölen, von Rosmarin bis Trüffel, Orangenextrakten, Wein und Schnäpsen, Kräutern aller Art. Auch allerlei Käse ist beliebt, versuchen Sie einmal ein paar Brocken Feta oder Blauschimmel oder auch einen reifen Idiazábal oder Mahón am Ende der Zubereitung mit einschmelzen zu lassen.
Die Klassiker
Hinsichtlich der Einlagen gibt es klare Favoriten: Schinken, Kabeljau, Cocido. Kroketten mit Fetzen von Serrano- und Ibérico-Schinken gehören laut der Umfrage eines führenden Herstellers von Industrie-Kroketten zu den absoluten Favoriten der Spanier. Für diese Füllung genügt es, die Schinkenfetzen, die fast Flocken sein sollten, in einem Schwaps Olivenöl mit einer ganz fein geschnittenen Zwiebel leicht anzuschmelzen.
Intensiv und geschmacklich raumfüllend sind Kroketten mit Steinpilzen, die man ebenfalls anschwitzt, mit etwas Knoblauch und Petersilie verfeinert. Ein echter Klassiker der Resteverwertung sind die croquetas de cocido, wobei sozusagen der Bodensatz des Sonntagseintopfes, bevorzugt mit einigen Stückchen chorizo, butifarra oder morcilla-Wurst eingedampft als Füllung dient.
Ebenfalls in die Top-Liste der spanischen Krokettenfüllungen gehört der bacalao, rehydrierte getrocknete Kabeljaufilets, die bereits gesalzen sind, können mit etwas Fenchelgrün und Orangenschale verfeinert werden. Lachs, Seehecht (merluza), rape (Seeteufel), Muscheln, Makrele, Garnelen, oder mein Favorit, Krabbenfleisch mit einem Hauch Anis-Schnaps, sind weitere Versionen mit kulinarischer Meeresbeteiligung. Darüber hinaus herrscht bei den Füllungen das Motto: Jeder nach seiner Façon oder para gustos colores, wie der Spanier sagt: Spinat mit Rosinen, Hühnchen mit Estragon, Fäden vom Ochsenschwanz (rabo de toro), Gemüse aller Art, die als pisto, dem spanischen Ratatouille, zubereitet werden. Auch süße Varianten mit Kürbis bis hin zu Schokolade gibt es, eine Perversion, die die Kroketten schon fast wieder ins Französische wandelt. Bei aller Kreativität entscheidet am Ende aber das Handwerk über das Gelingen: außen knusprig, innen zartschmelzend sollen sie sein.
Das Basisrezept
Zutaten Bechamel: Für eine Sauce Bechamel, die ehrlicherweise eher ein Teig wird, benötigen wir: 1 Liter Vollmilch (leche entera), 60g Weizenmehl (harina de trigo), 60100g Butter (mantequilla), Salz, Pfeffer, Muskat (nuez moscada), etwas sehr fein geriebene Zitronenschale (piel de limón rallada)
Zubereitung: Die Butter wird in einem Topf sanft geschmolzen und darf einmal aufschäumen, dann wird darin das Mehl nach und nach mit einem Schneebesen eingerührt. Ist alles zu einer teigigen Masse verrührt, wird die Milch bei mittlerer Hitze nach und nach eingeträufelt. Wichtig: Die Milch sollte mindestens zimmerwarm, besser körperwarm sein. Ständig weiterrühren, dabei soll die Milch nicht kochen, sondern nur heiß bleiben und Flüssigkeit verdampfen, notfalls Topf vom Feuer ziehen, weiterrühren usw. Zwischendurch salzen (vorsichtig, wenn man außerdem salzige Zutaten wie Schinken verwendet, außerdem verdunstet noch einiges an Flüssigkeit). Nach ungefähr 10-12 Minuten sollte eine cremige Masse errührt worden sein, in etwa von der Konsistenz eines griechischen Joghurts. Erscheint sie zu dick, kann man weiter Milch unterrühren. Zu dünn sollte sie bei obiger Mengenangabe nicht sein, durch das Auskühlen erhärtet die Sauce später ohnehin. Der Bechamel geben wir nun frisch geriebene Muskatnuss und einen Pfiff sehr klein geriebener Zitronenschale bei. Zum Schluss rührt man den eigentlichen Geschmacksträger unter, den wir zuvor in einer Pfanne vorbereitet haben. Die Masse gießen wir in eine Form und lassen sie abkühlen. Dann abgedeckt im Kühlschrank mindestens vier bis fünf Stunden, besser noch über Nacht, durchkühlen lassen.
Jede Oma in Spanien hat für die Panade der Kroketten ihren Trick. Die Basis bilden Ei und Semmelbrösel, nicht alle mehlieren die Kroketten zuvor, andere panieren sogar doppelt, anstelle Semmelbrösel wird auch mal grobes Kichererbsen- oder Maismehl verwendet oder ein Mehlmix.
Wer keine Fritteuse besitzt, kann zum Beispiel einen Wok nehmen, ansonsten einen Kochtopf. Die Zubereitung im Ofen ist
Unfug, das kann man mit Kartoffelkroketten machen, nicht aber mit spanischen croquetas. Denn unser Bechamel-Teig schmilzt bei Erhitzung wieder zusammen, daher brauchen wir schnell eine gleichmäßige, dichte PanadeSchicht drumherum. Frittiert wird mit Olivenöl, die alte Mär, dass Olivenöl sich nicht so stark erhitzen lässt, ist lange überholt. Das galt einmal für minderwertige Öle, mit denen in den 70er Jahren dreiste Händler die Guiris betrogen haben, und hing auch damit zusammen, dass die Jahrmarktsfritteusen früher viel zu heiß und gesundheitsgefährdend eingestellt waren.
Die ideale Frittiertemperatur liegt zwischen 165 und 175 Grad, was ein vernünftiges Olivenöl aushält. Kühler darf es auch nicht sein, weil sonst die Krokette auseinanderfällt und/oder zu viel Öl in sie eindringt. Frittiert wird etwa vier Minuten, bis die Krokette rundum gleichmäßig goldbraun geworden ist, anschließend auf Küchenpapier abtropfen lassen. Hinsichtlich der Form ist zwischen rund, oval und zylindrisch alles erlaubt. Man kann auch mit zwei Esslöffeln muschelartige Gebilde zaubern.
Um aber die ideale Verbindung zwischen knuspriger Hülle und weichem Innenleben zu erreichen, sollte man sich an die amtliche Standardkrokettengröße halten, die sich in Spaniens Bars und Küchen bewährt hat. Immer wieder versuchte man sich daran, Kroketten mit Saucen zu begleiten, von Ketchup bis Sauce Tartar, doch die einzig sinnvolle Begleitung ist ein Bier, ein Glas Wein und eine weitere Krokette.
Über die Klassiker hinaus herrscht bei den Füllungen das Motto: para gustos colores