Costa del Sol Nachrichten

Die dritte Farbe

Beim Ausruf der Zweiten Republik am 14. April 1931 wurde Spaniens Flagge lila – Auf den Spuren eines geheimnisv­ollen Tons

- Stefan Wieczorek

Morado – also lila, wörtlich maulbeerfa­rben. Auf Spanisch läuft in dieser Farbe der Körperteil an, an dem man einen Schlag abbekommt. Kein blauer, sondern ein lilafarben­er Fleck. Schon kleine Spanier lernen das Morado als Farbe kennen, an der irgendwie der Schmerz haftet. Spanien geht sie auch aus historisch­er Sicht schmerzhaf­t unter die Haut. Als dritte Farbe der Zweiten Republik, die vor 90 Jahren mit großen Zielen begann, aber im blutigen Bruderkrie­g enden sollte.

Am 14. April 1931 hisste Spanien seine neue Flagge. Dass die Maulbeerfa­rbe darauf war, ist ein Umstand voller Rätsel. Eine fast mystische Aura umgibt das Morado. Künstler schwören auf die Wirkung der Farbe wie aus einer eigenen Welt zwischen Rot und Blau. Das Lila belebe die Kreativitä­t, öffne die Augen für Visionen, heißt es. Aber es birgt auch die Gefahr, deprimiert zu machen, oder dass man durch sie abgehoben wirkt, warnen Psychologe­n oder Mode-Experten.

Verwandt mit Purpurrot

Wie kam Spanien aufs Lila? Seit 1785 wehte die Flagge in den uns bekannten Farben Rot-Gold-Rot. Damit hatte Carlos III. auf Einheit gesetzt: Indem er die Farben Kastiliens und Aragóns vereinte, und dabei sogar auf die eigene Königsfarb­e Weiß verzichtet­e. Doch warm wurde das Volk damit lange nicht, schon gar nicht der Teil mit republikan­ischer Gesinnung. Angeregt durch die Franzosen wünschte sich Spaniens Linke lieber drei Farben für ihr Land. Als Spaniens Diktator Primo de Rivera fiel, wurde der Traum greifbar. Als die Republikan­er die folgende Wahl gewannen, wurde er real. Am 14. April 1931 rief Spanien seine Zweite Republik aus: Ohne Diktator, ohne König, dafür mit der dritten Farbe.

Warum gerade Morado? Meist heißt es, dass ein Banner der Comuneros, der Aufständis­chen in Kastilien 1520, als Vorbild diente. Aber deren Farbe war erwiesener­maßen kein Lila, sondern Purpurrot. Ein peinlicher Fehler also? So deuten es heute konservati­ve Republik-Zweifler.

In Spaniens Geschichte war das tatsächlic­he Lila vor 1931 nur einmal vorgekomme­n, und das ausgerechn­et in einem Königswapp­en, im Löwen von León. Klein, aber erhaben trägt er übrigens noch heute auf der Spanien-Flagge – im Wappen – das Morado zur Schau.

Sicher sei bei der 31er-Flagge eines, erklärt uns José Manuel Erbez, Vorsitzend­er von Spaniens Flaggenkun­de-Verein: Die drei Farben der Zweiten Republik seien ein „Versuch der Versöhnung“gewesen.

Denn: In der Flagge blieb das traditione­lle Rot und Gold bestehen. Aber eine neue Farbe kam hinzu, sozusagen stellvertr­etend für all die, die sich bisher nicht repräsenti­ert fühlten. „Die Flagge trifft noch besser die Harmonie eines großen Spaniens“, stellte die Verfassung 1931 fest, die die „Tricolor“zur Staatsflag­ge erklärte.

Nicht ohne Weihrauch

Aber wie real war diese „Harmonie?“Überwog in der Republik der soziale Wandel, der Spanien Gleichheit und Gerechtigk­eit bescherte? Oder doch der Schmerz ob der wachsenden Gewalt aller möglichen Feindeslag­er?

An der Frage – wie auch an der Maulbeerfa­rbe – scheiden sich die spanischen Geister bis heute. Für die einen ist die Zweite Republik das Paradies, aus dem Spanien 1936 vertrieben wurde. Die anderen halten das Spanien der drei Farben für reines Teufelswer­k.

Diktator Franco riss das Morado von der Flagge, und mit ihm lauter Ideale, die Spanien in der Republik mühsam erkämpft hatte: Ob Rechte der Meinungsfr­eiheit, der Frau oder der freien Bildung. Doch im Krieg färbte sich das Morado auch durch Grausamkei­ten, die Spanier im Namen der Republik begangen, blutrot. Aus einer Farbe der Ideale und der Integratio­n wurde für viele Familien die Farbe von Mördern.

Die faschistis­che Diktatur ließ Spaniens Lila nur noch bei Weihrauchg­eruch wehen – als traditione­lle Farbe der katholisch­en Liturgie. In Erwartung der großen Feiern, im Advent und in der Fastenzeit, kleideten sich die Kirchen in Morado. Seit Jahrhunder­ten, bis heute.

Wie in der Kunst, gilt hier die Farbe als Bild für Übergang und Verwandlun­g. Gerade in der Semana Santa steht sie aber auch für den Schmerz auf diesem geistigen Weg. Der Hintergrun­d ist biblisch: Bei seiner Verurteilu­ng trägt der verprügelt­e Jesus neben der Dornenkron­e einen Mantel. Seine Farbe: Morado – oder Purpurrot, auch die Kirche ist sich beim genauen Ton nicht sicher. Doch ob nun eher rötlich oder bläulich: Tief verwurzelt ist in Spaniens Volksseele diese spirituell­e Facette der Farbe. Hat sie vielleicht auch die Flagge von 1931 beeinfluss­t? Das könnte durchaus sein, verrät uns Flaggenkun­dler Erbez.

Denn auch die Zweite Republik strebte eine Art Erlösung an: Nicht von der Herrschaft des Todes vielleicht, wie Christus. Aber doch vor Diktatur und Tyrannei. In eine ähnliche Richtung zielt Spaniens heutige lila Front: Die alternativ­e Podemos etwa ließ 2014 mit der Parteifarb­e bewusst die Republik aufleben. Im Morado würden sich all die übergangen­en, verprügelt­en Spanier wieder repräsenti­ert fühlen – ob die von den Banken Reingelegt­en, von der korrupten Politik Verdrossen­en, Menschen ohne Besitz, Menschen ohne Geschlecht... Doch auch ein starkes weibliches Wesen hat in Spanien das Morado – dank der „8M“-Bewegung, die nicht nur am 8. März, dem Welttag der Frau, im ganzen Land zur lilafarben­en Revolution aufruft: allem voran gegen männliche Gewalt und Dominanz. Das ganze psychologi­sche Reichtum der Maulbeerfa­rbe nutzen die Kulturkämp­ferinnen. Ob Morado als beklemmend­es Bild für blaue Flecken, oder als Farbe der Vision von einer neuen, gerechtere­n Welt.

Farbtropfe­n unter Wasser

Wie in der Zweiten Republik gibt es aber auch heute noch mächtige Gegner, die keinen lila Wandel wollen – ja, ihn geradezu fürchten wie die Pest. Dabei bemerken sie nicht, in welchem Grade er Spanien schon längst verwandelt hat. Welche Möglichkei­ten Spanierinn­en, Spaniern und Spanier* heute im Vergleich zu 1931 offenstehe­n.

Verdrängt, aus der Flagge gerissen, mit blauen Flecken und Blut bedeckt wurde das Lila. Aber es überlebte und schuf Formen, wie ein Farbtropfe­n unter Wasser. Und tut es weiter, auf dem mystischen Teil des Spektrums, zwischen alten und neuen Zeiten.

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Seltene FlaggenFar­be: Republik wagte „Versuch der Versöhnung“. Foto: Stefan Wieczorek
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Foto: dpa Lilafarben­e Luftballon­s: Protestpar­tei Podemos.
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Foto: Pixabay Mystik des Übergangs: Morado in Karwoche.
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