Die dritte Farbe
Beim Ausruf der Zweiten Republik am 14. April 1931 wurde Spaniens Flagge lila – Auf den Spuren eines geheimnisvollen Tons
Morado – also lila, wörtlich maulbeerfarben. Auf Spanisch läuft in dieser Farbe der Körperteil an, an dem man einen Schlag abbekommt. Kein blauer, sondern ein lilafarbener Fleck. Schon kleine Spanier lernen das Morado als Farbe kennen, an der irgendwie der Schmerz haftet. Spanien geht sie auch aus historischer Sicht schmerzhaft unter die Haut. Als dritte Farbe der Zweiten Republik, die vor 90 Jahren mit großen Zielen begann, aber im blutigen Bruderkrieg enden sollte.
Am 14. April 1931 hisste Spanien seine neue Flagge. Dass die Maulbeerfarbe darauf war, ist ein Umstand voller Rätsel. Eine fast mystische Aura umgibt das Morado. Künstler schwören auf die Wirkung der Farbe wie aus einer eigenen Welt zwischen Rot und Blau. Das Lila belebe die Kreativität, öffne die Augen für Visionen, heißt es. Aber es birgt auch die Gefahr, deprimiert zu machen, oder dass man durch sie abgehoben wirkt, warnen Psychologen oder Mode-Experten.
Verwandt mit Purpurrot
Wie kam Spanien aufs Lila? Seit 1785 wehte die Flagge in den uns bekannten Farben Rot-Gold-Rot. Damit hatte Carlos III. auf Einheit gesetzt: Indem er die Farben Kastiliens und Aragóns vereinte, und dabei sogar auf die eigene Königsfarbe Weiß verzichtete. Doch warm wurde das Volk damit lange nicht, schon gar nicht der Teil mit republikanischer Gesinnung. Angeregt durch die Franzosen wünschte sich Spaniens Linke lieber drei Farben für ihr Land. Als Spaniens Diktator Primo de Rivera fiel, wurde der Traum greifbar. Als die Republikaner die folgende Wahl gewannen, wurde er real. Am 14. April 1931 rief Spanien seine Zweite Republik aus: Ohne Diktator, ohne König, dafür mit der dritten Farbe.
Warum gerade Morado? Meist heißt es, dass ein Banner der Comuneros, der Aufständischen in Kastilien 1520, als Vorbild diente. Aber deren Farbe war erwiesenermaßen kein Lila, sondern Purpurrot. Ein peinlicher Fehler also? So deuten es heute konservative Republik-Zweifler.
In Spaniens Geschichte war das tatsächliche Lila vor 1931 nur einmal vorgekommen, und das ausgerechnet in einem Königswappen, im Löwen von León. Klein, aber erhaben trägt er übrigens noch heute auf der Spanien-Flagge – im Wappen – das Morado zur Schau.
Sicher sei bei der 31er-Flagge eines, erklärt uns José Manuel Erbez, Vorsitzender von Spaniens Flaggenkunde-Verein: Die drei Farben der Zweiten Republik seien ein „Versuch der Versöhnung“gewesen.
Denn: In der Flagge blieb das traditionelle Rot und Gold bestehen. Aber eine neue Farbe kam hinzu, sozusagen stellvertretend für all die, die sich bisher nicht repräsentiert fühlten. „Die Flagge trifft noch besser die Harmonie eines großen Spaniens“, stellte die Verfassung 1931 fest, die die „Tricolor“zur Staatsflagge erklärte.
Nicht ohne Weihrauch
Aber wie real war diese „Harmonie?“Überwog in der Republik der soziale Wandel, der Spanien Gleichheit und Gerechtigkeit bescherte? Oder doch der Schmerz ob der wachsenden Gewalt aller möglichen Feindeslager?
An der Frage – wie auch an der Maulbeerfarbe – scheiden sich die spanischen Geister bis heute. Für die einen ist die Zweite Republik das Paradies, aus dem Spanien 1936 vertrieben wurde. Die anderen halten das Spanien der drei Farben für reines Teufelswerk.
Diktator Franco riss das Morado von der Flagge, und mit ihm lauter Ideale, die Spanien in der Republik mühsam erkämpft hatte: Ob Rechte der Meinungsfreiheit, der Frau oder der freien Bildung. Doch im Krieg färbte sich das Morado auch durch Grausamkeiten, die Spanier im Namen der Republik begangen, blutrot. Aus einer Farbe der Ideale und der Integration wurde für viele Familien die Farbe von Mördern.
Die faschistische Diktatur ließ Spaniens Lila nur noch bei Weihrauchgeruch wehen – als traditionelle Farbe der katholischen Liturgie. In Erwartung der großen Feiern, im Advent und in der Fastenzeit, kleideten sich die Kirchen in Morado. Seit Jahrhunderten, bis heute.
Wie in der Kunst, gilt hier die Farbe als Bild für Übergang und Verwandlung. Gerade in der Semana Santa steht sie aber auch für den Schmerz auf diesem geistigen Weg. Der Hintergrund ist biblisch: Bei seiner Verurteilung trägt der verprügelte Jesus neben der Dornenkrone einen Mantel. Seine Farbe: Morado – oder Purpurrot, auch die Kirche ist sich beim genauen Ton nicht sicher. Doch ob nun eher rötlich oder bläulich: Tief verwurzelt ist in Spaniens Volksseele diese spirituelle Facette der Farbe. Hat sie vielleicht auch die Flagge von 1931 beeinflusst? Das könnte durchaus sein, verrät uns Flaggenkundler Erbez.
Denn auch die Zweite Republik strebte eine Art Erlösung an: Nicht von der Herrschaft des Todes vielleicht, wie Christus. Aber doch vor Diktatur und Tyrannei. In eine ähnliche Richtung zielt Spaniens heutige lila Front: Die alternative Podemos etwa ließ 2014 mit der Parteifarbe bewusst die Republik aufleben. Im Morado würden sich all die übergangenen, verprügelten Spanier wieder repräsentiert fühlen – ob die von den Banken Reingelegten, von der korrupten Politik Verdrossenen, Menschen ohne Besitz, Menschen ohne Geschlecht... Doch auch ein starkes weibliches Wesen hat in Spanien das Morado – dank der „8M“-Bewegung, die nicht nur am 8. März, dem Welttag der Frau, im ganzen Land zur lilafarbenen Revolution aufruft: allem voran gegen männliche Gewalt und Dominanz. Das ganze psychologische Reichtum der Maulbeerfarbe nutzen die Kulturkämpferinnen. Ob Morado als beklemmendes Bild für blaue Flecken, oder als Farbe der Vision von einer neuen, gerechteren Welt.
Farbtropfen unter Wasser
Wie in der Zweiten Republik gibt es aber auch heute noch mächtige Gegner, die keinen lila Wandel wollen – ja, ihn geradezu fürchten wie die Pest. Dabei bemerken sie nicht, in welchem Grade er Spanien schon längst verwandelt hat. Welche Möglichkeiten Spanierinnen, Spaniern und Spanier* heute im Vergleich zu 1931 offenstehen.
Verdrängt, aus der Flagge gerissen, mit blauen Flecken und Blut bedeckt wurde das Lila. Aber es überlebte und schuf Formen, wie ein Farbtropfen unter Wasser. Und tut es weiter, auf dem mystischen Teil des Spektrums, zwischen alten und neuen Zeiten.