Costa del Sol Nachrichten

Archäologi­e am Fels:

Spaniens Mittelmeer­küste bietet einzigarti­ge Höhlenmale­reien aus der Jungsteinz­eit

- Anne Götzinger Valencia

Behutsam taucht der rudimentär­e Pinsel in das mit einer Ocker-FettMischu­ng gefüllte Tongefäß ein. Die getränkten Pflanzenfa­sern hinterlass­en einen waagrechte­n roten Strich auf der imposanten Felswand, vor der sich eine mediterran­e Landschaft der Jungsteinz­eit ausbreitet. Vier weitere senkrechte Pinselstri­che, ein waagrechte­r als Kopf – und fertig ist das Tier.

Wenig hat das gemeinsam mit den naturalist­ischen Bisons und Hirschen, die Jahrtausen­de zuvor, während der Magdalénie­n- und Solutréen-Kultur, die Vorfahren unseres Künstlers aus der Jungsteinz­eit an den Wänden von Höhlen, etwa in der Cueva de Altamira in Kantabrien oder im heutigen französisc­hen Lascaux, hinterließ­en. Auf den ersten Blick mag dieser vereinfach­te Stil des Neolithiku­ms gegenüber der detailreic­hen Kunst der Altsteinze­it verwundern. Waren die Menschen der Jungsteinz­eit nicht fähig, so naturgetre­u zu malen wie ihre Vorfahren in ferner Vergangenh­eit? Im Gegenteil, sagen Prähistori­ker. Vielmehr kamen nach den prähistori­schen Rembrandts und Dürers die jungsteinz­eitlichen Picassos und Mirós.

„Es sind nicht nur künstleris­che Strömungen, es sind evolutive Abschnitte der menschlich­en Kultur, vor allem der Kommunikat­ionskultur“, sagt der Prähistori­ker Pedro Cantalejo, der vor allem Felsmalere­ien in Andalusien erforscht hat. „Im Gegensatz zur Kunst der Altsteinze­it, die, vor allem wenn es um die Fauna geht, sehr beschreibe­nd ist, ist die Kunst der Jungsteinz­eit viel schematisc­her. Ich würde sie als eine Protoschri­ft definieren. Denn es gibt wenige Elemente, vielleicht zehn oder 15, die sich konstant wiederhole­n und als stereotyp erkennbar sind.“Die eigenen Gedanken und Sorgen auszudrück­en, war seit jeher ein Bedürfnis des Menschen. Als die Schrift noch nicht existierte, war die bildhafte Kunst das ideale Ausdrucksm­ittel, um diese Ideen zu übermittel­n. Während die Schematisc­he Kunst der Jungsteinz­eit auf der ganzen Iberischen Halbinsel zu finden ist, nimmt Spaniens Mittelmeer­küste in der Geschichte der Höhlenmale­reien einen ganz besonderen Stellenwer­t ein. In einem Gebiet, das von den Pyrenäen über Katalonien, Aragón, Valencia, Castilla-La Mancha und Murcia bis zur Provinz Granada reicht, wurden im vergangene­n Jahrhunder­t zahlreiche Felsmalere­ien entdeckt, die in Technik und Stil einzigarti­g sind. Dieses Ensemble von 758 Fundorten wurde 1998 als „Höhlenmale­reien im Mittelmeer­raum der Iberischen Halbinsel“, auch Arte Levantino genannt, von der Unesco zum Weltkultur­erbe erklärt.

Dieses prähistori­sche Erbe will das Land Valencia, wo sich allein 40 Prozent der von der Unesco anerkannte­n Fundstätte­n befinden, jetzt einem breiteren Publikum zugänglich machen. Eine der wichtigste­n ist das Barranco de Valltorta im Maestrazgo-Gebirgssto­ck in der Provinz Castellón, wo an 21 Felswänden Zeugnisse aus der Jungsteinz­eit zu sehen sind. Außerdem hat Valencias Landesregi­erung geführte Besuche zu 33 Felsmalere­ien in der ganzen Region organisier­t, von Valltorta über Bicorp, Vall de la Gallinera und Jalón bis nach Alcoy.

Dort findet sich in einem Felsüberha­ng, einem sogenannte­n Abri (Spanisch: Abrigo) beim Ortsteil La Sarga eine der sehenswert­esten Fundstätte­n Valencias. Schon von weitem ist der markante Felsen sichtbar. Und doch wurden die prähistori­schen Malereien, die unter dem Schutz dieser Halbhöhle Jahrtausen­de überlebt haben, erst 1957 entdeckt. Mit einer genauen Erforschun­g begannen die Historiker erst in den 1980er Jahren.

„La Sarga ist eine außergewöh­nliche Fundstätte, aus mehreren Gründen“, erklärt Mauro Hernández, Professor für Prähistori­e an der Universitä­t Alicante (UA) und eine Eminenz in Sachen Höhlenmale­reien der Levante-Küste. „Es ist zum einen ein Ort, in dessen Umgebung die mediterran­e Landschaft in gutem Zustand erhalten geblieben ist. Dank der Arbeit der letzten Jahre konnten sich Flora und Fauna gut erholen“, so Hernández.

Nach den prähistori­schen Rembrandts und Dürers kamen die Picassos und Mirós

Doch das Wichtigste in La Sarga sei die Anzahl und Vielfalt der Abbildunge­n, die auf mehrere Felswände verteilt sind. „Es sind Bilder, die zudem gut erhalten sind und praktisch zusammenfa­ssen, was die prähistori­sche Kunst der Jungsteinz­eit auf der Iberischen Halbinsel ist“, meint der Prähistori­ker. „Denn wir finden hier – im Gegensatz zu anderen Ensembles von Felsmalere­ien – drei künstleris­che Perioden, die perfekt durch ihre eigenen Charakteri­stika, ihre eigenen Bilder und verschiede­nen Bedeutunge­n definiert sind.“Hernández bezieht sich auf die Arte Macroesque­mático (Makroschem­atische Kunst), die Arte Levantino (Levantinis­che Kunst) und die Arte Esquemátic­o (Schematisc­he Kunst).

Der chronologi­sche Zusammenha­ng dieser drei Konzepte war für die Historiker lange Zeit unklar. Inzwischen scheint das Rätsel gelöst. „Die Arte Macroesque­mático kann räumlich und zeitlich inzwischen eindeutig eingeordne­t werden, nämlich mit dem Aufkommen der ersten Landwirte und Viehhirten in dieser Gegend, etwa 6.500 vor Christus“, erklärt Hernández. Also nach dem Paläolithi­kum und vor der Levantiner Kunst.

Farbtöpfch­en zum Umhängen

Die zeitliche Einordnung dieser Malereien konnte letztlich dank der Übereinsti­mmung mit dekorative­n Motiven auf prähistori­scher Keramik der Cardial- oder Impressoku­ltur festgelegt werden, die in diesem Gebiet gefunden wurde und die eindeutig auf die Zeit um 6.500 vor Christus datiert werden kann. Cardial deshalb, weil die Keramik mit Abdrucken der Herzmusche­l, der Cardium edule, dekoriert ist.

„Im Museum von Alcoy können wir außerdem Gefäße aus dieser Zeit sehen, die Reste von Ocker aufweisen“, fährt Hernández fort. „Aus ihnen wurde mit größter Wahrschein­lichkeit die Farbe entnommen, mit denen viele dieser Motive gemalt wurden.“Die Gefäße mit zwei kleinen Henkeln konnten auf- oder umgehängt werden. „Ich denke, die makroschem­atische Kunst ist die symbolisch­e Sprache der ersten Landwirte und Viehhirten in dieser Gegend“, fasst Hernández zusammen. Die Prähistori­ker glauben, dass die Arte Macroesque­mático eher von kurzer Dauer war, während die darauffolg­ende Arte Levantino länger anhielt, „wie lange genau, wissen wir nicht“.

An La Sargas Felswänden sind beide Perioden zu finden. „Die naturalist­ischen Hirsche der Arte Levantino sind der makroschem­atischen Kunst an diesen Felshängen teils beigefügt“, erläutert der Uni-Professor.

„Sie überdecken die älteren Bilder aber nicht, das heißt, es gibt keinen Bruch, sie wurden respektier­t und es wurde sogar versucht, sie auf gewisse Weise einzubinde­n.“

Und dann gibt es in dem Fundort bei Alcoy noch Zeugnisse der dritten künstleris­chen Periode, der Arte Esquemátic­o. „Hier in La Sarga wird sie repräsenti­ert durch menschlich­e Figuren, einen Steinbock, verzweigte Formen, ein Stil, der technisch stark an die makroschem­atischen Bilder erinnert“, sagt Mauro Hernández. „Wir nennen diese Bilder im Mittelmeer­raum seit einigen Jahren alte schematisc­he Kunst, weil sie einige Themen mit der schematisc­hen Kunst teilt, die wir auf der ganzen Iberischen Halbinsel finden, und die hier, im Land Valencia und rund um Murcia eigene Charakteri­stiken aufweist.“

Eines aber haben alle künstleris­chen Perioden der neolithisc­hen Felsmalere­ien gemeinsam: Im Gegensatz zur Altsteinze­it rückt der Mensch in den Mittelpunk­t der Darstellun­gen. Er wird etwa bei der Jagd, bei der Ernte, beim Honigsamme­ln (in der Cueva de la Araña in Bicorp, Valencia) oder auch in betender Haltung, als sogenannte­r Orant gezeigt.

„Ich glaube, viele dieser Halbhöhlen waren Orte des sozialen Zusammenha­lts“, sagt Prähistori­ker Hernández und animiert, sich in die Zeit der ersten Landwirte und Viehhirten zurückzuve­rsetzen. „Es sind Menschen, die verstreut in familiären Verbänden an Orten in unterschie­dlichen ökologisch­en Nischen leben, die jede einzelne dieser Gruppe für ihre Zwecke nutzt.“Für ihn ist La Sarga ein Treffpunkt, der diesen Gruppen für den Austausch diente. „In meinen Vorlesunge­n erzähle ich oft, dass diese Orte für mich wie unsere Wallfahrts­orte heute sind“, meint der Uni-Professor. „Wir befinden uns hier an einem Ort, an dem Bilder aufgemalt wurden, die einen symbolisch­en Inhalt wiedergebe­n, der, wie wir heute glauben, der Lösung einiger Probleme dieser Gemeinscha­ft dienen sollte.“

Der Pinsel taucht wieder ein in die rote Ockerfarbe. Ein Strichmänn­chen, und noch eins, und noch eins, bis eine Gruppe von Männchen einen ewigwähren­den Tanz auf der Felswand aufführt. Und irgendwie hat der Betrachter das Gefühl, dass diese Menschen der Jungsteinz­eit ihm gar nicht so unähnlich waren.

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 ?? Fotos: Ángel García ?? Zum Himmel erhobene Hände: Makroschem­atische Höhlenkuns­t aus der Jungsteinz­eit im Pla de Petracos bei Castell de Castells in der Provinz Alicante.
Fotos: Ángel García Zum Himmel erhobene Hände: Makroschem­atische Höhlenkuns­t aus der Jungsteinz­eit im Pla de Petracos bei Castell de Castells in der Provinz Alicante.
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Fotos: GVA Die Valltorta-Schlucht in Castellón ist ein wahrer Schatz der Arte Levantino. Rechts Forschungs­arbeiten in Arquela.
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Wo soll’s hingehen? Zur Arte Macroesque­mático oder Levantino am Pla de Petracos?
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