Den Hühnern auf der Spur
Um authentische spanische Hühnergerichte zu finden, muss man in den Norden, die letzte Dorf-Bar oder tief in die Geschichte
mar. Das Huhn hat es in Europa binnen weniger Jahrzehnte vom besonderen Sonntagsessen zum verwahrlosten Massenprodukt geschafft. Zwölf der 32 Kilogramm Fleisch, die pro Nase und Jahr in Spanien konsumiert werden, stammen vom Hühnchen, fast doppelt so viel wie vor 30 Jahren. Produziert werden hier aber rund 30 Kilogramm Hühnerfleisch pro Kopf, insgesamt 1,4 Millionen Tonnen pro Jahr, das meiste geht also in den Export. Spanien liegt in der Produktion sogar noch vor Deutschland.
Die Massentierhaltung kann einem dabei wahrlich den Appetit verderben. Aufgedunsene blassgräuliche Hühnerbrüste in den Kühlregalen der Supermarktketten haben eine fast breiige Konsistenz, in der Pfanne lassen sie im Wortsinne Wasser, die Zuchtbedingungen sind schlicht ein Verbrechen. Aber das Fleisch, wenn man es so nennen will, ist billig und darauf kommt es den meisten und unserem System von Angebot und Nachfrage wohl an. Etwas besser ergeht es den „pollos de corral“, deren Fleisch durch „echtes“Futter eine gesünder scheinende Farbe aufweist und auch um einiges teurer ist.
Corral (Gehege) bedeutet nicht Bio, aber immerhin, dass die Tiere im Schnitt 90 statt nur 40 Tage aufgezogen werden, dass sie mindestens zur Hälfte neben optimiertem Hühnerfutter aus dem Labor auch echte Lebensmittel wie Mais, Karotten und Getreide erhalten, dass sie wirklichen Boden berühren und aufscharren dürfen und, dass zwei Tieren mindestens ein Quadratmeter Fläche zustehen, während die Käfigzucht bis zu 15 Tiere erlaubt.
Das Huhn ist in der länger als anderswo im westlichen Europa
Massentierhaltung kann einem wahrlich den Appetit verderben
ländlich geprägten Küche der Spanier sehr präsent, doch wirklich spanische Rezepte lassen sich nur eine Handvoll identifizieren, allein schon, weil das vergleichsweise fettarme und geschmacklich typische Hühnchenfleisch nicht viel Küchenzauber benötigt und mit praktisch allem kombinierbar ist. So landet Hühnchen als langweiliges, meist trockenes Brustfilet im bocadillo, mit Tomate ersäuft in der empanadilla, als Würfel im Salat Cesár, als Fetzen in den Kroketten oder dreht sich wie überall am Spieß als Brathähnchen.
Nur wenige „Pollos asados“Buden machen sich noch die Mühe, die Brathähnchen zuvor in Zitronenschale, Rosmarin, Honig und Knoblauch zu marinieren, wie es früher von Katalonien, über die Balearen bis in die Region Valencia üblich war. Den meisten genügt eine übersalzene Gewürzmischung der Industrie.
Schräge Tapas vom Huhn
Vor allem in dörflichen TapasBars aber, bekommt man noch eine Ahnung von der einstigen Vielfalt, mit der man die Hühnchen würdigte, die so wertvoll waren, dass man wirklich alles von ihnen verwertete. So finden sich in den Vitrinen der urigen Bars mitunter Hühnerleber und -herzen in Sherry und – natürlich Knoblauch – gesotten, oder Hühnermägen, die auf kleiner Flamme stundenlang in Moscatel gekocht wurden und so eine raffiniert süßliche Note bekamen. Wirte erschrecken Touristen gerne mit gestocktem Hühnerblut, manchmal encebollado, also wörtlich aufgezwiebelt, und sogar frittierte Hühnerkrallen zum Knabbern oder die Haut als Grieben als Snack zum Bier finden sich dort.
Das Huhn hat es, neben dem Kaninchen, als eine Pflicht-Zutat in die Paella valenciana geschafft und ist auch in vielen der erlaubten wie der unmöglichsten Paella-Varianten vertreten, allein schon wegen des Geschmacks, den der austretende Fleischsaft zum Gesamtergebnis beisteuert. Arroz con pollo, also Reis mit Hühnchen, ist ein typisches Rezept, dessen Ursprung mal von den Balearen, mal von den Andalusiern und sogar von den Sefardíes, den spanischen Juden reklamiert wird, deren Küchen in Spanien bekanntlich seit über 500 Jahren kalt bleiben mussten. Arroz con pollo kommt daher mal wie eine Paella, mal wie ein Auflauf, mal „caldoso“, also als sämiger Eintopf daher.
Der Ansatz ist zunächst immer der gleiche, Hühnerstücke werden gesalzen und gepfeffert und in einer (Paella)-Pfanne oder einer Kasserolle mit reichlich Olivenöl mutig von allen Seiten angebraten. Ist die Farbe goldbraun, kommen die Stücke beiseite. Nun werden im gleichen Öl Knoblauch sowie roter und grüner Paprika in Streifen angeschwitzt, hinzu kommt das Innere einer vorher eingeweichten getrockneten Paprika (pimiento choricero oder ñora) und 1-2 frisch geriebene reife Tomaten, mit Weißwein ablöschen, nachwürzen, ein