Reisen trotz Corona
Als Tourist sollte man zurzeit nicht reisen – Was aber, wenn man die Familie über ein Jahr lang nicht gesehen hat?
CSN-Redakteurin berichtet über ihre Reisen nach Italien und Deutschland
Ungewissheit und Unsicherheit verweilen dieser Tage neben Reisezahnbürste und Reisepass im Gepäck. Wenn schon das Auswärtige Amt vor nicht notwendigen, touristischen Reisen warnt, überlegt man es sich dreimal, ob man denn nun als geächteter Tourist oder ganz harmlos als Tochter der lange nicht gesehenen Mutter und Schwester unterwegs ist. Die demente Mutter meines Freundes, die er wegen der Corona-Situation eineinhalb Jahre nicht gesehen hat, muss als überzeugendes Argument für die Reise nach Turin reichen. Sechs Stunden dauert die Ticketsuche, da die Billigflieger meist nur um Mitternacht landen. Endlich, ein Ryanairflug, der mittags in Mailand landet, sodass der Flixbus einen nachmittags in Turin abliefert. Eine Woche vor Abflug bucht uns Ryanair um: drei Tage früher, Ankunft um 0.30 Uhr in Mailand. Noch schnell einen Termin für den Antigentest im Hospital Quirón Salud in Marbella organisiert. Schnell ist gut, die Website des Krankenhauses gibt vollmundig an, dass jeder Testwillige von 8 bis 20 Uhr ohne Termin vorbeikommen kann. Von wegen – die Dame an der Rezeption bittet einen um 8.30 Uhr, doch um 11.30 Uhr wiederzukommen.
In Mailand gelandet, verharren die beiden Reisenden vier Stunden auf harten Plastiksesseln mit Mundschutz über Mund und Augen.
Eine Option sind die Schlafkapseln für neun Euro pro Stunde, die aber an eine Computertomographie-Röhre erinnern und Platzangst schüren. Sieben Stunden später stehen die beiden Wahlandalusier mit Augenringen und grauen Gesichtern vor einer Konditorei in Turin und verschlingen
Croissants im Stehen auf der Straße. Das legendäre Filmmuseum Museo Nacional del Cine und der Palacio Real haben geschlossen. Eis, Pizza und Kaffee gibts nur auf die Hand. Verstohlen setzten sich einige Jugendliche auf eine Bank im Park Cavalieri di Vittorio Veneto und trinken Bier. Die Stimmung ist gedämpft. Vor einer Bar am Ufer des Flusses Dora Riparia sammeln sich um kurz vor 18 Uhr arbeitslose Künstler und genervte Jugendliche, um den letzten Schluck Spritz (Campari Soda) herunterzustürzen – denn um 18 Uhr ist Zapfenstreich. Eine Apotheke am anderen Ende der Stadt bietet Schnelltests. Wer in der Innenstadt unterwegs ist, sollte in diesen Zeiten nichts trinken, denn die Toiletten in den Bars sind geschlossen, so bleibt einem als Frau nichts anderes übrig, als sich zwischen parkende Autos zu hocken.
Test Drive-In neben dem Tüv
Zurück am Flughafen in Mailand hat sich vor der Abflughalle eine lange Schlange gebildet. Hier muss man ein Formular in englischer Sprache ausfüllen und Herkunftund Zieladresse sowie die Reisemotive angeben. Auch hier muss der Besuch der kranken Eltern als Argument reichen. Vor der Sicherheitskontrolle sitzt ein Carabinieri, nimmt die Formulare, wirft einen flüchtigen Blick darauf, drückt hastig einen Stempel darauf und legt sie zu den hundert anderen Blättern. Ein deutschsprechender Kalabrier will der Reisenden weismachen, dass sie nur mit einem PCR-Test nach Deutschland einreisen dürfe. Sein Bekannter sei nach Italien zurückgeschickt worden. Die Einreise mit dem halb so teuren Antigentest gelingt am Ende doch.
Etwas gedrückt ist die Stimmung auch in der nordhessischen Kleinstadt Eschwege. In einer Turnhalle gibt es Gratistests – aber nur für deutsche Staatsbürger, wie der Mitarbeiter des Roten Kreuzes ausdrücklich sagt. Für den Rumänen, dessen Arbeitgeber einen negativen Test verlangt, gibt es keine kostenlosen Schnelltests. Ein alter Schulfreund musste seine Metzgerei zwei Wochen lang schließen, weil eine Mitarbeiterin positiv auf Covid-19 getestet worden war. Waren im Wert von 10.000 Euro musste er entsorgen, der Staat gab ihm Corona-Hilfen in Höhe von 800 Euro. In der Fußgängerzone erzählt eine 85-Jährige mit Rollator, dass sie ihre Freundinnen nicht mehr besuchen, da ihr Garten zu chaotisch sei. Die Frau zuckt mit den Schultern: „Tja, alleine schaffe ich das nicht mehr.“
Eine Freundin erzählt, dass sie im Dezember ihren Job als Hebamme aufgegeben hat, da ihr sechsjähriger Sohn depressiv geworden ist, weil er nicht in die Schule und somit seine Freunde nicht treffen durfte. Eine andere Freundin, die sonst in Paris lebt, trifft sich lieber draußen zur Fahrradtour, da sie sich als Alleinerziehende keinesfalls anstecken darf, auch weil sie später ihre Oma im Seniorenheim besucht, die sich gerade von Covid-19 erholt hat. Bei der Schwester in Schwäbisch Gmünd bieten Hausärzte keine PCR-Tests an. Im eine Stunde entfernten Esslingen gibt es einen PCR-Drive-In direkt neben dem Tüv im Industriegebiet.
Inzwischen hat auch Lufthansa den Rückflug umgebucht, sodass die Reisende statt um 13 schon um 9 Uhr abfliegt. Das heißt: um vier Uhr aufstehen, um 6 Uhr den Zug nach Frankfurt nehmen. In der Abflughalle erklingen Flötenklänge. Zwei Deutsche spielen zweistimmig auf japanischen Flöten. Keiner beschwert sich. Es scheint, als empfänden die meisten die Melodien als wohltuend – einige schließen die Augen, lehnen sich zurück und sind dankbar für diesen Moment der Muße.