Flamenco auf dem Teller
Kulinarische Rundreise durch Spaniens Regionen – Teil 18: Andalusien
mar. Wie die Schönheit und Pracht, die modrige grandezza Venedigs unmöglich anhand einiger einzeln herausgelöster Häuser erklärbar ist, lässt sich auch Andalusiens Küche nicht durch einzelne Gerichte charakterisieren. Essen und Trinken in Andalusien sind undenkbar ohne Ferias und Fiestas, das Geplapper der Bewohner, ohne die engen Gassen Córdobas, die lichten Parks Sevillas, den Glanz der Paläste Granadas, Kirchen und Burgen, weißen Dörfer und schwarzen Kutten, die Patina Trianas, die Atlantik-Brise in Cádiz oder die keck geschwungenen FlamencoKleider auf den Ferias mit ihren bunten Kontrapunkten zum ranzigen Olé der Stierkampfarenen.
Die Andalusier bewirten den Gast in derselben Weise, in der die alten Venezianer Fresken an die Wände hauchten. Mit kühnem, etwas sorglosem Pinselstrich, pastellenen Farben und schrillen Einsprengseln, die sich erst mit etwas Abstand zu einem wohltemperierten Gemälde formen, in dem jeder sehen kann, was er will. Was hat er dauernd mit den Italienern, werden
Sie fragen? Ganz einfach, Andalusien ist die Region Spaniens, die in ihrer Küchentradition, Viel- und Sorgfalt an jene Italiens – unbestreitbar die beste der Welt – heranreicht. Andere spanische Regionen schaffen das nicht.
Andalusiens lukullische Farbpalette, also die Rezeptbücher und Zutaten, sind dabei uralt und in vielen Fällen sogar Wiege der spanischen Küchen. Vergessen wir nicht, dass Andalusien praktisch 3.000 Jahre das Zentrum Spaniens war – aller Spaniens, ob sie nun Iberia, Ishapan, Hispania, Al-Ándalus oder Espana hießen. Und jede Kultur ließ zumindest ein paar Tapas und einige Zutaten in der andalusischen Speisekammer da, so wie in einer gut gepflegten Wanderhütte.
Erst Ende des 17. Jahrhunderts übernahm Madrid als endgültige Hauptstadt Spaniens. Oder besser gesagt, der verbohrte Felipe II stülpte diese Rolle Madrids dem Rest des Landes über.
Spaniens Ursuppe
Doch in Andalusien formte sich jene Ursuppe, die wir heute als Spanien kennen. Dieses Spanien erlebte seine Renaissance 500 Jahre vor der italienischen, während des Kalifats von Córdoba (850-1030), als die größten Geister ihrer Zeit die Werke der Antike in regem Austausch zwischen Juden- und Christentum sowie einem damals noch weltoffenen Islam für Europa neu erschlossen. Sodann residierten Kastiliens Könige am Höhepunkt der Reconquista in Córdoba und Sevilla, stießen Spanien in ein Mittelalter zurück, während nebenan, in Granada, die Nasriden-Dynastie und der Traum von einem anderen Europa in Pracht verendete.
Kaiser Karl V. (Carlos I.), der „Reichseiniger“, heiratete im Dome zu Sevilla. Das war ein Statement, das bis heute nachwirkt. Man vertrieb die Mauren und die Juden, züchtigte die Gitanos, doch die echten Halunken wurde Andalusien
bis heute nicht los.
Das Vulgärlatein, das sich unter Römern und in Al-Ándalus herausbildete, tausende Wörter Arabisch und auch phönizisch-semitische Adoptivkinder bilden den zweiten Stamm, aus dem das Castellano erwuchs. Die jesuitische Gelehrtheit des Nordens traf auf des Volkes Maul im Süden, das mehr Einfluss auf das Spanische ausübt, als es die steifen Professoren der Königlichen Akademie in Madrid in ihrem altkastilischen Dünkel oft wahrhaben wollen. Dass Cervantes die ersten Kapitel seines Quijote in einem Knast in Sevilla schrieb, spricht Bände.
Alles war schon da in Andalusien seit den Iberern, über Phönizier, Tartessanos, Griechen, Römer, Goten bis zu den Mauren und Gitanos, – chaotisch, fragmentiert und doch verschmolzen. Daran hat sich bis heute kaum was geändert. Kastilien wurde der Vater, Andalusien die Mutter Spaniens. Und das schmeckt man, auch die Seitensprünge der beiden.
Ganz Andalusien ist eine TapasBar, die Kultur der kleinen Häppchen
wird hier auf die Spitze getrieben. Kein weiser Mensch bestellt in Granada noch etwas zu Essen, die Tapas sind hier so groß wie anderswo ganze Portionen. Essen und leben lassen, reden und den anderen nicht zu Wort kommen lassen, den Moment genießen, lachen, wo man heulen müsste und dazu ein kühles Bier.
Tapas bis zum Abwinken
Die wilden Schnecken in scharfer Sauce sind einfach am besten im Albaicín in Grandada mit Durchblick auf die Alhambra. Dass sie hier – wortwörtlich bis zum Abwinken – aus einer lärmenden Gitano-Küche mit weit ausholendem Schwung in eine Glasschüssel expediert werden, ist kein Klischée, sondern Alltag. Sardinen am Spieß würden woanders nur ein schnöder Fisch sein, als espeto de sardinas in einer Bar an einem Strand in Málaga, wo sie in einem ausgedienten Ruderboot über der Glut brutzeln, sind sie hingegen der Himmel auf Erden. Wer käme auf die Idee, Kichererbsen mit Spinat zu verrühren und als Gourmet-Tapa zu servieren?
In Andalusien muss der Gaumen sehen, fühlen, hören lernen, um richtig schmecken zu können