Nachbarn im Streit: Konflikt zwischen Spanien und Marokko ist historisch begründet
Die Eskalation zwischen Marokko und Spanien hat globale Motive, aber auch historische Wurzeln
Madrid – mar. „Das hat alles nichts mit Europa zu tun“, beharrt der marokkanische Außenminister Naser Burita darauf, dass es sich bei der unkontrollierten Grenzöffnung vorige Woche „um eine bilaterale Krise handelt, die Spanien ausgelöst“habe. Wenn sie diesen „Herren“, gemeint Brahim Gali, Chef der Frente Polisario zur Befreiung der Westsahara, „genauso aus dem Land schaffen, wie sie ihn hereingebracht haben, ist sogar ein Bruch der Beziehungen möglich“, droht der Minister aus Rabat unumwunden.
Gali ist zur ärztlichen Behandlung nach Spanien geholt worden, eine „humanitäre Geste“der Regierung Sánchez, die innen- und außenpolitisch viel Staub aufwirbelt. „Marokko hat die Einwanderungswaffe angewendet, um Europa unter Druck zu setzen“, schreibt „Le Monde“. Aus marokkanischer Sicht ist Spanien quasi zur Kriegspartei im wieder offen ausgetragenen Dauerkonflikt um die Westsahara geworden, ein Gebiet, das Marokko beansprucht und das der Frente Polisario – nicht zu Unrecht – unterstellt, der lange Arm Algeriens zu sein.
Es war mal wieder die USA, die Öl ins Feuer gossen: „Trump hat den Anspruch Marokkos auf die Westsahara anerkannt, doch das eigentliche Problem ist, dass Biden das bis jetzt nicht widerrufen hat“, kommentierte am Wochenende die „New York Times“die globalen Stellschrauben hinter dem Konflikt, der zum Ziel habe, Algerien zu destabilisieren, ein Kontrahent der USA auf dem Ölmarkt. Dieses Denkmuster aus dem Kalten Krieg übergeht Europa völlig, das in den USA als politisch uneins, langsam und somit schwach gilt.
Für die Nachbarn Spanien und Marokko steht viel auf dem Spiel
Für die Nachbarn Spanien und Marokko steht viel auf dem Spiel, auch über das „Geiseldrama“mit Flüchtlingen, Handel und Tourismus hinaus. Denn die Kooperation bei der Bekämpfung von islamistischen Terrornetzwerken und Menschenhandel
ist eng, weniger beim Kampf gegen Drogen. Zigtausende marokkanische Saison- und Gastarbeiter leben und arbeiten in Spanien und überweisen viel Geld in die Heimat.
Es geht aber auch um alte Rechnungen: Spaniens Kolonialarmeen massakrierten die marokkanische Zivilbevölkerung in vielen Eroberungskriegen. 1883 besetzte Spanien die Westsahara und zog 1975, mit dem Tode Francos, hastig und blutig ab. Marokkos König Hassan II. ließ das Gebiet daraufhin mit 350.000 Menschen zwangsbesiedeln, was bis heute als „Grüner Marsch“beim Nationalfeiertag begangen wird. In Marokko
sind auch die Hunderttausenden Glaubensbrüder nicht vergessen, die Spanien ab 1492 aus Ál-Andalus deportierte, viele nach Marokko.
Rund 7.000 der jetzt irregulär von Marokko ins spanische Ceuta gekommenen Flüchtlinge sind bereits wieder zurückgeschickt worden, knapp 1.000 warten noch auf die Abschiebung, mehrere Menschen starben. Die spanische Regierung hat lediglich die Verlegung von rund 200 unbegleiteten Minderjährigen auf das spanische Festland aus „humanitären Gründen“verfügt und muss sich dafür von der rechten Opposition beschimpfen lassen.