Knallige Serie
Sky Rojo: Knallige Netflix-Serie voller An- und Widerspruch von Machern von „Haus des Geldes“
Drei Frauen kämpfen gegen die Welt, die ihnen zur Hölle auf Erden wurde. Dies ist der Plot von „Sky Rojo“, dem neuen Quotenhit auf Netflix. Eine Serie mit Anspruch und voller Widersprüche, für welche die Macher von „Haus des Geldes“, dessen fünfte Staffel im September anläuft, verantwortlich zeichnen.
mar. Die Termine für die Ausstrahlung der fünften und letzten Staffel des spanischen Netflix-Welterfolgs „Casa de Papel“stehen endlich fest. Die ersten fünf Folgen werden ab 3. September, die zweiten fünf ab 3. Dezember gestreamt. Fans des Autorenduos von „Haus des Geldes“, Álex Pina und Esther Martínez Lobato, können sich die Wartezeit mit der Mini-Serie „Sky Rojo“vertreiben, in der sich die Frage nach Untergang oder Happy End nicht stellt. Denn „Sky Rojo“beginnt direkt in der Hölle auf Erden.
Die Autoren hauen den Zuschauern acht knallige, temporeiche Folgen zwischen Hochglanz-Porno und Manifest gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel auf einmal um die Ohren. Die mit je 25 Minuten sehr kurzen Kapitel erzählen in „Sky Rojo“, auch in deutscher Synchronisation, die Geschichte der drei Prostituierten Coral (Verónica Sánchez), Wendy (Lali Espósito) und Gina (Yany Prado), die aus einem spanischen Bordell irgendwo auf den Kanaren entfliehen, nachdem sie ihren Zuhälter und Puff-Betreiber brutal außer Gefecht gesetzt und – es soll wohl wie ein Unfall aussehen – seine Assistentin umgenietet haben.
Provokant unterhaltsam
Aus der Flucht der drei Frauen entwickelt sich ein Roadmovie zwischen sehr schwarzer Komödie und Erklärfilm, bei dem sich die Zuschauer nicht sicher sein können – und vielleicht auch nicht sollen – ob die Macher ihn veräppeln oder zum Nachdenken provozieren wollen. Oder eben einfach nur unterhalten. Das Problem: „Sky Rojo“stellt durch den Erzähler, aber auch Interviews der Hauptdarstellerinnen von Anfang an einen gewissen Anspruch auf, sich kritisch mit der gesellschaftlichen Schande der Zwangsprostitution, des Menschenhandels, toxischer, gewalttätiger „Männlichkeit“und kommerzialisiertem Machismo auseinanderzusetzen.
Dabei bedient sich die Serie aber einer marktschreierischen Bildsprache, dass sich nicht wenige Kritiker in Spanien fragten, ob „Sky Rojo“am Ende nicht doch eher ein Werbeprospekt für die Rotlicht-Industrie als eine Anklageschrift für eines der größten alltäglichen Verbrechen unserer Zivilisation geworden ist. „Eine politisch korrekte Ausrede, um möglichst viel nacktes Fleisch zeigen zu können“, wie eine konservative Zeitung pikiert anmerkte.
Man kann die Serie als politisch korrekten Voyeurismus kritisieren oder ihr zugute halten, dass sie es schafft, das Thema Zwangsprostitution samt dem ganzen Elend dieses klandestinen Universums, einschließlich der schmierigen Ignoranz des „normalen Kunden“, überhaupt auf eine große, internationale Bühne zu bringen. Möglicherweise soll auch die Diskrepanz zwischen der glamourösen cineastischen Bildsprache und der brutalen Banalität des Themas einen besonderen Kontrast erzeugen.
Nicht zuletzt holt man vielleicht die „coolen Kids“dort ab, wo sie stehen. Aufgewachsen in einer zwar durch und durch pornographischen Werbe- und Bilderwelt, aber einer sonst auch verlogen prüden Gesellschaft, in toxischen „Gangs“, die manchmal einfach „Familie“heißen, in denen man nicht wirklich über Gefühle sprechen kann, sondern Rollen spielt, einer Gruppendynamik folgt, die oft selbstund fremdzerstörerisch ist.
Während Coral, Wendy und Gina vor ihren Verfolgern fliehen und der Zuschauer irgendwo zwischen „Kill Bill“eines Quentin Tarantino und der spanischen Kultserie um den schmierigen Torrente sich selbst überlassen wird, schwärmen einige Kritiker hingegen von einer Art Latin „Pulp Fiction“. Jeder Zuschauer kann seine Wahrheit finden. Die Serie verlegt sich in späteren Folgen auf ein permanentes Changieren zwischen flachen Witzen, Faszination für das Böse und bemühtem Anspruch, bei gutem cineastischen Handwerk. Bei so vielen Richtungswechseln knirscht es im dramaturgischen Gebälk gewaltig.
Politisch korrekte Ausrede, um viel nackte Haut zeigen zu können?
In subjektivierten Rückblicken versucht „Sky Rojo“zu erklären, wie diese Frauen in der Prostitution landeten. Da gibt es Einblicke in zerrüttete Familien, verrannte Lebenspläne, Drogenkarrieren, die abgrundtiefe Armut der dritten Welt, die Eltern dazu bringt, die eigenen Töchter über „Vermittler“als „Kellnerinnen“in die Ferne zu schicken, obwohl sie genau wissen, dass sie nur eine Schürze tragen werden, wenn ein Freier das will. Blicke erhaschen wir auch auf die Kundschaft, die ihre Perversionen und ihre gestörte Sexualität als „Dienstleistung“auslebt.
Eine Männerwelt, in der das Bordell nicht nur eine selbstverständliche Institution ist, wie die Stammkneipe oder die Lotto-Bude, sondern Teil des patriarchalen Machtapparates, der im Puff nur in ungeschminkter Direktheit sichtbar wird, aber dessen Logik und Mechanismen die ganze Gesellschaft durchdringen. Coral, Wendy und Gina, eine Spanierin, eine Kubanerin, eine Argentinierin, fliehen aus dieser Welt, auf die ganz harte Tour und auf einem Weg, der in der Realität praktisch unmöglich ist. Die Realität ist scheinbar nicht filmreif. Diese Befreiung der Frauen bedeutet auch ein Kampf gegen die inneren Dämonen, die sie so lange in dieser Welt gefangen hielten.
Realität nicht filmreif
Gleich am Anfang klärt der Erzähler auf, dass Spanien in puncto bezahltem Sex einer der größten Weltmärkte sei, 40 Prozent der hiesigen Männer „konsumieren Prostitution“, sagt nüchtern die Statistik oder bezahlen dafür, Frauen vergewaltigen zu dürfen, heißt es dann doch im Klartext, eine der höchsten Quoten weltweit. Eine Statistik, die man stark anzweifeln darf. Möglicherweise prahlen die spanischen Männer mehr mit ihren Puffgängen oder schämen sich weniger dafür, während der sich moralisch aufgeklärter gebende Nordeuropäer sich spießig im Geheimen austobt.
In der Serie ist das Bordell, aus dem die drei Frauen fliehen, ein surrealistischer Club, fast ein Theater, auf dessen Bühne sich ein exzentrisch-psychopatischer Lude seine profitable Traumwelt auf den Existenzen und der Würde seiner Opfer erschafft. Doch die banale Brutalität, der graue Alltag der sexuellen Gewalt, kennt diesen Glitter nicht, dort müssen kleine Bretterbuden mit Blümchentapete und Sperrholzregalen genügen. Schichtbetrieb, Massenfrauenhaltung, ein Milliardengeschäft knallhart kalkulierender Krimineller. Mehr ist es nicht.
Immerhin, „Sky Rojo“gibt dieser Masse drei Gesichter. Dass eine Netflix-Serie diese kranke Welt aber letztlich nur ankratzt und künstlerisch überhöht darstellen muss, um „anzukommen“, liegt in ihrer Natur als Plattform der Unterhaltungsindustrie, gute Autoren hin oder her. Sonst wäre es nicht „Sky Rojo“, sondern nur die Hölle auf Erden. Und die will keiner sehen, wenn er abends den Fernseher anmacht. Die zweite Staffel von „Sky Rojo“hat Netflix für den 23. Juli 2021 angekündigt. Wieder sollen es acht Folgen werden und es sollen auch die letzten sein.