Zimmer ohne Aussicht
Vom „Hotel Mama“ins Nichts: Würdiges Wohnen wird für Andalusier immer unerschwinglicher
Sevilla – mar. Mit Stolz meldet die andalusische Landesregierung dieser Tage, dass sich der Anteil der „Jugendlichen“bis 30 Jahre, die es endlich aus dem „Hotel Mama“schaffen, 2022 deutlich vergrößert hat, weil es durch den Tourismus wieder mehr Jobs gibt. Dass viele der jungen Leute, die zum Arbeiten in andere Orte ziehen, sich die Wohnung dort mit Kumpels und Fremden teilen müssen, weil sie sich – auch mit 30+ – häufig keine eigene leisten können, erwähnt die Junta nur, wenn sie dabei mit dem Finger auf Sánchez und die Sozialisten in Madrid verweisen kann.
Das statistische Durchschnittseinkommen in Andalusien liegt derzeit bei 1.558 Euro brutto im Monat. Das sind 30 Prozent weniger als der europäische Schnitt von 2.194 Euro und nochmals 193 Euro monatlich, also 2.400 Euro weniger im Jahr als ein Spanier im Schnitt verdient. Der gesetzliche Mindestlohn beträgt in Spanien 14.600 Euro im Jahr (1.050 in 14 Zahlungen, von 858 im Jahr 2018), netto liegt das andalusische Durchschnittsgehalt nach Abzug von IRPF und anderen Pflichtabgaben mit 15.695 also nur noch leicht darüber.
Hälfte des Lohns fürs Wohnen
Die Richtlinie der Regierung bei Überlegungen zu Mietendeckelungen und anderen Sozialmaßnahmen wird entlang der Annahme gezogen, dass eine Person oder Familie nicht mehr als 30 bis 35 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für die Wohnkosten aufwenden sollen muss. Auf den Balearen, den Kanaren, Katalonien, Region Valencia und Madrid wird diese Marke bereits flächendeckend übertroffen. In Andalusien aber übersteigt der Anteil von Miete oder Hypothek samt Nebenkosten im Schnitt 50 Prozent des Einkommens.
Rechnet man den Mehraufwand
durch die Inflation für andere lebensnotwendige Ausgaben hinzu, bleibt selbst für Familien in Vollbeschäftigung und deren Kinder weder viel Geld für Urlaub und Vergnügen oder schon gar für Kultur und Bildung übrig. Die Marginalisierung und Armutssegregation der kommenden Generationen wird so vorprogrammiert, die es dann wieder überwiegend nur in prekäre Berufe mit geringen Aufstiegschancen und schlechter Bezahlung schaffen werden. Eine Alternative wäre der Umzug auf das Dorf, ins „leere Spanien“. Doch Stadtflucht aus reiner Armut bringt ländlichen Regionen auch nichts. Selbst dort sucht man vor allem qualifizierte Leute mit einem gewissen Eigenkapital, ob nun als Bio-Bauer, Pensions-Betreiber oder Home-Office-Resident.
Die Voraussetzungen für junge Leute, von den Eltern auszuziehen und ein eigenes Leben zu beginnen, eine Familie zu gründen, „waren lange nicht mehr so schlecht wie
heute, wahrscheinlich in Zeiten der Demokratie nie schlechter“, schätzt die Gewerkschaftskonföderation UGT in einer Studie ein. Eltern zahlen länger ihre Hypotheken ab und können daher ihren Kindern häufig die Anzahlung auf ein eigenes Heim nicht „borgen“. Die Mieten für Wohnraum in Spanien stiegen indes zwischen 2015 und 2022 um 60 Prozent. „Und das am stärksten in den Metropolen, wo junge Leute studieren wollen und in Urlaubsgebieten, wo die meisten Jobs zu finden sind“. Die DGT schlussfolgert: Mehr Sozialwohnungen und effizientere Förderprogramme seien wichtig, aber es brauche vor allem gerechte, also höhere Löhne.
In Málaga, dem Zentrum der Costa del Sol, ist es selbst für überdurchschnittlich
Verdienende fast aussichtslos eine angemessene Wohnung zu finden. Selbst Bruchbuden werden zu horrenden Preisen angeboten, vor allem auch, da praktisch das gesamte Zentrum samt Peripherie nur noch touristisch vermietet wird. Während die Mieten in der Landeshauptstadt Sevilla, zum Beispiel im innerstädtischen Viertel Los Remedios, im beliebten Distrikt Triana, im Schnitt 10,84 Euro betragen, zahlt man in Málagas Innenstadt heute bereits 14,50.
Die zahlreichen Neubauten, die in der Boom-Stadt hochgezogen werden, ändern an der Lage nichts. Sind sie nicht direkt als TouriApartments ausgelegt, werden sie so kalkuliert, dass sie den Mietmarkt von oben nach unten abgrasen. Ein Student oder Kellner steht finanziell aber meist am Ende der aquisitorischen Nahrungskette und bleibt gefangen in einem Teufelskreis und seinem Zimmer ohne Aussicht.
Eine Stadtflucht aus reiner Armut hilft dem „leeren Spanien“wenig