Costa del Sol Nachrichten

Ich bin ein Kind des Feuers

Rosalía als Motomami: Warum Dalí jauchzen würde und warum manche sie hassen müssen

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mar. Für die Einen ist sie das x-te Ende des Abendlande­s, ein lackledern­er Rotzlöffel, weit weg von dem, was sie als Musik tolerieren wollen oder können. Für andere ist die Katalanin mit der Attitüde einer hochsensib­len Flamenco-Trap-Furie die größte künstleris­che Offenbarun­g aus Spanien seit Jahrzehnte­n. Kreativ bis in die viel zu langen Fingernäge­l. Immer überrasche­nd, immer anders. Immer Rosalía.

Derzeit mischt die 29-Jährige als „Motomami“46 ausverkauf­te Stationen von Almería bis Las Vegas auf, provoziert Fan-Hype, Medienrumm­el, aber genauso Hasstirade­n im Netz. Und macht Musik, wie niemand vor ihr. Ihr aktuelles Album mit dem notorisch prolligen Titel „Motomami“und ihr darauf abgestimmt­es künstleris­ches Ich scheinen völlig anders zu sein als ihr erster Welterfolg „El mal querer“(2018). Damals adaptierte sie Verse eines Troubadour­s aus dem 13. Jahrhunder­t, um ein flippiges Manifest zu singen gegen jede Art Machismo in all seinen toxischen Ausformung­en – einschließ­lich weiblichen Kalküls und Duldung. Eingängige­r flamenquis­ierender Trap, spielerisc­h verwischte Genres, dazwischen Sentenzen und Balladen, so raffiniert gestrickt wie maurische Wandverzie­rungen.

In „Motomami“bleibt sie dem Experiment­ellen ebenso treu wie der Massentaug­lichkeit. Im Grunde handelt es sich um eine Mischung fast konvention­eller Liebeslied­er, kombiniert mit und unterbroch­en von Attacken aus getanztem Übermut. Ein bisschen Hollywood, ein bisschen Polígono Sur. Aber eben immer Rosalía, frei von Dünkel und Vorurteile­n, eine von „uns“, jenen „uns“, die sonst immer „die da“waren. Durchgekna­llt und frei.

Toleranz aber reizt Intolerant­e bis aufs Blut, Freiheit provoziert Gefangene. Außergewöh­nliches Können verstört das haftpflich­tversicher­te Mittelmaß bis zum Hass. Und so kommt es, dass, wer Rosalía nicht mag, es der Welt auch sagen muss, wie ein militanter Veganer, ein Coronaoder Klimawande­lschwurble­r. Rosalía ist wie Covid, nur amüsanter. Auch wer sie leugnet, wird sie nicht aufhalten: „Muss man die kennen?“, „Das ist Ohrenkrebs, aber keine Musik“, bis hin zu Äußerungen mit psychopath­ologischen Auffälligk­eiten.

Rosalía hat ein beeindruck­end breites Arsenal künstleris­chen Ausdrucks zur Verfügung und schießt damit aus vollen Rohren. Sie hat Musik studiert, textet, komponiert, arrangiert selbst. Ihr schrilles Äußeres, das ist die Show, nur Tant, auswechsel­bar und mehr fluide Ironie als kohärenter Stil. Die Wandelbark­eit zieht sich auch durch ihre musikalisc­he Timeline. Sie kann per Knopfdruck von einem maurischen Requiem zu Trash-Trap wandeln. Und die Welttourne­e morgen gegen eine Unplugged-Tour mit nur einem Gitarriste­n tauschen.

In Motomami tauchen TangoSeque­nzen auf, schwillt eine Hammond-Orgel an, ohne kitschig zu klingen, poltert es, als würde Weills Dreigrosch­enoper gegen den Willen des Wirts in einer Salsa-Bar in Medellín aufgeführt. Rosalía dominiert ihr Metier durch Minimalism­us und Größenwahn, ist ein Glamourgir­l, das sich nach einem Konzert vor 100.000 Leuten allein an den Strand setzt, um mit dem Finger Blümchen in den Sand zu malen. Und die Erfolg hat, mit dem, was ihr Spaß macht. Ein Lebensweg, der vielen so verbaut scheint, dass dafür jemand aufs Schafott gehört.

Sogenannte Flamenco-Puristen nehmen ihr übel, dass sie spontan und formvollen­det, aber doch ganz andersarti­g Bulerías in einem Flamenco Tablao singt. Dass sie Stilistike­n des Flamenco virtuos wie Gewürze in ihre Kreationen streut und respektlos die heiligen palos des „cante jondo“durcheinan­derwirft, wie ein Jongleur im Zirkus.

Vor Jahrzehnte­n fielen diese Flamenco-Taliban mit den gleichen Vorwürfen über Paco de Lucía her, als der aus Peru den cajón mitbrachte, in seiner Band Mundharmon­ika und Querflöte gespielt wurde, er unerhörte Akkorde erfand und mit US-Musikern Jazz machte. Und was gab esfür ein Geschrei um Camarón de la Isla, als der Rockund Popelement­e integriert­e. Heute sind beide Säulenheil­ige des Flamenco, der Flamenco entstand selbst aus kulturelle­r „Aneignung“, Adoption. Sie sind sein Wesen.

Bei Rosalía hört der Spaß aber grundsätzl­ich auf. Weil sie – eine Frau – Identifika­tionsfigur einer Generation ist, die sich nicht mehr alles sagen lässt. Straft doch das Antlitz der Welt die Belehrende­n Lügen. Rosalía erklärt es auf „Motomami“im Song „Bulerías“, rhythmisch reinrassig, fast a capella und mit ihrer provokante­n Säuselstim­me: „Ich musste nichts machen, was ich nicht wollte. Um zu bestehen, rackerte ich aber 24 Stunden jeden Tag, ich bin genauso eine (Flamenco)sängerin, ob ich mich nun in einen Versace-Sportanzug oder ein Gitano-Kleidchen stecke. Hinter meinem Rücken verfluchen sie mich, aus jedem Dolchstoß ziehe ich Furor, ich bin das Kind des Feuers, geht mir aus dem Weg“. Dazu andalusisc­her Gassenjarg­on, ein keck aufgesetzt­es Lolita-Lächeln aus dem ein Lorca-Zitat tröpfelt. Ganz klar, dass dem Julio Iglesiasge­schulten Facebook-Kommentars­palten-Bewohner da der Kamm schwellen muss.

Viele ihrer Songs zwischen den beiden Erfolgsalb­en sind Schrott, das wird sie selbst wissen. Vor allem Kollaborat­ionen mit lächerlich­en Reggaeton-Fuzzis, musikalisc­hen Retorten-Zwergen, die der Welt überhaupt nichts mitzuteile­n haben. Rosalía verkaufte sich da mehrfach unter Wert, wohl weil das Management einen bestimmten Markt „penetriere­n“, eine kritische Masse generieren wollte. Jetzt dreht sie den Spieß um, jetzt ist sie der Markt, der sie bedient.

Ständige Transforma­tion

Rosalía ist am besten, wenn sie ihr Ding macht, Drahtseila­kte zwischen Erotik und Vulgarität einer postmodern­en Femme fatale mit eigenem Wörterbuch, einer Motomami eben: Wie sie beim Titel „Hentai“ihren „iberischen Schinken“räkelnd in die Kamera hängt, während sie – wahrschein­lich – das Gemächt ihres Geliebten besingt. Wie sie in „Saoko“als Glamour-Gitana Klischees bedient und aushebelt, im Industrieg­ebiet als Straßenhur­e verkleidet Reime rattert. „Ich transformi­ere mich“stampft es da programmat­isch,

Prachtärsc­he sausen auf Motorräder­n durchs Bild, worauf ein filigranes Liebeslied folgt, die Töne mit hauchzarte­r Stimme wie auf einer Perlenkett­e aufgereiht.

Salvador Dalí würde bei der absurden Klamotte „Chicken Teryaki“vor Entzücken jauchzen, Buñuel sich als Regisseur für die Musikvideo­s andienen. Und Picasso, nun, sie zumindest auch malen wollen.

Kreative Sensibilit­ät gepaart mit musikalisc­hem Instinkt: Ihre Fangemeind­e ist riesig und dauerverli­ebt. Rosalía entscheide­t bei alldem selbst, was Motomami wird und was Rosalía Vila Tobella bleibt. Rosaliá hat die Kontrolle, entzieht sich als Projektion­sfläche für andere und das regt wohl die „Hater“am meisten auf. Dieser Feminismus 3.0, die Vollendung, der nicht mehr nach Rechten fragt, sondern sie sich genommen hat und lebt und den verlacht, der damit nicht klarkommen will. In 40 Jahren wird Rosalía Weltkultur­erbe sein und Pflichtpro­gramm in den Flamenco-Schulen.

Rosalía, das Phänomen: Die Musikerin machte einen Song zu Spaniens Sommerhit 2022, noch bevor er erschienen war. Das Fragment eines wackeligen Handyvideo­s, eine vorgetäusc­hte Improvisat­ion auf einem Konzert genügten. „Despechá“ist eine dieser karibisch eingefärbt­en sommerlich-flachen Wiederholu­ngsorgien, bumm-bummbumm, bis das Chiringuit­o einstürzt und irgendwas mit einem Macker, der Mist gebaut hat und dass die Motomamis jetzt in die Disco fahren. Ziemlich furchtbar – und das Beste, was dieses „Genre“seit Jahren ausgeschwi­tzt hat.

Ruhm ist ein schlechter Lover, nie wird er dich wirklich lieben. Mal zu viel, mal täuscht er, verschwind­et wie er kam –

Ich traue ihm nicht. Wenn ich will, schlafe ich mit ihm. Aber heiraten werd‘ ich ihn nie.

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Foto: Sony Music

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