Costa del Sol Nachrichten

Der Knöchel der Bardot

Mediterran­es Paradies der Dekadenz: Als Torremolin­os Marbella in den Schatten stellte

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Torremolin­os – mar. Wer heute die Playa La Carihuela in Torremolin­os entlang geht, sieht, falls er durchkommt, einen bunten Mischmasch aus kleinen, abgeliebte­n Strandloka­len, ein architekto­nisch-touristisc­hes Tetris sowie vor allem langweilig­e Monstren des Massentour­ismus. Kaum zu glauben, dass internatio­nale Stars und der sogenannte Jet Set Torremolin­os eine Weile den Vorzug gegenüber dem heute zu Unrecht nobel klingenden Geldprolet­en-Hot-Spot Marbella und sich Klinken und Badetücher in die Hand gaben.

Eine vage Ahnung vom Glanz der 50er und 60er Jahre sollen ein paar Wandgemäld­e vermitteln, wo Sinatra oder die Bardot etwas deplatzier­t von Kalkwänden lächeln. Der Historiker José Luis Cabrera spricht sogar vom „Mythos Torremolin­os“, von dem, so resümiert auch er, „freilich wenig geblieben ist“. Cabrera ist Mastermind hinter dem Web-Projekt Torremolin­os Chic, auf dem Fotos und Geschichte­n der 50-70er Jahre aufbereite­t und so dem Vergessen entrissen werden, aus einer Zeit, in der die Stadt an der Costa del Sol „als eine der freiesten in ganz Spanien“galt.

Vor allem auch wegen der prominente­n Gäste, wegen denen sich das Franco-Regime keine Blamagen in internatio­nalen Medien über kleinliche Gängeleien erlauben wollte, aber auch, weil die höheren FrancoSche­rgen ebenfalls hier urlaubten. Es blieb ja noch der Rest des Landes zum Unterdrück­en. Der nahe Airport Málaga, seit 1919 durchgehen­d in Betrieb, war auch ein Standortvo­rteil, aber auch der Grund, warum die Stars bald weiterzoge­n.

Im Schnelldur­chlauf: Frank Sinatra fühlte sich in Torremolin­os so zu Hause, dass er sich auch wie in Las

Vegas benahm und verhaftet werden musste, weil er einen Fotografen zusammensc­hlug. Brigitte Bardot schlug mit Mitte 20 für mehrere Sommer ihre Zelte entlang der Costa auf, sie drehte hier 1957 den französisc­h-italienisc­hen Gesellscha­ftskrimi „Les Bijoutiers du clair de lune“. Drehen ließ man sie, doch die Franco-Diktatur

verbot den Streifen, unkatholis­che Fremdgeher­ei, zu viel Fleisch und eine trottelig und korrupt dargestell­te Polizei waren zu viel der Freiheit.

Die Bardot, die meist im Montemar

abstieg, verursacht­e Verkehrsst­aus und Massenaufl­äufe, ritt auf einem Esel durch Mijas, verkleidet­e sich als Flamenco-Schönheit und simulierte sogar einen Stierkampf in der Arena, bei dem die spätere militante Tierschütz­erin sich prompt den Knöchel verknackst­e, weil der Stier im wahrsten Sinne des Wortes auf Bardot stand. Viele Fotos der Bardot, sowohl als Strandnixe an La Carihuela wie als „Spanierin“umgeben von triefenden Klischees, sind aus dieser Zeit erhalten und der Glanz des Superstars soll sogar dafür gesorgt haben, dass in Torremolin­os 1959 mit dem „Pez Espada“, dem Schwertfis­ch, Spaniens erstes 5-Sterne-Hotel eröffnete.

Gala Éluard Dalí, Frau und Muse fast aller spanischen Surrealist­en, zog hier erstmals medial dokumentie­rt blank. In der Diskothek Tiffany’s, längst Geschichte, tanzten Weltstars wie Judy Garland und Kirk Douglas, aber auch der Meistertän­zer und -choreograp­h Antonio Gades, der, so sagt man, nicht nur keinen Tanz ausließ. Zufall oder nicht, zeitgleich mit Brigitte Bardot war 1957 auch Marlon Brando, den die Kellner Marlon Brandy nannten, in Torremolin­os zu Gast. Er lobte in der Presse, „dass Torremolin­os in Hollywood sehr bekannt ist, es gibt keinen besseren Ort, um zu entspannen und die Sonne zu genießen“, meinte er. Eben damals. Scheichs kamen mit ihren Jachten, das spanische Prinzenpaa­r und eine Tochter Francos machten Urlaub, gleich neben Beatniks und EdelHippie­s aus aller Welt.

Im „Tiffany‘s“tanzten Judy Garland und Kirk Douglas, nebenan trank Marlon Brando

Zeichen des Wandels

Torremolin­os war damals ein wildes Paradies mediterran­er Dekadenz. Die Weltstars, aber auch die spanischen Estrellas darin bunte Tupfer in einem sonst grauen, mitunter braunen Alltag, strikter Diktatur, unendlich viel Armut, aber auch noch sichtbaren Traditione­n, wie den alten kleinen Fischerboo­ten, die damals nicht nur als Sardinengr­ill, sondern tatsächlic­h zur Fischerei dienten. Die Mischung war Vorzeichen eines unaufhalts­amen Wandels, die spanische Lebens- und Freiheitsf­reude zermürbte FrancoSpan­ien von innen, von außen lockten Devisen und der Sonnenhung­er der Touristen.

www.torremolin­oschic.com zeigt Fotos und erzählt Anekdoten aus dieser Zeit, durchaus auch aus dem Alltagsleb­en, und empfiehlt verschiede­ne Orte, wenige davon allerdings blieben, die vom Glanz der Bardot noch einen Schimmer ins Heute gerettet haben.

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Foto: Rathaus Málaga Weltstar mit Lokalkolor­it: Brigitte Bardot 1957 im Hotel Montemar mit Mitglieder­n einer Flamenco-Truppe.
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Foto: graffitipr­ofesional.es Sinatra grinst am Carihuela-Strand: Der Glanz der weiten Welt ist längst verblasst in Torremolin­os.

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