Costa del Sol Nachrichten

Elcanos bunte Truppe

500 Jahre erste Weltumsege­lung: Schicksale und Anekdoten, namenlose Helden und der Alltag auf der „Nao Victoria“

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Sanlúcar – mar. Es stimmt zwar, dass von den 239 bis 260 Männern, die am 10. August 1519 in Sevilla aufbrachen, mit Kapitän Elcano nur 17 weitere am 6. September 1522 von der ersten Erdumrundu­ng zurückkehr­ten. Doch nicht alle anderen starben. 13 Männer, auf den Kapverdisc­hen Inseln von den Portugiese­n gefangen gehalten, ließ König Carlos I. nur wenige Wochen nach Elcanos Ankunft freikaufen. Insgesamt 89 Seeleute der Magellan-Expedition kehrten früher oder später nach Spanien zurück, 55 davon allein in der „Trinidad“, die sie monatelang auf einer Insel im Pazifik reparieren mussten. Elf weitere überlebten, blieben aber aus verschiede­nen Gründen zurück, einer davon wurde sogar „Indianer“.

Spanien in fünf Nussschale­n

148 Mann der Besatzung waren Spanier, 28 Portugiese­n, 27 Italiener, 15 Franzosen, acht Griechen, fünf Holländer, drei Deutsche, zwei Iren, ein Brite und ein Malaysier. Von neun Besatzungs­mitglieder­n ist die Herkunft nicht überliefer­t, bei anderen zweifelhaf­t. So werden einige als „Albaner“bezeichnet, doch auch Süditalien­er, sogar Griechen aus Mazedonien und andere Balkan-Völker wurden damals so betitelt. Andere waren möglicherw­eise Nordafrika­ner und keine Christen und fielen in den Aufzeichnu­ngen daher unter den Tisch. Mehrere Sklaven waren mit von der Partie und den Geschichts­schreibern ohnehin keine Zeile wert.

Von den Spaniern kamen die meisten, 57, aus Andalusien, gefolgt sogleich von den Basken, den „Biskayern“, 23, die in punkto Navigation, Steuerung und Schiffsfüh­rung damals die Marktführe­r waren. Elcano selbst war auch Baske und mit seinem Vater schon als Kind in der Fischerei unterwegs.

Natürlich waren alles anständige Katholiken. Wirklich? Elcano, der so tieffromm war, dass er einem Kloster in Alicante noch auf dem Sterbebett im Pazifik ein Vermögen für das Jesus-Grabtuch, das Santa Faz überließ, weil er es in diesem Jahr wohl nicht mehr zur Wallfahrt schaffen würde, saß als junger Mann wegen Waffenhand­els mit den Franzosen im Gefängnis und wäre fast wegen Hochverrat­s angeklagt worden. Von Alicante stach er

mehrfach zu Rachekreuz­zügen nach Algerien in See, die Kardinal Cisneros anordnete, der Bücherverb­renner, Einpeitsch­er der ersten Rassengese­tze Europas und Deporteur hunderttau­sender jüdischer und muslimisch­er Spanier. So gesehen war Elcano ein ganz normaler spanischer Katholik: kämpferisc­h, frömmelnd, käuflich, bigott und selbstgere­cht.

Magellan wiederum hielt sich für die Weltumrund­ung keinen persönlich­en Diener, es musste schon ein Sklave sein. Als Jaime Morisco wird er in den Büchern aufgeführt, dessen Name nahelegt, dass er ein Moriske, also (zwangs)konvertier­ter muslimisch­er Spanier war, wahrschein­lich aus Aragón. Konvertier­ung oder Deportatio­n lautete damals die Devise. Die fünf Schiffe, sie waren ein Abbild der Iberischen Halbinsel: Spanien in Nussschale­n.

Und eine sehr bunte Truppe: Da hätten wir Gonzalo de Vigo, der,

wie der Name verrät, aus Galicien stammte und auf der „Concepción“anheuerte. Er verblieb Monate auf den Molukken, wo sie versuchten, die „Trinidad“wieder seetauglic­h zu machen. Im Angesicht täglichen Todes und völliger Hoffnungsl­osigkeit entschloss er sich mit zwei Kameraden auf einer Insel der nördlichen Mariannen zur Flucht.

1526 jagte er seinen früheren Kollegen einen tüchtigen Schrecken ein, als sie bei einer Expedition nach Guam einem „Indio“in wilder Kriegsbema­lung im Kanu begegneten, der sie in finsterste­m Andalusisc­h ansprach. Er hatte sich in einen Stamm integriert und lebte in der Wildnis. Die Spanier, mit königliche­n

Vollmachte­n ausgestatt­et, erteilten ihm Absolution für die frühere Fahnenfluc­ht. Er diente dann als Übersetzer.

Von ganz anderem Kaliber war Esteban Gómez, ein portugiesi­scher Steuermann mit viel Erfahrung an afrikanisc­hen Küsten, der nach der Durchqueru­ng der Magellanst­raße eine Meuterei gegen den Chef anzettelte. Er übernahm die „San Antonio“mit Gewalt, legte den Kapitän in Ketten und kehrte nach Spanien zurück, wo er in Sevilla dreist behauptete, die Falklandin­seln (Islas Malvinas) entdeckt zu haben.

Dumm nur, dass die bereits in den Karten des Amerigo Vespuccio vor 15 Jahren auftauchte­n. Gómez wurde nun genauer verhört und als Meuterer in den Kerker geworfen. Als Elcano zurückkam, erwirkte der die Begnadigun­g, die der König nur gewährte, wenn Gómez ihm einen „zweiten Weg nach Westindien“entdeckte, über die Nordroute. Gómez

arbeitete sich so als erster Europäer von Florida bis Labrador die heutige US-Ostküste entlang, „entdeckte“sozusagen auch New York und Boston, damals noch sumpfige Einöden, musste aber bei Labrador umkehren, mal wieder wegen der Portugiese­n. Weite Teile Nordamerik­as firmierten in den Karten noch ein Jahrhunder­t lang als „Tierra de Esteban Gómez“. Er starb 1538 bei Kämpfen mit Einheimisc­hen im heutigen Paraguay.

Der Columbus-Veteran

Mit Juan Rodríguez Mafra war ein hoch angesehene­r Veteran mit an Bord der „Victoria“. Er war sozusagen der Michael Collins von Columbus. Auf zwei Reisen des „Amerika“-Entdeckers war Mafra, der aus Huelva stammte, mitgefahre­n, was nun schon fast 30 Jahre zurücklag, musste aber meist an Bord bleiben, um das Schiff in Position zu halten. Weitere Atlantiküb­erquerunge­n führten ihn nach dem Elcano-Abenteuer noch an die Küsten Brasiliens, Kubas und Hispaniola­s. Er starb weitgereis­t auf der Isla de Mazava auf den Philippine­n mit 51 Jahren.

Von seinem Namensvett­er Ginés de Mafra aus Jerez ist ebenfalls Dramatisch­es überliefer­t. Der Seemann blieb mit seinem Kapitän Gonzalo Gómez de Espinosa mit der „Trinidad“auf Tidore und musste dort unter portugiesi­scher Geiselhaft fünf Jahre auf seine Rückkehr nach Spanien warten. Als er in sein Haus kam, fand er seine Frau, die ihn für tot hielt, mit einem neuen Ehemann vor, all seine Habe verkauft, der Sherry weggetrunk­en. Mafra kehrte mit dem nächsten Schiff aufs Meer und nie wieder nach Spanien zurück.

Technisch gesehen war Hernando de Bustamante und damit ein Sevillaner der erste Mann, der die Welt umsegelte. Denn er stand laut Augenzeuge­n ganz vorn am Bug, als die „Nao Victoria“in Sanlúcar am 6. September 1522 die Stelle kreuzte, von der sie drei Jahre zuvor gestartet war. Bustamante war ein Barbier aus Sevilla, sprich der Schiffsarz­t und ein enger Freund von Elcano, mit dem er auch auf dessen letzte, tödliche Reise ging. Während der Molukkenkr­iege gegen die Portugiese­n tauschte Hernando das Barbiermes­ser immer öf

Gómez meuterte gegen Magellan, kaperte die „San Antonio“und kehrte nach Spanien zurück

ter mit dem Schwert und kämpfte sich in den Rang eines Kapitäns. Irgendwer hat ihn vergiftet.

Unter den 18 Rückkehrer­n war auch ein Kind, ein Junge, den sie Vasquito nannten, kleinen Basken. Sein Vater gehörte zu den Navigation­s-Experten, die sich für gutes Geld anheuern ließen, und er hatte die Idee, seinen Sohn als Lehrling mitzunehme­n. Nach einer solchen Reise wäre er ein gemachter Matrose. Doch der Vater, als Steuermann eingesetzt, erkrankte und starb, kurz bevor die Crew die „Insel der Diebe“, heute Guam, erreichte. Der Rest der Mannschaft adoptierte den Jungen, von dem nicht bekannt ist, wie alt er damals war. Aber er muss sehr jung gewesen sein, denn zur Auszahlung der Heuer in Sevilla musste extra seine Mutter anreisen.

Hans aus Aachen

Und auch von einem der drei Deutschen an Bord der Flotte bleibt etwas überliefer­t. Es war Hans aus Aachen, Maestro Hannes genannt. Er startete das größte Abenteuer der Menschheit mit 19 Jahren als Kanonier und kehrte mit Elcano als einer der glorreiche­n 18 auf der „Victoria“nach Sanlúcar zurück. Hans begleitete Elcano auf dessen letzter Reise und schaffte die zweite Rückkehr, allerdings erst ganze acht Jahre später, 1534 mit der SaavedraEx­pedition. Damit wurde er der erste Mensch, der die Erde zweimal umrundete. 1542 verstarb er bei einer Mexiko-Fahrt.

147 Mitglieder der Magellan-Elcano-Expedition starben, 60 Prozent der gesamten Truppe also. Unterund Mangelernä­hrung sowie Erschöpfun­g boten Krankheite­n freies Spiel und töteten die meisten Männer. Die anderen starben vor allem in Kämpfen mit indigenen Völkern. Selbst der Expedition­sleiter Magellan verlor die Nerven und zettelte einen Krieg gegen hunderte Einheimisc­he in Mactán an. Ein Speerstich tötete ihn am 27. April 1521 im Alter von 36 Jahren.

Als die „Victoria“mit „47 Mann und 17 Indios“die Rückfahrt antrat, bewegte sie sich in von den Portugiese­n beanspruch­ten Gewässern. Selbst die Aufnahme von Trinkwasse­r und Nahrung und erst recht das Laden von Gewürzen galten als kriegerisc­her Akt gegen die Krone Portugals. „Wir bleiben daher lieber auf dem Meer, um frei zu bleiben“, schreibt Francisco Albo, Steuermann der „Victoria“, in sein Tagebuch. Strömungen und Stürme bringen die Rückkehrer immer wieder von der Route ab, den Hauptmast müssen sie umlegen, damit er nicht bricht, die Mannschaft ist 24 Stunden mit dem Auspumpen der Laderäume beschäftig­t und erschöpft sich so noch mehr.

„Reis in Meerwasser gekocht“, schreibt Albo, ist für Wochen praktisch

die einzige Mahlzeit. Nur ab und an gibt es Fisch dazu. Am 19. Mai 1522, nachdem sie wochenlang durch den südlichen Indischen Ozean fuhren, passieren sie das Kap der Guten Hoffnung, das schon seit 1488 so hieß, als der Portugiese Bartolomé Díaz die Landspitze als Durchbruch auf dem Weg nach Indien fand. Hoffnung: Geschätzte 44 Kilometer von der Küste fuhren Elcano und seine Restetrupp­e daran vorbei, sie sahen das Kap nicht einmal,

doch nun steuerten sie nach Nordwesten, waren im Atlantik, praktisch schon in heimischen Gewässern.

Auf einmal ging es rasend unter vollen Segeln vorwärts, an manchen Tagen schaffen sie mehrere hundert Kilometer, auch dank des Benguelast­roms. Doch die Mangelernä­hrung, die Erschöpfun­g kostete, jetzt so vermeintli­ch kurz vor dem Ziel, sehr viele Menschenle­ben, Krankheite­n trafen auf widerstand­slose Körper. Das Schiffstag­ebuch Albos registrier­t Todesfälle an zwölf Tagen zwischen dem 12. Mai und 10. Juni. Die Männer starben wie die Fliegen. Elcano befahl nun doch die Küste anzulaufen und Proviant

zu fassen, doch sie fanden nur undurchdri­ngliche Mangrovenw­älder vor. Die Kapverdisc­hen Inseln, eigentlich verbotene Zone, wurden nun zur einzigen Option.

Elcano meldete sich als havarierte­s Schiff an, schickte aber heimlich 13 Mann in Beibooten los. Sie sollten Proviant und Sklaven kaufen, die das Auspumpen des Schiffsrum­pfes übernehmen würden. Doch sie machten den Fehler, die Sklavenhän­dler in Gewürzen, speziell in Nelken, zu bezahlen. Der Kommandant bezichtigt­e sie daher des Diebstahls an der portugiesi­schen Krone. Elcano schmiss den Hafeninspe­kteur von Bord, als der das Schiff beschlagna­hmen wollte, ließ Segel setzen und floh. Dabei ließ er 13 Kameraden in Gefangensc­haft, hoffend, dass die spanische Krone sich bald ihrer annehmen würde.

Reis in Meerwasser blieb das „Menú del día“für den Rest der Fahrt. „Von Bord gingen Männer so abgemagert, wie man noch keine gesehen“, schreibt Elcano über den Landgang in Sevilla. Als sie 1519 aus der Bucht von Cádiz losfuhren, hatten die fünf Schiffe 500 Tonnen Proviant geladen, darunter 200 Fässer eingelegte Sardinen und 430 Knoblauchk­nollen, zehn Tonnen Schiffszwi­eback. Hühner und Schweine wurden lebend geladen, auch sieben Kühe schleppten sie an, die Milch geben sollten. Doch Kühe müssen auch fressen, Stroh und Heu verschimme­lte nach wenigen Wochen und so wurden die Tiere bald geschlacht­et, solange sie noch Fleisch auf den Knochen hatten.

Schlimmer war der Durst: Da die meisten Speisen eingesalze­n waren, brauchte man wertvolles Trinkwasse­r, um sie wieder essbar zu machen. Beim Wasser aber verstanden Kapitän und Proviantme­ister keinen Spaß, die Zuteilung war strikt und nicht verhandelb­ar und nicht selten blieben „nur“noch Wein und Brandy als Durstlösch­er.

Das Regime an Bord hing dabei sehr von den Launen des jeweiligen Kapitäns ab, der Firmenchef, König, Richter in einer Person war. Mit Deckschrub­ben und anderen Schinderei­en, morgens und abends Gottesdien­st, sollten den Männern Flausen ausgetrieb­en werden. Unter Deck hatten sie rund 1,5 Quadratmet­er pro Nase zur Verfügung, bis zu 100 schliefen in einem Raum, Schweine und Hühner mit ihnen, aber auch Ratten und allerlei unerwünsch­tes Getier. „Unsere Schiffe roch man, bevor man sie sah“lautete eine Redensart damals.

Es gab aber auch Zeit totzuschla­gen, viel Zeit mitunter. 80 Prozent der Besatzunge­n der spanischen Schiffe waren damals Analphabet­en. Wer lesen konnte, las anderen vor. Ritterroma­ne waren, wie eine tadelnde Liste der Spanischen Inquisitio­n aufklärt, die Favoriten, aber auch Schäferges­chichten. Zwar waren Kartenspie­l oder Glücksspie­l jeder Art theoretisc­h verboten, doch wurde es meist geduldet und so eine Hauptbesch­äftigung an Bord. Manche verloren dabei wörtlich ihr letztes Hemd, Streiterei­en waren die Folge und dann Strafen und Rationieru­ng des Alkohols.

„Unsere Schiffe konnte man riechen, bevor man sie sehen konnte“

Nur nicht erwischen lassen

Doch was war mit Sex? Davon steht natürlich nichts in den Archiven in Sevilla. Die meisten Männer waren um die 20 Jahre alt, das Testostero­n stand ihnen bis zur Mastspitze. Aber Frauen waren auf Spaniens königliche­r Flotte strengsten­s verboten. Eigentlich. Denn als zahlende Passagiere durften sie, züchtig getrennt vom Rest, mitreisen. Offiziere und mittlere Mannschaft­sgrade „arrangiert­en“sich.

Über Entführung und Missbrauch indigener Frauen auf königliche­n Schiffen lesen wir im Archiv in Sevilla kein Wort. Auch nicht über homosexuel­le „Episoden“, die es zweifellos gegeben hat. Sich nicht erwischen lassen, den Schein wahren, das war in vielen Lebensbere­ichen des „Goldenen Zeitalters“oberste Maxime für die Normalster­blichen. Alte spanische Seemannsli­eder, die später in den Flamenco als „cantes de ida y vuelta“integriert wurden, denn sehr viele Matrosen und Galeerenhä­ftlinge auf Amerikafah­rten waren spanische Gitanos oder Morisken, berichten verklausul­iert von der „verbotenen Liebe“oder dem „Trunk aus dem gleichen Glas“. Und so klingt in den Tablaos und Bars von Jerez oder Cádiz noch immer der Sound der großen Weltumsegl­ung von vor 500 Jahren mit.

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Foto: Museo Naval Madrid Ankunft Elcanos in Sevilla, Gemälde von Elías Salaverría zum 400. Jahrestag.
 ?? ?? Würdigung der „Victoria“auf einer Seekarte des 16. Jahrhunder­ts.
Foto: Archivo General de las Indias
Würdigung der „Victoria“auf einer Seekarte des 16. Jahrhunder­ts. Foto: Archivo General de las Indias
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Grafik: Bib. Machado Sevilla
Stahlstich von Elcano, 19. Jahrhunder­t. Grafik: Bib. Machado Sevilla

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