Es geht um die Welt
Kapitän Elcano und die Folgen: Vor 500 Jahren umrunden erstmals Menschen die Erde und starten die Globalisierung
Sevilla – mar. „Wir haben die gesamte Rundung der Welt entdeckt und vollendet, nach Westen fahrend und von Osten kommend.“Am 6. September 1522 ging per Bote ein Eilbrief dieses Inhalts von Sanlúcar de Barrameda, dem Hafenstädtchen an der Mündung des Guadalquivir, ins 90 Kilometer flussaufwärts gelegene Sevilla ab. Der Absender war ein gewisser Juan Sebastián del Cano, genannt Elcano, und adressiert war er an Carlos I., König von Spanien, der es im Alcazar kaum erwarten konnte, den Helden zu empfangen.
Nicht Berge von Gold oder exotische Gewürze, sondern Elcanos Brief ist heute einer der wertvollsten Schätze des Archivo General de Indias in Sevilla, einst das zentrale Verwaltungsamt für alle kolonialen Aktivitäten und als Casa de Contratación vor allem auch Auftraggeber der Seefahrer. Es steht nicht zufällig direkt in der Mitte eines Dreiecks aus königlichem Schloss, Kathedrale und dem Goldtürmchen, Torre del oro, das seit Columbus Entdeckung der „Neuen Welt“als Zollund Zählstation zunächst der Krone Kastiliens und ab 1516 ganz Spaniens für Gold, Spezereien und andere Reichtümer aus Übersee diente. Weltliche und geistliche Macht gruppieren sich um ein Zentrum aus Geld, die Säulen der Menschheit, in Sevilla sind sie sehr anschaulich konstruiert.
Auch Elcano sollte unter dem Befehl Magellans lediglich eine schnellere, die Westroute zu den Gewürzinseln, den Molukken (heute Indonesien) finden, und so die Portugiesen austricksen, die Flagge Spaniens in ein paar neue Strände rammen und reich beladen zurückkehren. Gleichzeitig hatte Elcano auf den Portugiesen Magellan aufzupassen. Der hatte schon einmal eine Krone verraten, warum sollte er Spaniern gegenüber treuer sein?
Der Rest ist Geschichte: Nach einer Odyssee, die Homers Heldenmärchen als schaukelnde All-Inclusive-Kreuzfahrt dastehen lässt, nach unvorstellbaren Entbehrungen, Abenteuern und Tod, findet Magellan die Umfahrung Amerikas, legt sich auf der Philippinen-Insel Mactán mit den Einheimischen an und wird getötet. Auch die anderen Schiffe bleiben auf der Strecke, nur Elcano schafft mit letzter Kraft, der „Nao Victoria“und einer Handvoll Männern nach 1.125 Tagen und fast 70.000 Kilometern auf See den Rundweg nach Sanlúcar. Ein paar Gewürze hat er auch dabei, darunter 27 Tonnen der so begehrten Nelken.
Wie wir der Aufstellung der Ladung entnehmen können, genügten diese, um die ganze Expedition zu bezahlen.
Gleichzeitig begann ein neues Kapitel der Weltgeschichte. Elcanos Rundfahrt wurde Startschuss zur ersten Globalisierung, ganz wörtlich genommen. Ein Wettrennen europäischer See- und Handelsmächte, Portugal und Spanien, bald auch England, Holland und Frankreich beginnt. Alle wollen die Vorherrschaft, alle wollen reich werden. Nach Elcano war der Vertrag von Tordesillas, mit dem sich Spanier und Portugiesen die Erde der Länge nach aufteilten, eigentlich hinfällig, ihm folgte 1529 noch der Vertrag von Zaragoza, doch bald hielt sich niemand mehr an irgendwas.
Während sich Briten und Holländer zunächst mit wirtschaftlicher Ausbeutung begnügen, sie notfalls mit Waffen, Kriegen und Piraterie durchsetzen, wollen die Spanier die ganze Welt zu Spanien machen. Sie bringen ihren katholischen Hokuspokus, ein paar infektiöse Krankheiten mit, metzeln alles nieder, was sich nicht bekehren lässt, mischen im Sklavenhandel mit, übrigens auch im eigenen Land, bringen Reiche zu Fall, gründen neue, plündern, als gäbe es kein Morgen – womit sie ja auch Recht hatten –, spielen ein bisschen Herrenrasse hier und Kulturbotschafter da. Nebenbei bekämpfen sie in Europa Protestanten, Konvertiten, Piraten und Osmanen. Selbst Portugal besetzten die Spanier dann unter Felipe II., um die Weltherrschaft endgültig zu klären. Doch sie mussten es nach ein paar Jahrzehnten schon wieder verlassen, weil die anderen Mächte Europas diese Machtanhäufung nicht dulden wollten.
Elcano und das große Ganze: Nicht die Entdeckung Amerikas, sondern der Fall Konstantinopels an die Türken 1453 war der wichtigste Beschleuniger dieser Entwicklung, sowohl der „Reichseinigung“in Spanien gegen die letzten Sultane als auch des Entdeckerfiebers gen Westen. Der „deutsche“Kaiser Karl V. wurde zu Spaniens Carlos I., trat seinem Bruder die östlichen Habsburgerlande und den ganzen Ärger mit den Osmanen ab und ließ nach Westen segeln. Denn erstmals seit den Persern vor über 2.500 Jahren war der Landweg nach Osten zu
Am 6. September feiern Sanlúcar und König Felipe die Rückkehr der „Nao Victoria“im Hafen mit einem großen Spektakel und dem Einlaufen der „Elcano“, dem Segelschulschiff der spanischen Marine. Vom 8. bis 11. September geht es im großen Stil in Sevilla weiter: Flottenparaden mit Repliken alter Schiffe, eine nachgestellte Ankunft auf dem Guadalquivir, Feldlager, Routen, Musik, Märkte: www.festivalvcentenariosevilla.org. Führungen zu den Orten, an denen Magellan und Elcano in Sevilla wirkten, und Besuche des Archivo General unter: den alten Handelsrouten versperrt. Erinnern wir uns an den Stadtplan von Sevilla: Es ging immer nur um Kohle. Seit den Griechen und ihrem Atlantis war der Menschheit Ahnung, dass es hinter eben diesem Atlantik noch Land geben müsste, seit 1492 wusste man es.
Nach dem Gold die Natur
Der Menschheit steht die größte Entdeckungsfahrt erst noch bevor
Wie wir lernen mussten, haben sich Spaniens Eliten mit ihrem imperialen Wahn, beseelt von heiliger Vorsehung, völlig überhoben. Sie schufen auf dem Papier das größte Weltreich aller Zeiten, ohne es je vollständig beherrscht zu haben. Altäre aus geraubtem Gold wurden errichtet, vor denen Menschen beteten, die noch bis vor ein paar Jahrzehnten zerlumpt mit Eselskarren durch die Straßen fuhren.
Die „Errungenschaften“danach haben mit der grandiosen Pionierleistung der Entdecker vor 500 Jahren wenig zu tun. Elcano, der Held, starb an verdorbenem oder giftigem Fisch auf einer weiteren Entdeckungsreise, was sich in dem ganzen Welttheater als ein ebenso banales Ende ausnimmt wie die sinnlose Schlacht, die Magellan wegen seines geschwollenen Hahnenkamms gegen Indigene vom Zaun brach und die ihn das Leben kostete.
In gewisser Weise war das aber ein Gleichnis. Das Kolonialsystem – nicht nur das spanische –, das mit den großen Entdeckungen entstand, zementierte eine Welt, in der wir im Großen und Ganzen noch heute festhängen: In der noch immer wenige sich überlegen fühlende Herren über Hunger und Leben, Land und Frieden, auch die Frauen walten wollen. In der die meisten noch wie Sklaven leben, gezwungene oder sich hingebende, in der Rassismus existent geblieben ist und der wir nun, da die Goldschätze weitgehend verteilt sind, in ebenso kolonialer Manier die Schätze der Natur plündern und uns damit wie Magellan in einen sinnlosen Tod stürzen.
Elcano kann nichts dafür, doch seine Umrundung war der Gongschlag für die finale Runde der Menschheit, denn viele Chancen bekommt diese Spezies nicht mehr. Belassen wir es am 500. Jahrestag der ersten Weltumrundung nicht bei der Verneigung vor den großen Taten der Seeleute und Entdecker, sondern stellen wir – gewürzt mit festlichem Pathos – fest, dass der Menschheit ihre größte Entdeckungsfahrt womöglich noch bevorsteht: Die Umrundung der Erde mit Menschlichkeit. Das wäre dann „Nao Victoria“, unser Sieg.