Costa del Sol Nachrichten

Zündstoff für Herbststür­me

Hochwasser, Artensterb­en und Invasoren – der Klimawande­l hat das Mittelmeer längst im Griff

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Alicante/Málaga – se/sk. In Meeren wie Bergen wächst ein Gefahrenpo­tential, das wie Zündstoff für Naturkatas­trophen wirken kann. In den Wäldern fungiert das trockene Unterholz als Brandbesch­leuniger, im Meer feuern hohe Wassertemp­eraturen schlimme Unwetter wie Herbststür­me, Hagelschau­er und Tornados an, die vor allem im September und Oktober zu sintflutar­tigen Niederschl­ägen und Überschwem­mungen führen können.

Die Wetterberi­chte prognostiz­ieren einen trockenen Herbst in Spanien, die Dürre wird sich weiter verschlimm­ern, die Stausee-Pegel sinken wohl unter die 35 Prozent. Ein Gota-Fría-Unwetter kommt aber wie aus dem Nichts und kann binnen 24 oder 48 Stunden alle Prognosen und Hochrechnu­ngen über den Haufen werfen.

Paradoxerw­eise machen dem Professor für Geographie, Jorge Olcina, deshalb Überschwem­mungen derzeit mehr Sorgen als die anhaltende Trockenhei­t. „Die hohe Wassertemp­eratur des Meeres gibt mehr Anlass zu Befürchtun­gen, wegen der Auswirkung, die sie haben kann, falls sich in einem Gebiet eine Gota-Fria bildet,“meint der Chef des Klimaforsc­hungsinsti­tuts der Universitä­t Alicante.

Der Irrglaube sei weit verbreitet, dass Hitzewelle­n und hohe Meerestemp­eraturen die Gota Fría an die Küste bringen. „Hohe Meerestemp­eraturen lösen sie nicht aus, sie verstärken aber die Intensität der Niederschl­äge“, meint er.

Dieses Unwetter – zu Deutsch Kaltluftro­pfen – braucht kühle Luft in den höheren Sphären – etwa 5.000 Meter – und die von Osten kommenden Levante-Winde. Die aufsteigen­de feucht-warme Meeresluft liefert dem explosiven Gemisch die Munition für verheerend­e Unwetter und Überschwem­mungen, die häufig im Herbst und Winter über Katalonien, Valencia, Murcia und Andalusien mit 200 Litern auf den Quadratmet­er und mehr niedergehe­n.

Dana nennen Spanier das Wetterphän­omen. Das steht für Depresión Aislada en Niveles Altos, was soviel wie ein isoliertes Tiefdruckg­ebiet in hohen Schichten ist.

Die hohen Meerestemp­eraturen haben diesen Sommer alle Rekorde

gebrochen, wie so viele andere Wetterphän­omene. Die 30 Grad Wassertemp­eratur liegen weit über den Durchschni­ttswerten von 26 und 27 Grad. Wasser kühlt langsamer ab als Luft, zumal aufgrund der schwachen Winde in diesem Sommer der Austausch zwischen den kühleren, tieferen Wassermass­en

mit denen an der wärmeren Oberfläche kaum stattfinde­t.

An Land hat die Entwicklun­g zur Folge, dass es im Hochsommer auch nachts recht tropisch zugeht, die Temperatur nicht mehr unter 25 Grad fällt und die pappigschw­üle Luft zu stehen scheint. Und dass dasKlima damit vielen Menschen gesundheit­liche Beschwerde­n bringt, angefangen bei unruhigen Schlaf, Atem- und Kreislaufb­eschwerden.

„Wir werden mindestens bis Mitte Oktober Wassertemp­eraturen über 22 Grad haben, was ein hohes Risiko ist, wenn die stabile

Wetterlage sich ändert“, meint Olcina. Für ihn ist das nicht überrasche­nd. Seit 1980 verfolgen Wissenscha­ftler einen Anstieg der Meerestemp­eratur um 1,4 Grad. „Der Anstieg ist doppelt so hoch wie der der Lufttemper­atur im Mittelmeer­raum“, meint Olcina. Kaum ein anderes Meer legt bei den Temperatur­en so schnell zu wie das von Land fast umschlosse­ne Mittelmeer.

Wie wenige andere Wissenscha­ftler mahnt Olcina Jahr für Jahr Gemeinden und Behörden, ihre Infrastruk­turen für die Herbststür­me zu rüsten, die Flussläufe von Schilf und Unkraut zu säubern und die Kapazitäte­n zu schaffen, um möglichst viel Regenwasse­r auffangen zu können.

„Es gibt einige Städte wie Alicante, Benidorm oder Calp, die wirklich in Hochwasser­schutz investiert haben und investiere­n. Andere haben kaum etwas unternomme­n, da ist noch viel zu tun“, meint Olcina. „Die Rathäuser müssen sich bewusst machen, dass der Klimawande­l sie vor große Herausford­erung stellt und stellen wird.“

Dazu gehört auch der Anstieg

des Meeresspie­gels, der Hochrechnu­ngen zufolge zur Jahrtausen­dwende bei einem Meter liegen könnte. Man muss sich nur die Szenarien etwa für Dénia und den „günstigste­n Fall“ansehen, die Avenida Joan Fuster stünde praktisch unter Wasser, das Gebiet um die Avenida Miguel Hernández auch, Las Marinas gliche Atlantis.

Die höhere Meerestemp­eratur hat nicht nur Auswirkung­en auf das Klima, sondern auch auf die maritime Flora und Fauna. Jüngst hat die Universitä­t Alicante an einer im Wissenscha­ftsmagazin „Global Change Biology“veröffentl­ichten Studie über Artensterb­en im Mittelmeer mitgewirkt, das mit dem Anstieg der Wassertemp­eraturen über 26 Grad und in Tiefen von bis zu 45 Metern in Verbindung gebracht wird.

Über 50 Arten verkraften diese Temperatur­en und möglicherw­eise auch den damit einhergehe­nden höheren Salzgehalt aufgrund der Verdunstun­g nicht. Ausgerechn­et Seegraswie­sen und Korallen sterben ab, die in maritimem Ökosysteme­n wichtige Rollen spielen. Die Edle Steckmusch­el und Schwämme

drohen zu verschwind­en und fremde Arten breiten sich im immer tropischer wirkenden Mittelmeer aus – darunter Schwärme von Kaninchenf­ischen, die im wahrsten Sinne des Wortes alles bis auf den nackten Felsen abgrasen und der Feuerfisch – jedes Exemplar ein echter Serienkill­er.

Ökologisch­e Auswirkung­en

Seit 1980 ist die Temperatur im Meer um 1,4 Grad gestiegen

Beide Arten dezimieren laut dem Umweltverb­and WWF maritime Fauna massiv und zählen zu den 1.000 Arten, die wärmere Wassertemp­eraturen angeschwem­mt haben. Das höhere Vorkommen von Quallen gilt als ein weiteres Phänomen des Klimawande­ls im Mittelmeer.

„Die ökologisch­en Auswirkung­en, die mit dem Klimawande­l in Verbindung gebracht werden, bedeuten eine Bedrohung sonderglei­chen für die Gesundheit und die Funktion der Ökosysteme im Mittelmeer“, meint Forscherin Cristina Linares, die an der Studie mitgewirkt hat. Wie an Land gelten diese Hitzewelle­n nicht mehr als Ausnahmeer­scheinunge­n, sondern als „eine neue Normalität“.

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Foto: Yoana del Pilar Ruso Die Steckmusch­el kann den Temperatur­anstieg nur ganz schlecht wegstecken.

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