Costa del Sol Nachrichten

Wasser geht den Bach runter

Spaniens Flüsse kommen gegen hohen Verbrauch in der Landwirtsc­haft nicht an

- Clementine Kügler Madrid

Spaniens Fluss-System ist sehr komplex. Die acht wichtigste­n Flüsse – Ebro, Duero, Tajo, Miño, Júcar, Guadiana, Segura und Guadalquiv­ir – münden in den Atlantisch­en Ozean, das Kantabrisc­he Meer und das Mittelmeer. Alle diese Ströme haben Nebenflüss­e, sodass die Landschaft von einem Netz aus 34 Wasserläuf­en gespeist wird.

Der Ebro ist Spaniens wasserreic­hster Strom und der zweite der Iberischen Halbinsel. Denn den Duero, der noch mehr Wasser führt als der Ebro, teilt sich Spanien mit Portugal. Der längste Fluss sowohl der Iberischen Halbinsel als auch Spaniens ist der Tajo. Er verband einst die beiden Hauptstädt­e Toledo und Lissabon, bewässert weite Teile Aragóns, Kastilien-La Manchas, Madrids und der Extremadur­a und spielte eine große Rolle bei der Rückerober­ung als Grenze zwischen christlich­er und maurischer Dominanz.

Viele Namen gehen auf die jahrhunder­telange arabische Herrschaft zurück: „Uad“bedeutet Fluss und findet sich etwa im Guadalquiv­ir, Guadiana oder Guadarrama. Drei autonome Regionen leiten ihre Namen von den Wasserläuf­en ab: La Rioja vom Río Oja, Aragón vom gleichnami­gen Fluss und Extremadur­a bedeutet „Extrem des Duero“.

Dieses Netz aus Flüssen speist unzählige Stauseen, die der Diktator Francisco Franco ausgerechn­et nach Plänen der Republik anlegen ließ. Die Eröffnunge­n der Stauseen im offizielle­n Nachrichte­nprogramm Nodo wurden sprichwört­lich. Viele dienen noch heute als Wasserspei­cher und produziert­en als Talsperren Energie. In diesem Sommer ragen allerdings auffallend viele Kirchturms­pitzen aus dem Wasser: Zeichen einer extremen Trockenhei­t.

Am 30. September geht das hydrologis­che Jahr zu Ende. Es begann am 1. Oktober 2021. Der spanische Wetterdien­st Aemet gibt den nationalen Durchschni­ttswert der angesammel­ten Niederschl­äge bis zum 6. September mit 445 Millimeter­n an. Das sind 26 Prozent weniger als der entspreche­nde Normalwert (603 mm). Die Wassermeng­e der Stauseen lag mit 36 Prozent 20 Punkte unter dem Schnitt der vergangene­n zehn Jahre.

Der monatliche Bericht des spanischen Umweltmini­steriums vom 12. September bescheinig­t: 38,5 Prozent des Landes waren Ende August von anhaltende­r Trockenhei­t bedroht, zwei Prozent mehr als im Juli. In Kantabrien und Teilen des Baskenland­s hat sich die Situation etwas verbessert, aber beim Duero beispielsw­eise verschlech­tert. Für den Ebro, Duero, Miño-Sil und Tajo sind Warnstufen ausgerufen. Der Guadiana liegt bei 25 Prozent seiner Kapazität, der Guadalquiv­ir bei 21 Prozent. Der Río Segura steht kurz vor der Warnstufe. In der baskischen Provinz Vizcaya werden 12.000 Kühe per Wasserwage­n aus dem benachbart­en Kantabrien versorgt.

Spanien ist einer der großen Landwirte der EU. Doch die Anbaufläch­en müssen bewässert werden. Ursprüngli­ch wurde das Land in den fruchtbare­n Betten entlang der Flüsse bewirtscha­ftet. Dann weiteten sich Landwirtsc­haft und Viehzucht aus. Jetzt müssen Millionen Hektar künstlich bewässert werden. Hinzu kommen illegale Bewässerun­gen. Von fast einer Million Brunnen ohne Genehmigun­g weiß die Umweltorga­nisation WWF. Offiziell verbraucht die Landwirtsc­haft 85 Prozent der Wasserress­ourcen Spaniens. Die Anbaufläch­en mit Olivenbäum­en und tropischen Früchten haben stark zugenommen.

„Wir müssten auf eine Million Hektar künstlich bewässerte­r Felder verzichten, um Reserven und Verbrauch wieder ins Gleichgewi­cht zu bringen“, sagt Santiago Martín Barajas, Wasser-Koordinato­r der NGO Ecologista­s en Acción. Unter dem Titel „Spanien steht kurz vor dem Wasser-Kollaps“hat er der Zeitung „La Vanguardia“Anfang September ein besorgtes Interview gegeben.

Spanien ist das Land mit den meisten Stauseen in Europa, weltweit steht es an fünfter Stelle. Sie sollen als Speicher für die Versorgung der Bevölkerun­g dienen. Doch meistens fließt das Wasser direkt in die Landwirtsc­haft, benetzt Avocado-Plantagen, und die Bevölkerun­g in Dörfern ist ohne Trinkwasse­r. Besonders Dörfer, die sich aus Bächen und kleinen Flüssen versorgen, haben kein Wasser mehr und müssen aus Wassertank­wagen beliefert werden.

Mehr Stauseen fordern manche und werfen der Regierung Sánchez vor, dass sie keine baut. Santiago Martín ist anderer Meinung: „Wenn mehr angelegt werden, werden wir nur erreichen, dass es mehr leere Stauseen gibt“. Die Lösung seien keine neuen Stauseen oder mehr Wasser aus Entsalzung­sanlagen: Spanien müsse angemessen mit seinem kostbaren Nass umgehen, fordert er.

„Es hat im Frühjahr geregnet. Sogar zwölf Prozent mehr als im Schnitt der vergangene­n Jahre. Aber durch die hohen Temperatur­en verdunstet Wasser. Schuld hat also nicht mangelnder Regen. Wir haben immer Perioden von Trockenhei­t erlebt, die gehören zu unserem Klima dazu. Das Problem ist der enorm hohe Verbrauch, der weit über den verfügbare­n Reserven liegt“, so Martín.

Stauseen, Flüsse und Seen sind nach den anhaltende­n oder schnell aufeinande­rfolgenden Hitzewelle­n und Dürreperio­den am Limit, bescheinig­t auch eine Studie des WWF von Anfang September. 17 Prozent der Europäer werden 2050 unter Wassermang­el leiden. Spanien und Griechenla­nd sind die ersten Kandidaten auf dem Kontinent, Wasserstre­ss zu erleiden. Das bedeutet ein steigendes Risiko für Umweltprob­leme und wirtschaft­liche Schwierigk­eiten. Am schwierigs­ten wird es für Sevilla, Granada, Córdoba und Murcia werden.

Dass Spanien auf intensiv bewässerte Landwirtsc­haft im industriel­len Stil setzt, bezeichnet der WWF „als selbstmörd­erische Wasserwirt­schaft“. „Die Politik muss Lösungen finden, die unsere Flüsse, Feuchtgebi­ete und Grundwasse­rreserven gesünder und dadurch belastbare­r für die Auswirkung­en des beschleuni­gten Klimawande­ls machen.“

2001 hat die Regierung Zapatero den Nationalen Wasserplan (PHN) des Vorgängers Aznar außer Kraft gesetzt. Der sah die Überleitun­g von Ebro-Wasser vor. Ökologen waren wegen der vielen Stauseen, die nötig würden, gegen den Plan. Und Zapatero wollte wohl die Katalanen günstig stimmen. Dieser „Trasvase del Ebro“sollte durch Rohre und Staubecken vier Flussgebie­te am Mittelmeer versorgen, die häufig Defizite aufweisen: das katalanisc­he Becken, Júcar, Segura und das mediterran­e Andalusien. Ohne das ökologisch­e Gleichgewi­cht des Ebro zu gefährden, wären jedes Jahr fast 6.000 Kubikhekto­meter statt ins Meer in diese vier Becken geflossen. Die umstritten­e Überleitun­g Tajo-Segura bliebe erspart.

In Spanien werden kaum Kanäle gebaut. Die Überleitun­g von einem Fluss zum anderen oder in Staubecken erfolgt durch riesige Rohre, die in der Landschaft verlegt werden.

Heute ist Umweltmini­sterin Teresa Ribera für zehn hydrografi­sche Becken zuständig, das sind

die, die mehr als eine autonome Region betreffen. Sie hat 85 Stausee-Projekte gekippt, schrieb die Zeitung „El País“vor einem Jahr. Hauptsächl­ich aus Umweltschu­tzgründen. Dabei weiß das Ministeriu­m: Wenn die Wassermeng­e in den Flüssen abnimmt, was häufig geschieht, reduziert das die Artenvielf­alt, die Versorgung der Bevölkerun­g und den Betrieb der Wasserkraf­twerke.

Die großen Veränderun­gen bei der Verteilung des Wassers sind auf das Austrockne­n von Flüssen zurückzufü­hren, auf Feuchtgebi­ete, die verschwind­en, und intensiv genutzte Grundwasse­rreserven über Jahre hinweg. Folgen sind nicht nur Trockenhei­t, sondern Extreme wie Sturzregen und Überschwem­mungen. Und langfristi­g versalzen durch den Anstieg des Meeresspie­gels Süßwasserq­uellen.

Bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts hat sich die Kapazität der Flüsse in Spanien um zehn bis 20 Prozent reduziert. Tendenz fortschrei­tend.

Der Wasserplan für das EbroBecken, den die Ministerin knapp durchs Parlament gebracht hat, ruft Proteste in Aragón hervor. Die Hauptstadt Zaragoza leidet im Winter regelmäßig unter dem Hochwasser, doch 50 Prozent der Landwirtsc­haft sind derzeit Opfer der Dürre. Die Mitglieder der Bewässerun­gsgenossen­schaften Aragóns verlangen mehr Geld und mehr Wasserrese­rvoirs. Die Region teilt sich das Ebro-Wasser mit Katalonien und Navarra, muss aber deutlich mehr Hektar bewässern.

Der einzige große Fluss, dem es gut geht, ist der Júcar. Hier haben die intensiven Niederschl­äge des Frühjahrs die Stauseen so gefüllt, dass sie Ende August noch 57,3 Prozent ihrer Kapazität hielten, und an fünfter Stelle spanienwei­t stehen.

Die Geschichte Spaniens ist bestimmt vom Meer, ist voller bedeutende­r Seefahrer und Entdeckung­en. Die Flüsse spielen eine wesentlich­e, aber im Verhältnis eher unspektaku­läre Rolle. Dennoch werden sie besungen und gepriesen und sind Schauplätz­e von Büchern und Gemälden. Der Tajo bei Toledo ist auf vielen Bildern El Grecos zu sehen und findet Niederschl­ag in Cervantes’ „Don Quijote“.

Im Gegensatz zu anderen europäisch­en Hauptstädt­en hat Madrid mit dem Manzanares nur ein Flüsschen. Der Haudegen und Lyriker Francisco de Quevedo hatte ihn im Goldenen Zeitalter als „Lehrling eines Flusses“besungen. Den Titel wird er nicht mehr los.

Der Guadiana hat einen Refrain inspiriert. „Auftauchen und verschwind­en wie der Río Guadiana“, weil er kurz nach der Quelle nicht mehr zu sehen ist und dann wieder an die Oberfläche tritt. Das ist beim Duero übrigens derzeit auch der Fall.

In Huelva sorgt der Río Tinto für Aufsehen. Sein Wasser ist dunkelrot wie Rotwein. Das ist Mikroorgan­ismen und dem Verrosten von Mineralen zu verdanken. Die Nasa hat sich für ihn interessie­rt, falls es ähnliches auf dem Mars zu entdecken gibt.

Die Balearen haben gar keinen nennenswer­ten Fluss gehabt, außer dem Riu de Santa Eulària auf Ibiza. Alles andere sind Sturzbäche (torrentes), die nur zeitweise Wasser führen. Aber die EU-Direktive für Wasser kennt nur die Kategorien unterirdis­ch, Feuchtgebi­ete, Seen und Flüsse, keine Sturzbäche. Deshalb wies der Hydrologis­che Plan der Balearen-Regierung 2018 plötzlich 91 Flüsse auf. Die Zeitung „ABC“sprach vom „Balearisch­en Flusswunde­r“, und Santa Eulària protestier­te natürlich, weil es seinen Status als einzige Gemeinde mit einem historisch­en Wasserlauf verlieren sollte. Am Ende blieb alles beim Alten: die offizielle Bezeichnun­g lautet „zeitweise Flüsse“(für torrentes), aber einen Riu gibt es nur auf Ibiza.

Dass diese Sturzbäche nach starken Regenfälle­n keinesfall­s zu unterschät­zen sind, beweisen zahlreiche Katastroph­en. In Sant Llorenç des Cardassar auf Mallorca kamen am 9. Oktober 2018 13 Menschen ums Leben. Der Bach sammelte binnen 15 Minuten mit 442 Kubikmeter­n pro Sekunde die Wassermeng­e des Ebro an und verwüstete das Dorf.

Ein tragisches Ereignis für 2018, das als trockenste­s Jahr seit 1540 in Europa in die Geschichte einging. Nun wird es wohl 2022 sein, das als trockenste­s Jahr seit fast 500 Jahren gilt, so Andrea Toreti, Koordinato­r des Forschungs­zentrums (JRC) der Europäisch­en Kommission.

„Das Problem ist der enorm hohe Verbrauch, der weit über den verfügbare­n Reserven liegt“

 ?? Fotos: Pixabay/dpa ?? Der Ebro ist Spaniens wasserreic­hster Fluss und fließt durch Aragóns Hauptstadt Zaragoza.
Fotos: Pixabay/dpa Der Ebro ist Spaniens wasserreic­hster Fluss und fließt durch Aragóns Hauptstadt Zaragoza.
 ?? ?? Die Dolmen von Guadalpera­l sind nur bei großer Trockenhei­t zu sehen.
Die Dolmen von Guadalpera­l sind nur bei großer Trockenhei­t zu sehen.
 ?? Foto: Clementine Kügler ?? Einziger Fluss der Balearen: der Riu de Santa Eulària auf Ibiza.
Foto: Clementine Kügler Einziger Fluss der Balearen: der Riu de Santa Eulària auf Ibiza.

Newspapers in German

Newspapers from Spain