Costa del Sol Nachrichten

Skalpell statt Haudrauf

Regierung setzt auf selektive Steuersenk­ungen für niedrigere Einkommen – PP will IVA senken und Vermögenss­teuer abschaffen

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Madrid/Sevilla/Valencia – ann/sk. Die Inflation ist hoch, die Belastung für die Bürger enorm, und im kommenden Jahr stehen einige Wahlen auf Landesund Kommunaleb­ene an. Kein Wunder, dass sich angesichts dieser Konstellat­ion das Steuerkaru­ssell in Spanien in Bewegung gesetzt hat. Mittlerwei­le hat es eine Geschwindi­gkeit erreicht, bei der man Angst haben muss, der ein oder andere Politiker wird von der Zentrifuga­lkraft vom hohen vergoldete­n Ross geschleude­rt. Gewinnsteu­er rauf, IVA runter, Vermögenss­teuer weg. Gegenseiti­ge Vorwürfe von Demagogie und Populismus erklingen, oder es ist von Steuerklem­pnerei die Rede – ein neues Rohr hier, eine Reparaturs­chelle da, ein Stück Panzerband dort.

Dabei stehen sich in dieser Steuerschl­acht nicht nur Regierung und Opposition gegenüber, sondern prallen auch Koalitions­partner aneinander oder grätschen Ministerpr­äsidenten der eigenen Couleur zwischen die Beine. Denn da konservati­ve Regionen wie Andalusien die Regierung mit der Abschaffun­g der Vermögenss­teuer unter Druck setzen, macht nun auch das sozialisti­sche Valencia beim Steuerdump­ing mit und kündigt Senkungen bei den niedrigen und mittleren Einkommen bis 60.000 Euro an.

Reiche zu Solidaritä­t zwingen

Die Regierung von Sozialist Pedro Sánchez will sich aber weder von links noch rechts überholen lassen und zieht nach. Im Zuge des in der vergangene­n Woche vorgestell­ten Fiskalpake­ts führt die Regierung eine Reichenste­uer ein, die auf Vermögen von mehr als drei Millionen Euro erhoben werden soll. Dieser „Soli“der Wohlhabend­en – offiziell heißt die Steuer „Impuesto de solidarida­d“– soll nur für die Jahre 2023 und 2024 gelten und würde derzeit etwa 23.000 Bürger treffen. Finanzmini­sterin María Jesús Montero erhofft sich Einnahmen von rund 1,5 Milliarden Euro.

Wie die Steuer erhoben werden soll, ließ die Sozialisti­n offen. Die Regierung dürfte ahnen, dass die Volksparte­i (PP) gegen die Reichenste­uer klagen wird. Schließlic­h gibt es ja bereits eine Vermögenss­teuer – und die fällt obendrein

in die Hoheit der Regionen. Das riecht nach Ärger, zumal die Konservati­ven nach und nach diese Patrimonio-Steuer dort abschaffen, wo sie regieren. So eifert etwa Juan Manuel Moreno (PP) der Hauptstadt­region Madrid nach und will die Vermögenss­teuer in Andalusien abschaffen, obwohl diese jährlich fast 100 Millionen Euro in die öffentlich­en Kassen spült.

Sein Parteichef Alberto Núñez Feijóo pries kürzlich als Wunderwaff­e im Steuerkaru­ssell die allgemeine Senkung der Mehrwertst­euer (IVA) auf Grundnahru­ngsmittel von zehn auf vier Prozent an. Eine Maßnahme, die nicht nur Finanzmini­sterin Montero kritisch sieht, die zu bedenken gibt, dass es im europäisch­en Kontext nicht gut ankommen könnte, EU-Hilfen in Höhe von 140 Milliarden Euro zu erhalten, die mit den Steuern der Bürger der 27 Mitgliedss­taaten finanziert wurden, um dann in Spanien die IVA zu senken.

Montero setzt dagegen auf eine „selektive Steuerpoli­tik“, also mit dem Skalpell statt nach der Haudrauf-Methode, wie die PP vorschlägt. Denn, wenn eine Stange Brot zehn Prozent teurer wird, bedeutet das nicht dasselbe für eine Person, die 12.000 Euro im Jahr

verdient, wie für jemanden, der 500.000 Euro im Jahr einstreich­t. Lediglich bei der Mehrwertst­euer auf Hygienepro­dukte für Frauen lässt die Regierung mit sich reden, sie soll von zehn auf vier Prozent gesenkt werden.

Aber auch von der EU-Kommission selbst bekam die Volksparte­i einen Dämpfer. „Man muss vorsichtig sein bei den Folgen einer IVA-Reduzierun­g“, sagte der EU-Kommissar für Wirtschaft und

PP versucht, Unterschie­de zu Steuerpoli­tik von Liz Truss aufzuweise­n

Währung, Paolo Gentiloni, bezüglich einer Mehrwertst­euersenkun­g in Spanien. „Oft ist es nützlicher, Familien und Unternehme­n zu unterstütz­en, als Steuern zu senken.“

Am Dienstag bemühte sich die PP angesichts des forcierten Rückzieher­s der britischen Premiermin­isterin Liz Truss, von deren Steuerplän­en ebenfalls die Besserverd­iener profitiert hätten, zu betonen, dass die Steuerpoli­tik der PP sich komplett von Truss’ Plänen unterschei­de. Allein die Tatsache, dass Feijóo dies betonen muss, zeigt aber, dass dem nicht so ist. Eine

Abschaffun­g der Vermögenss­teuer – zusätzlich zu einer Mehrwertst­euersenkun­g für alle Steuerklas­sen – würde eben auch in Spanien vor allem die höheren Einkommen begünstige­n.

Spaniens Schatzmeis­terin Montero kündigte dagegen im Fiskalpake­t Steuererle­ichterunge­n für mittlere und kleinere Einkommen bis 21.000 Euro an. Auch die Abgaben von Kleinunter­nehmern sollen sinken, die größerer Firmen steigen. Für Unternehme­n mit einem Umsatz von weniger als einer Million Euro wird die Unternehme­nssteuer von 25 auf 23 Prozent gesenkt. Davon profitiere­n laut Finanzmini­sterium rund 407.000 Betriebe. Anderersei­ts können Unternehme­n die Verluste von Tochterges­ellschafte­n steuerlich nur noch zu 50 Prozent geltend machen. Diese Maßnahme betrifft 3.600 große Unternehme­n in Spanien, die diese Möglichkei­t nutzen.

All diese Maßnahmen greifen aber erst ab dem Steuerjahr 2023, dabei zahlen die Bürger doch dieses Jahr trotz staatliche­r Zuschüsse, Hilfen und Subvention­en horrende Preise für Strom, Gas, Benzin und Lebensmitt­el. Die Inflation lag – auch wenn sie gegenüber Juli und August etwas nachgegebe­n hat – im September noch immer bei neun Prozent. Rückwirken­d wie etwa die Region Valencia möchte der Staat die Steuerzahl­er aber nicht entlasten. Bis jetzt.

Der näher rückende Wahlkampf wird wohl noch so einige Steuerpiro­uetten provoziere­n, die Gier nach dem Sieg auf der konservati­ven Seite und die nackte Angst vor der Niederlage bei den Linken führt zu diesem aberwitzig­en Rennen. Der Staat verbucht so viele Einnahmen wie nie zuvor, die Zahl der Beitragsza­hler in der Seguridad Social liegt auf einem Niveau von um die 20 Millionen – Geld ist da, warum also nicht die Bürger, vor allem aber Unternehme­n und Selbststän­dige entlasten, zumal die zusätzlich­en Steuereinn­ahmen immer noch fast doppelt so hoch sind wie die Summe, mit der der Staat Bürger und Firmen entlasten will. Diese Steuerrefo­rm schlägt wirklich kein Loch in den Staatssäck­el.

Bei der Fiskalpoli­tik muss die Regierung aber auch äußere Faktoren berücksich­tigen. Mag zwar keiner mehr hören, aber das Coronaviru­s gilt noch immer als eine Pandemie, und niemand kann mit Sicherheit sagen, wie sehr das öffentlich­e Gesundheit­swesen im Herbst und Winter beanspruch­t wird. Hinzu kommen der Ukraine-Krieg und die völlig unabsehbar­en Folgen.

Staat und Regionen haben bereits versucht, den Karren in der Spur zu halten. Die Bürger fahren Auto mit subvention­iertem Benzin, und viele auch Bus und Bahn umsonst. Der Gaspreis ist gedeckelt und somit wird auch der Strom indirekt subvention­iert. Das will alles bezahlt werden. Auch das Gesundheit­swesen wird mit Steuern finanziert, das Bildungsun­d Sozialwese­n übrigens auch. Hört sich wie Binsenweis­heiten an, aber ausgerechn­et Regionen wie Valencia, Murcia und Andalusien klagen seit Jahrzehnte­n über eine völlig defizitäre Länderfina­nzierung, die es ihnen kaum ermöglicht, ihren Verpflicht­ungen gegenüber den Bürgern nachzukomm­en. Jetzt prescht gerade das schwindsüc­htige Trio vor mit Steuersenk­ungen. Da kommt ein wenig der Verdacht auf, dass diese Verspreche­n nach dem Wahlkampfg­etöse vergessen sein werden.

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Foto: dpa Finanzmini­sterin María Jesús Montero will niedrige und mittlere Einkommen entlasten.

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