Die Welt zu Gast in Sevilla
Metamorphosen einer Weltstadt: Die Expos 1929 und 1992 bescherten Sevilla Triumphe und bittere Lektionen
Mit imperial geschwelltem Brüstchen, in tantbesetzter Operettenuniform und mit Kaiser-WilhelmGedächtnis-Bürzel auf dem Helm, schritt Spaniens 33-jähriger König Alfonso XIII. am 29. Mai 1929 die Prachtalleen und Gärten, die Pavillons, das Hotel seines Namens und als Höhepunkt die Plaza de España ab, wo 100.000 Menschen jubelten. Alfonso hatte die Ehre, „seine“Exposición Iberoamericana zu eröffnen, als königliche Marionette an den Strippen des General Primo de Rivera zappelnd, Spaniens erstem faschistischen Diktator.
Julius Cäsar, die Kalifen, die Katholischen Könige und dann er, Alfonso der Borbón, als vierter Stadtgründer Sevillas. Noch einmal ließ Spanien 1929 das einstige Weltreich aufscheinen, gaben sich Vertreter der alten Kolonien von Mexiko bis zu den Philippinen, Nordamerika und sogar der frühere Erzfeind Portugal ein Stelldichein in der früheren Weltstadt Sevilla, Metropole des ausgehenden Mittelalters, Schauplatz großartiger Triumphe, wie der Rückkehr der ersten Weltumsegler und goldbeladener Schiffe, aber auch Zeuge abgrundtiefer Verbrechen, Pogrome an jüdischen Spaniern, Deportationen Andersgläubiger, Gründungsort und Hauptsitz der Inquisition.
Letzter Tanz auf dem Vulkan
Am anderen Ende Spaniens, in Barcelona, fand 1929 zeitgleich die eigentliche Weltausstellung statt. Barcelona setzte auf Moderne und Industrialisierung. Katalonien war Zukunft, Sevilla Vergangenheit Spaniens. Die Katalanen brachten Geld und Technik, Spaniens Seele aber schmachtete nostalgisch im Süden. Dort die Arbeit, hier das Vergnügen. Kein schlechter Handel. Aber auch ein Abgesang, ein letzter Tanz auf dem schon brodelnden sozialen Vulkan. Die letzte große Galavorstellung der Polit-Pfauen, bevor Chaos, Republikversuch, Putsch, Krieg und 40 Jahre Diktatur das Land verheeren würden.
Von Anfang an war die Planung der technischen Strategen der Iberer-Expo der Zukunft der Stadt gewidmet, die Ausstellung war repräsentativer
Rahmen. Dieses Prinzip kehrte man später um. Das sollte ein teurer Fehler werden. Schon 20 Jahre zuvor begannen die Arbeiten, in dem der Guadalquivir nochmals begradigt und umgeleitet, Seitenarme trockengelegt wurden, um Fläche zu gewinnen. Südlich des alten Stadtkerns, ab den Gärten der Alcázares, wurden Mauern und ganze Viertel geschleift, soziale Rücksicht hatten
weder die Monarchie noch die Rivera-Diktatur nötig.
Es entstand eine Art Ringstraße entlang der alten Königlichen Tabakfabrik, heute Universität, das gesamte Areal wurde vollkommen transformiert, von der Avenida de la Constitución, die an der Kathedrale durch die alten Stadtmauern bis zum Hotel Alfonso XIII. führt, ein Luxusklotz aus andalusischem Romantizismus und Neomudéjar,
der für die Ibero-Expo stilprägend werden sollte. Damit ging die Remodellierung und Erweiterung des Parks María Luisa einher, einem der schönsten Stadtwäldchen Europas, mit der Plaza de España als repräsentativem Zentrum zwischen neoklassizistischem Circus Maximus und Sherry-Bodega.
Den südlichen und symbolischen Abschluss bildete die Plaza América. Dieser Platz, eher ein Park, war 1920 noch ein großer Acker, der Huerto de la Marina. Heute sind die drei dortigen Pavillons, die an herrschaftliche Villen, ja Schlösschen erinnern, das phänomenale, wenn auch gerade wegen Generalsanierung geschlossene Archäologische Museum, das Ethnographische Museum sowie der Pavillon Real, ein Bürohaus der Stadtverwaltung. Wie organisch die Planer damals Gebäude und Umfeld konzipiert hatten, belegt der frühere Pavillon von Sevilla in den Gärten des Palacio San Telmo. Er ist heute das berühmte Theater Lope de Vega. Kaum ein Besucher würde hier ein Expo-Gelände erkennen, alle sehen nur Sevilla. Genau das war der Plan.
Die meisten anderen Pavillons, die zwar nationale Eigenheiten aufweisen, aber dennoch einem sevillanischen architektonischen
Grund- und Leitmotiv folgten, gehören heute der Stadt, die sie aber langfristig vergeben hat. So sind die früheren Pavillons Argentiniens und Guatemalas das Konservatorium für Tanz, bei den Chilenen sitzen Bildende Künstler. Im Kuba-Pavillon arbeitet die Andalusische Agentur für Entwicklungshilfe, die Gebäude Uruguays, Mexikos und Brasiliens beherbergen Fakultäten der Uni, im US-Haus gibt es Moderne Kunst, bei den Peruanern ein Wissenschaftskolleg und im Marokko-Pavillon haben sich die Stadtgärtner eingerichtet. Lediglich Portugiesen und Kolumbianer behielten ihre Gebäude als Konsulate.
1992: Spaniens Jubeljahr
Zeitsprung: Auch 1992 konkurrierte Sevilla wieder mit Barcelona. „Die zwei Enden der spanischen Wurst“, wie Deutschlands Kulturpapst Alfred Kerr 1923 bemerkte. Während die Andalusier diesmal eine vollständige Weltausstellung ausrichteten, zog Barcelona durch Olympia die Aufmerksamkeit der Welt auf sich und gewann den medialen Showdown. Die Welt war eine andere, Spanien nun demokratisch, in Europa fest verankert. Das etablierte Quasi-Zwei-Parteiensystem bediente sich statt des nur noch mitnaschenden Königshauses frei an den öffentlichen Mitteln. Von einer „zauberhaften Blase“spricht „El País“in einer gar nicht so schmeichelhaften Rückschau auf 30 Jahre Expo 1992. Die Erste Welt feierte 500 Jahre Entdeckung Amerikas durch eine spanische Expedition, es wurde zum spanischen Jubeljahr.
Diesmal zog es die Planer in den Norden der Stadt, die vom Guadalquivir umschlossene Isla de Cartuja wurde zum Expo-Gelände. Nicht irgendein Ort. Schließlich war das hiesige Kloster Santa María de las Cuevas einst Wohnort und zeitweise Grabstätte von Kolumbus, bevor dessen Überreste die Odyssee in die Karibik und dann wieder zurück in die Kathedrale von Sevilla antraten. Eine Legende besagt, dass seine Gebeine vor dem Abtransport von einer Nonne vertauscht wurden und er Sevilla also nie verlassen hatte. Welch theatralische Symbolik: Der Weltentdecker als Dünger für eine Weltausstellung.
215 Hektar groß ist die ExpoInsel, auf denen Milliarden verbaut und zwei Jahrtausende Siedlungsgeschichte zum Teil sträflich untergepflügt wurden. Viel wurde 1993 schon wieder abgerissen oder ist bis heute dem Verfall preisgegeben. Gebäude faulen, Gerüste rosten vor sich hin, während dazwischen der Vergnügungs- und Themenpark Isla Mágica jedes Jahr mit ein paar weniger Attraktionen ums Überleben kämpft. In der Bilanz wurde klar, dass eine langfristige Nachnutzung der Gebäude und eine Integration der Cartuja-Insel in die Stadt gar nicht die Absicht der maßgeblichen
Schöpfer war, sondern das Ausgeben von Geld, das Umleiten öffentlicher Mittel in private Kanäle.
Insofern war die Expo 1992 und ihr nachträgliches Siechtum tatsächlich eine Leistungsschau Spaniens, auch wenn das Event seinen Zweck als Schaufenster der Welt erfüllte. 42 Millionen Menschen kamen. Ein voller Erfolg also? Immerhin, ein paar große Straßen, die Avenidas Europa, del Agua oder Arces und eine gigantische Brücke sind bis heute in Betrieb. Der Technologiepark Cartuja nutzt frühere Pavillons und beherbergt 500 Unternehmen, die fast zwei Prozent des andalusischen
BIP erwirtschaften. Eine Erfolgsgeschichte, aber kein Highlight für die Stadtentwicklung. Im Schifffahrtspavillon ist ein Schifffahrtsmuseum untergebracht, der PelliTurm und das Caixa-Forum sind schnöde Büros und Ausstellungsräume.
Der Pavillon Marokkos ist eine rühmliche Ausnahme, König Hassan II. ließ ihn als dauerhaftes Gebäude errichten. Heute ist er Sitz der Stiftung „Drei Kulturen“in 1.001-Nacht-Optik. Verfallend darben die Pavillons Ungarns und Finnlands, damals als die innovativsten geschätzt. Bei den Franzosen sitzt die Telefónica, ein Aquarium
wird von Meeresbiologen im Monaco-Pavillon in Betrieb gehalten. Der Pavillon der Zukunft mit der Ariane-4-Rakete wird jetzt, nach 30 Jahren, zum Andalusischen Generalarchiv umgebaut. Daneben steht der italienische Pavillon, einst der größte nach dem spanischen. Er ist Sitz des ITGründerzentrums Cartuja 93.
Lost Place Cartuja
Die Stadt ringt mit Investoren und Eigentümern um einige weitere Objekte, andere stehen zum Verkauf. Eine nachhaltige Wirkung wie jene der Ibero-Schau 1929 ist ausgeschlossen. Rund 30 der einst 120 Bauten stehen noch, allerdings verleiten Anordnung, Stilistik und vor allem die nutzungsbefreiten Zwischenräume ohne Leben auf der Cartuja eher dazu, von einem Expo-Friedhof, denn einem wirklichen Stadtteil zu sprechen.
Während die Expo 1929 Sevilla ein neues Antlitz gab, die Stadt belebte, schrammt das Expo-Gelände 1992 nur knapp an einem „Lost Place“vorbei. Höhepunkt der Blamage wurde ausgerechnet der spanische Pavillon, ein 50 Millionen Euro teurer, vollkommen überproportionierter BrutalismusBau, der an einen Atommeiler mit Moschee und Baumarkt erinnert.