Costa del Sol Nachrichten

Wie war das noch gleich?

Gegen die Vergesslic­hkeit: Wie dem Gedächtnis auf die Sprünge geholfen und dem Erinnerung­sverlust vorgebeugt werden kann

- Anne Thesing

Der Schlüssel, der plötzlich nicht mehr dort liegt, wo man ihn doch hundertpro­zentig hingelegt hat. Die Milch, die man beim Einkauf vergessen hat. Der Geburtstag der Schwester, der Name dieses spannenden Kinofilms, und was wollte man eigentlich noch aus dem Abstellrau­m holen? Das Gedächtnis lässt fast jeden ab und zu im Stich. Das muss nicht immer ein Grund zur Besorgnis sein, aber vielleicht ein Anlass, dem Erinnerung­svermögen auf die Sprünge zu helfen.

Carmen Mudarra macht das bei ihren Patienten täglich, sie ist Psychologi­n und Direktorin des Alzheimer-Tageszentr­ums in Teulada. Ihre Fälle haben mit normalem Gedächtnis­verlust nichts mehr zu tun, sie sind krankhaft. Und gerade davor haben viele Gesunde Angst. „Vor allem ältere Menschen denken, wenn sie Dinge vergessen, direkt an Alzheimer“, sagt sie. Dabei sei es ganz normal, dass die Gedächtnis­leistung im Alter abnehme – die Alzheimerk­rankheit, bei der die Neuronen im Gehirn nach und nach absterben, müsse man deshalb noch lange nicht haben.

Auch junge Leute vergessen

Doch warum vergessen wir immer mehr, je älter wir werden? „Das hat mehrere Gründe“, sagt Mudarra. „Zum Beispiel haben ältere Menschen mehr Probleme mit den Sinnen, sie sehen und hören schlechter. Zudem brauchen sie mehr Zeit, Informatio­nen zu verarbeite­n, auch nimmt die Aufmerksam­keit und die Aufnahmefä­higkeit ab. All das kann das Gefühl hervorrufe­n, dass das Gedächtnis versagt.“Übrigens nicht nur bei älteren Menschen. „Auch jüngere Menschen behalten weniger, wenn sie nicht aufmerksam sind. Zudem können Ängste, Stress und Depression­en Gedächtnis­lücken hervorrufe­n. Auch Alkohol, bestimmte Medikament­e oder Vitaminman­gel können Schuld sein.“

Dass das Gedächtnis volle Aufmerksam­keit verlangt, bekommt Carmen Mudarra im Alltag selbst zu spüren. „Bei der Arbeit muss ich mir To-Do-Listen anlegen, sonst vergesse ich die Dinge. Woran das liegt? Ich muss an vieles gleichzeit­ig denken, kann also meine Aufmerksam­keit nicht auf eine Angelegenh­eit konzentrie­ren.“

Alles können also auch junge Menschen nicht behalten. Was nicht heißt, dass man Erinnerung­slücken einfach so hinnehmen muss. Gehirnjogg­ing, Gedächtnis­workshops, Hirntraini­ng – wie auch immer man es nennen mag, Übungen fürs Gedächtnis sind der Renner. Das Internet boomt von Beispielen, nach Büchern zum Thema muss man nicht lange suchen und auch Rathäuser in spanischen Gemeinden bieten immer wieder „talleres de memoria“an. „Wer seine Neuronen durch Gedächtnis­training stärkt, kann dem

Gedächtnis­verlust vorbeugen“, sagt Mudarra.

Bevor man Übungen und Tricks für besseres Behalten in seinen Alltag einbaut, sollte man wissen, wie das Gedächtnis funktionie­rt. Je nachdem, wie lange die Informatio­nen gespeicher­t werden, unterschei­det man zwischen sensorisch­em, Kurzzeit- und Langzeitge­dächtnis. „Das sensorisch­e Gedächtnis umfasst Informatio­nen, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen und direkt umsetzen“, sagt Mudarra. „Wir sehen oder hören etwas und wissen, was es ist.“

Schon ein bisschen weiter muss das Kurzzeitge­dächtnis in die Vergangenh­eit zurückgehe­n. Zum Beispiel, um sich an die Telefonnum­mer zu erinnern, die man mehrmals wiederholt, um sie dann zu wählen. Das Kurzzeitge­dächtnis speichert also eine begrenzte Menge von Informatio­nen und hält sie in einem unmittelba­ren Zeitraum bereit.

Das Langzeitge­dächtnis wiederum betrifft zum einen implizite Erinnerung­en, also Prozesse, die

wir nach dem Erlernen automatisc­h beherrsche­n und die im sogenannte­n prozedural­en Gedächtnis, auch Verhaltens­gedächtnis genannt, gespeicher­t sind.

„Sei es das Radfahren, Laufen, Waschen oder Essen: All diese Fertigkeit­en beherrsche­n wir unbewusst, ohne darüber nachzudenk­en“, sagt Mudarra. Explizite Erinnerung­en wiederum finden wir im deklarativ­en oder sogenannte­n Wissensged­ächtnis. Das können semantisch­e Fähigkeite­n sein – zum Beispiel Namen, Wörter, Gesichter, historisch­e Fakten, Rezepte und Orte – sowie auch Episoden, „also all das, was wir im Laufe der Jahre erleben“.

Rätsel schulen Aufmerksam­keit

Wie und ob wir uns an diese zum Teil lang zurücklieg­enden Informatio­nen erinnern, hängt auch davon ab, wie wir sie erstens aufnehmen, zweitens lagern und drittens abrufen. „In diese drei Phasen lässt sich der Erinnerung­sprozess unterteile­n“, erklärt Carmen Mudarra. Für die richtige Aufnahme der Informatio­n verlangt es eine entspreche­nde Aufmerksam­keit. „Die kann man zum Beispiel anhand von klassische­n Rätselspie­len wie Buchstaben- und Kreuzwortr­ätseln, Sudokus oder dem Suchen von Unterschie­den zwischen zwei Bildern trainieren.“

Bei der zweiten Phase gehe es um die Frage, wie man die Informatio­n aufbewahrt. „Sie ist eng mit der dritten Phase, also dem Abrufen, verbunden. Stellen Sie sich eine Kiste mit Kleidungss­tücken vor. Je besser sie geordnet sind, desto besser findet man die einzelnen Teile wieder“, sagt Mudarra. Genauso sieht es auch im Gehirn aus. Informatio­n richtig zu speichern, kann geübt werden.

Beispiel Telefonnum­mer: „Wenn wir die Nummer in Gruppen aufteilen und mit jeder Gruppe etwas assoziiere­n, können wir uns die gesamte Nummer besser merken“, sagt Mudarra. So könne die „65“für den Eintritt ins Rentenalte­r stehen, andere Gruppen für ein Datum oder die Zahl der Kinder und Enkelkinde­r. „Wir erinnern uns eben besser an Dinge, die eine Bedeutung haben.“

„Mnemotechn­iken“nennt man diese Hilfen, Informatio­nen sinnvoll abspeicher­n und entspreche­nd leichter behalten zu können. Sie reichen von Eselsbrück­en wie Reimen oder Merksätzen bis hin zu komplexen Systemen, mit deren Hilfe man sich tausende Wörter oder ganze Bücher merken kann. Auf die Spitze getrieben wird diese Kunst des Erinnerns bei den Gedächtnis­weltmeiste­rschaften, bei denen sich die Teilnehmer zum Beispiel im Auswendigl­ernen von Zahlen, Namen, Texten oder historisch­en Daten messen.

Gut abschneide­n dürfte dabei der Chinese Chao Lu, der sich im Rahmen des sogenannte­n PiSports im Jahr 2006 unglaublic­he 67.890 Nachkommas­tellen einprägte und sie in 24 Stunden und vier Minuten vortrug – was verdienter­maßen einen Eintrag ins Guinessbuc­h der Rekorde wert war.

In Gedanken Dinge ablegen

Aber es muss ja nicht gleich der Weltrekord sein. Mnemotechn­iken können auch den ganz normalen Alltag erleichter­n. Zum Beispiel beim Erinnern an all das, was heute erledigt werden muss, an die ToDo-Liste also. Hier empfiehlt Carmen Mudarra die Loci-Methode (lat. Loci = Plätze, Orte), die das räumliche Vorstellun­gsvermögen für das Behalten von Gedanken

nutzt. „Ich stelle mir zum Beispiel vor, wie ich durch mein Haus laufe und an verschiede­nen Stellen etwas ablege: Am Eingang das Brot, weil ich noch einkaufen muss. In der Küche die Medikament­e, die mich an den Gang zur Apotheke erinnern. Im Schlafzimm­er steht auf meinem Bett das Rathaus, weil ich dort heute einen Termin habe.“

Klingt ungewöhnli­ch, funktionie­rt aber und kann zum Beispiel auch für die Einkaufsli­ste genutzt werden: Das Brot im Eingang, die Milch auf dem Küchentisc­h, das Mehl auf dem Sofa, und so weiter. Der Trick: Wir visualisie­ren diese Situatione­n, die auch gerne ungewöhnli­ch sein können, und merken sie uns auf diese Weise. Will man sich nun an die Einkaufsli­ste erinnern, geht man in Gedanken einfach nochmal durchs Haus und

trifft dort an den jeweiligen Stellen die abgelegten Begriffe wieder – vom Brot über die Milch bis zum Mehl. Schon in der Antike wurde diese Methode genutzt, um Reden auswendig zu lernen.

Neben diesen Techniken für das konkrete Erinnern (siehe auch Kasten unten) gilt fürs Gedächtnis generell das, was auch für andere Körperteil­e und -funktionen gilt: „Was man nicht benutzt, geht langsam verloren“, sagt Mudarra. „Wenn ich wegen einer Krankheit einen Monat im Bett liegen muss, fällt mir danach das Laufen schwer.“Am besten ist es also, sein Gehirn und sein Gedächtnis täglich zu beanspruch­en. „Zum Beispiel die Dinge anders machen als normal, tragen Sie die Uhr doch mal am rechten statt am linken Arm“, schlägt Mudarra vor.

Dem Lesen wiederum sollte man dem Vorzug vor dem Fernsehen geben, da Gehirn und Fantasie beim ersten mehr beanspruch­t werden. Älteren Menschen empfiehlt sie Kurse an einer Seniorenun­iversität. Auch das Lernen einer neuen Sprache sei gut. „Menschen, die mehr Sprachen beherrsche­n, leiden seltener an Demenz“, weiß sie. Ihr persönlich­er Geheimtipp: Aerobic oder andere Tänze.

„Es ist unglaublic­h, was das Gehirn beim Aneignen einzelner Tanzschrit­te bis hin zu einer kompletten Choreograp­hie leisten muss.“Und schließlic­h komme auch ein gesunder Lebensstil dem Gedächtnis zugute. „Stress vermeiden, Sport treiben, sich ausgewogen ernähren, regelmäßig Blutdruck und Cholesteri­n kontrollie­ren.“Weitere Ratschläge, wie man sein Gedächtnis fit halten kann: Kreativitä­t ausleben, zum Beispiel beim Malen oder Basteln, dem Denken durch Entspannun­gsmethoden eine Auszeit gönnen, Neugierde zulassen, neue Eindrücke verarbeite­n, die Routine durchbrech­en und die eigenen Erlebnisse in Worten, zum Beispiel in einem Tagebuch, festhalten.

Den ultimative­n Tipp, der für alle Menschen gilt, scheint es allerdings nicht zu geben. Zum Beispiel behalten die einen eher Dinge, die sie gehört haben, andere müssen sie gesehen, wieder andere erlebt haben. Also heißt es ausprobier­en, wie man dem eigenen Gedächtnis am besten auf die Sprünge helfen kann. Schon allein das ist eine mentale Leistung, die dem Erinnerung­svermögen sicherlich zugute kommt.

„Tragen Sie die Uhr doch mal am rechten statt am linken Arm“

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Fotos: Ángel García Gerade ältere Menschen lässt das Gedächtnis immer wieder im Stich. Vorbeugend kann es trainiert werden.
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Foto: freepik.com Was steht alles auf der Einkaufsli­ste? Mnemotechn­iken können helfen.
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Ein gutes Buch: Besser lesen als fernsehen, weil das Gehirn dabei mehr beanspruch­t wird.

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