Wie war das noch gleich?
Gegen die Vergesslichkeit: Wie dem Gedächtnis auf die Sprünge geholfen und dem Erinnerungsverlust vorgebeugt werden kann
Der Schlüssel, der plötzlich nicht mehr dort liegt, wo man ihn doch hundertprozentig hingelegt hat. Die Milch, die man beim Einkauf vergessen hat. Der Geburtstag der Schwester, der Name dieses spannenden Kinofilms, und was wollte man eigentlich noch aus dem Abstellraum holen? Das Gedächtnis lässt fast jeden ab und zu im Stich. Das muss nicht immer ein Grund zur Besorgnis sein, aber vielleicht ein Anlass, dem Erinnerungsvermögen auf die Sprünge zu helfen.
Carmen Mudarra macht das bei ihren Patienten täglich, sie ist Psychologin und Direktorin des Alzheimer-Tageszentrums in Teulada. Ihre Fälle haben mit normalem Gedächtnisverlust nichts mehr zu tun, sie sind krankhaft. Und gerade davor haben viele Gesunde Angst. „Vor allem ältere Menschen denken, wenn sie Dinge vergessen, direkt an Alzheimer“, sagt sie. Dabei sei es ganz normal, dass die Gedächtnisleistung im Alter abnehme – die Alzheimerkrankheit, bei der die Neuronen im Gehirn nach und nach absterben, müsse man deshalb noch lange nicht haben.
Auch junge Leute vergessen
Doch warum vergessen wir immer mehr, je älter wir werden? „Das hat mehrere Gründe“, sagt Mudarra. „Zum Beispiel haben ältere Menschen mehr Probleme mit den Sinnen, sie sehen und hören schlechter. Zudem brauchen sie mehr Zeit, Informationen zu verarbeiten, auch nimmt die Aufmerksamkeit und die Aufnahmefähigkeit ab. All das kann das Gefühl hervorrufen, dass das Gedächtnis versagt.“Übrigens nicht nur bei älteren Menschen. „Auch jüngere Menschen behalten weniger, wenn sie nicht aufmerksam sind. Zudem können Ängste, Stress und Depressionen Gedächtnislücken hervorrufen. Auch Alkohol, bestimmte Medikamente oder Vitaminmangel können Schuld sein.“
Dass das Gedächtnis volle Aufmerksamkeit verlangt, bekommt Carmen Mudarra im Alltag selbst zu spüren. „Bei der Arbeit muss ich mir To-Do-Listen anlegen, sonst vergesse ich die Dinge. Woran das liegt? Ich muss an vieles gleichzeitig denken, kann also meine Aufmerksamkeit nicht auf eine Angelegenheit konzentrieren.“
Alles können also auch junge Menschen nicht behalten. Was nicht heißt, dass man Erinnerungslücken einfach so hinnehmen muss. Gehirnjogging, Gedächtnisworkshops, Hirntraining – wie auch immer man es nennen mag, Übungen fürs Gedächtnis sind der Renner. Das Internet boomt von Beispielen, nach Büchern zum Thema muss man nicht lange suchen und auch Rathäuser in spanischen Gemeinden bieten immer wieder „talleres de memoria“an. „Wer seine Neuronen durch Gedächtnistraining stärkt, kann dem
Gedächtnisverlust vorbeugen“, sagt Mudarra.
Bevor man Übungen und Tricks für besseres Behalten in seinen Alltag einbaut, sollte man wissen, wie das Gedächtnis funktioniert. Je nachdem, wie lange die Informationen gespeichert werden, unterscheidet man zwischen sensorischem, Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis. „Das sensorische Gedächtnis umfasst Informationen, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen und direkt umsetzen“, sagt Mudarra. „Wir sehen oder hören etwas und wissen, was es ist.“
Schon ein bisschen weiter muss das Kurzzeitgedächtnis in die Vergangenheit zurückgehen. Zum Beispiel, um sich an die Telefonnummer zu erinnern, die man mehrmals wiederholt, um sie dann zu wählen. Das Kurzzeitgedächtnis speichert also eine begrenzte Menge von Informationen und hält sie in einem unmittelbaren Zeitraum bereit.
Das Langzeitgedächtnis wiederum betrifft zum einen implizite Erinnerungen, also Prozesse, die
wir nach dem Erlernen automatisch beherrschen und die im sogenannten prozeduralen Gedächtnis, auch Verhaltensgedächtnis genannt, gespeichert sind.
„Sei es das Radfahren, Laufen, Waschen oder Essen: All diese Fertigkeiten beherrschen wir unbewusst, ohne darüber nachzudenken“, sagt Mudarra. Explizite Erinnerungen wiederum finden wir im deklarativen oder sogenannten Wissensgedächtnis. Das können semantische Fähigkeiten sein – zum Beispiel Namen, Wörter, Gesichter, historische Fakten, Rezepte und Orte – sowie auch Episoden, „also all das, was wir im Laufe der Jahre erleben“.
Rätsel schulen Aufmerksamkeit
Wie und ob wir uns an diese zum Teil lang zurückliegenden Informationen erinnern, hängt auch davon ab, wie wir sie erstens aufnehmen, zweitens lagern und drittens abrufen. „In diese drei Phasen lässt sich der Erinnerungsprozess unterteilen“, erklärt Carmen Mudarra. Für die richtige Aufnahme der Information verlangt es eine entsprechende Aufmerksamkeit. „Die kann man zum Beispiel anhand von klassischen Rätselspielen wie Buchstaben- und Kreuzworträtseln, Sudokus oder dem Suchen von Unterschieden zwischen zwei Bildern trainieren.“
Bei der zweiten Phase gehe es um die Frage, wie man die Information aufbewahrt. „Sie ist eng mit der dritten Phase, also dem Abrufen, verbunden. Stellen Sie sich eine Kiste mit Kleidungsstücken vor. Je besser sie geordnet sind, desto besser findet man die einzelnen Teile wieder“, sagt Mudarra. Genauso sieht es auch im Gehirn aus. Information richtig zu speichern, kann geübt werden.
Beispiel Telefonnummer: „Wenn wir die Nummer in Gruppen aufteilen und mit jeder Gruppe etwas assoziieren, können wir uns die gesamte Nummer besser merken“, sagt Mudarra. So könne die „65“für den Eintritt ins Rentenalter stehen, andere Gruppen für ein Datum oder die Zahl der Kinder und Enkelkinder. „Wir erinnern uns eben besser an Dinge, die eine Bedeutung haben.“
„Mnemotechniken“nennt man diese Hilfen, Informationen sinnvoll abspeichern und entsprechend leichter behalten zu können. Sie reichen von Eselsbrücken wie Reimen oder Merksätzen bis hin zu komplexen Systemen, mit deren Hilfe man sich tausende Wörter oder ganze Bücher merken kann. Auf die Spitze getrieben wird diese Kunst des Erinnerns bei den Gedächtnisweltmeisterschaften, bei denen sich die Teilnehmer zum Beispiel im Auswendiglernen von Zahlen, Namen, Texten oder historischen Daten messen.
Gut abschneiden dürfte dabei der Chinese Chao Lu, der sich im Rahmen des sogenannten PiSports im Jahr 2006 unglaubliche 67.890 Nachkommastellen einprägte und sie in 24 Stunden und vier Minuten vortrug – was verdientermaßen einen Eintrag ins Guinessbuch der Rekorde wert war.
In Gedanken Dinge ablegen
Aber es muss ja nicht gleich der Weltrekord sein. Mnemotechniken können auch den ganz normalen Alltag erleichtern. Zum Beispiel beim Erinnern an all das, was heute erledigt werden muss, an die ToDo-Liste also. Hier empfiehlt Carmen Mudarra die Loci-Methode (lat. Loci = Plätze, Orte), die das räumliche Vorstellungsvermögen für das Behalten von Gedanken
nutzt. „Ich stelle mir zum Beispiel vor, wie ich durch mein Haus laufe und an verschiedenen Stellen etwas ablege: Am Eingang das Brot, weil ich noch einkaufen muss. In der Küche die Medikamente, die mich an den Gang zur Apotheke erinnern. Im Schlafzimmer steht auf meinem Bett das Rathaus, weil ich dort heute einen Termin habe.“
Klingt ungewöhnlich, funktioniert aber und kann zum Beispiel auch für die Einkaufsliste genutzt werden: Das Brot im Eingang, die Milch auf dem Küchentisch, das Mehl auf dem Sofa, und so weiter. Der Trick: Wir visualisieren diese Situationen, die auch gerne ungewöhnlich sein können, und merken sie uns auf diese Weise. Will man sich nun an die Einkaufsliste erinnern, geht man in Gedanken einfach nochmal durchs Haus und
trifft dort an den jeweiligen Stellen die abgelegten Begriffe wieder – vom Brot über die Milch bis zum Mehl. Schon in der Antike wurde diese Methode genutzt, um Reden auswendig zu lernen.
Neben diesen Techniken für das konkrete Erinnern (siehe auch Kasten unten) gilt fürs Gedächtnis generell das, was auch für andere Körperteile und -funktionen gilt: „Was man nicht benutzt, geht langsam verloren“, sagt Mudarra. „Wenn ich wegen einer Krankheit einen Monat im Bett liegen muss, fällt mir danach das Laufen schwer.“Am besten ist es also, sein Gehirn und sein Gedächtnis täglich zu beanspruchen. „Zum Beispiel die Dinge anders machen als normal, tragen Sie die Uhr doch mal am rechten statt am linken Arm“, schlägt Mudarra vor.
Dem Lesen wiederum sollte man dem Vorzug vor dem Fernsehen geben, da Gehirn und Fantasie beim ersten mehr beansprucht werden. Älteren Menschen empfiehlt sie Kurse an einer Seniorenuniversität. Auch das Lernen einer neuen Sprache sei gut. „Menschen, die mehr Sprachen beherrschen, leiden seltener an Demenz“, weiß sie. Ihr persönlicher Geheimtipp: Aerobic oder andere Tänze.
„Es ist unglaublich, was das Gehirn beim Aneignen einzelner Tanzschritte bis hin zu einer kompletten Choreographie leisten muss.“Und schließlich komme auch ein gesunder Lebensstil dem Gedächtnis zugute. „Stress vermeiden, Sport treiben, sich ausgewogen ernähren, regelmäßig Blutdruck und Cholesterin kontrollieren.“Weitere Ratschläge, wie man sein Gedächtnis fit halten kann: Kreativität ausleben, zum Beispiel beim Malen oder Basteln, dem Denken durch Entspannungsmethoden eine Auszeit gönnen, Neugierde zulassen, neue Eindrücke verarbeiten, die Routine durchbrechen und die eigenen Erlebnisse in Worten, zum Beispiel in einem Tagebuch, festhalten.
Den ultimativen Tipp, der für alle Menschen gilt, scheint es allerdings nicht zu geben. Zum Beispiel behalten die einen eher Dinge, die sie gehört haben, andere müssen sie gesehen, wieder andere erlebt haben. Also heißt es ausprobieren, wie man dem eigenen Gedächtnis am besten auf die Sprünge helfen kann. Schon allein das ist eine mentale Leistung, die dem Erinnerungsvermögen sicherlich zugute kommt.
„Tragen Sie die Uhr doch mal am rechten statt am linken Arm“