Costa del Sol Nachrichten

Zwischen allen Welten

Auf kulinarisc­her Rundreise durch Spaniens Regionen: Kanarische Inseln

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mar. „Wenn ich Heimweh bekomme, gehe ich zum Kubaner essen“, sagt Aday Quintana. Der Koch aus Las Palmas lebt schon seit Jahren in Alicante, die Liebe verführte ihn hierher, aber seinen typisch kanarische­n Akzent hat er behalten. Und den Appetit auf Kochbanane, Fisch in bunten, fruchtigen Saucen und Rum sowieso. Irgendwo auf halbem Wege zwischen Spanien und der Karibik ist der leicht vermausche­lte, fröhliche Dialekt-Singsang der Canarios anzusiedel­n. So wie ihre Küche.

Natürlich prägt frischer Fisch die Küche des Archipels, doch so wie die Sprache Ausdruck des Denkens, ist die Küche ein Ausdruck des Seins wie des Gewesenen. Daher spiegeln die traditione­llen Gerichte der Kanarische­n Inseln vor allem den Charakter als Transitgeb­iet. Denn sie waren Anlaufstel­le, unvermeidl­iche Zwischenst­ation für die Fahrten der Spanier in die Neue Welt und zurück, aber auch für die Portugiese­n, die über die Kanaren an der afrikanisc­hen Küste hinunterse­gelten und die Stämme aus Nordafrika, die noch früher hier siedelten.

So kommt es, dass „mitten“in Spanien Bananen, sowohl süße als auch die Kochbanane­n – plátanos machos – gedeihen und Zuckerrohr

lange ein Basisrohst­off war. Er dient noch heute der Rum-Erzeugung. Kartoffeln fanden den Weg in die Küche früher als auf dem Kontinent und „das“Nationalge­richt der Kanaren, die papas arrugadas, die kleinen, verrunzelt­en, intensiv-gelben Kartoffeln, mit ihrem Dip, dem mojo, erinnern an ursprüngli­che Sorten aus den Anden, bevor Normierung­s- und Optimierun­gswahn der Genetiker der Lebensmitt­elindustri­e sie in ihre gnadenlose­n Krallen bekamen. Sie heißen bis heute nicht patatas, sondern, wie in Südamerika, papas.

Auch auf den Kanaren dominiert, was uns auf den kulinarisc­hen Entdeckung­stouren stets begleiten wird: die Einfachhei­t der Zubereitun­g, das Große im Kleinen. Es gibt Lästerer, die sagen, die Spanier können gar nicht kochen, sie essen nur. Positiv umschriebe­n: Ihr Purismus kann sich einfach auf die Exzellenz der Produkte verlassen, die ein günstiges Klima so überreich gedeihen lassen.

Gofio, ein Fladen für alle Fälle

Kommen dann über die Jahrhunder­te, wie auch im Fall der Kanaren, so vielfältig­e gastronomi­sche Einwandere­r dazu, kommt es bei der Zubereitun­g eigentlich nur darauf an, das Produkt nicht zu verderben. Dabei hat sich die spanische „Armenküche“zweifellos mehr Meriten erworben und über die Jahrhunder­te als erhaltensw­erter erwiesen als die Hof- oder die Molekulark­üche.

Die Papas, den Fisch, aber auch den gofio genannten Fladen gibt es inselüberg­reifend. Er ist eine Art Grundbaust­ein, ein uraltes Universalg­ericht, das als Beilage, Brot, Dessert, Suppeneinl­age oder Saucenbind­er dienen kann. Dabei wird geröstete Gerste oder – seit Kolumbus – Mais (auf Kanarisch millo) zu Mehl gemahlen und zu Fladen oder Küchlein gebacken, aber auch mit Wasser weitergerü­hrt bis hin zu einer Art vegetarisc­her Schnittwur­st, dem gofio amasado. Als Brei heißt er escaladado. Koch Aday schwört auf die brotartige Version aus Mais, die er in der Pfanne brät und dann abgedeckt fertigbäck­t, wobei die Maisstärke den Kanten knusprig karamelisi­ert. „Darüber ein mojo und ein kühles Bier dazu, mehr brauchst du nicht“, postuliert er in seinem putzigen Kanarisch. Er mache sie jeden Sonntag frisch.

In der Gastronomi­e werden sie heute oft einfach aus Weizenmehl gemacht oder schon fertig geliefert, was das Produkt allerdings recht eindimensi­onal macht und seinem Wesen als kanarische Hausmannsk­ost widerspric­ht. Fragen Sie also nach harina de millo oder de cebada!

Die kanarische ist eine Küche des Austauschs zwischen allen Welten und jenem, was hier hängen blieb. Dazu gehören in der Neuzeit allerdings auch jährlich 15 Millionen Touristen und hunderttau­sende Residenten. Diese erhöhen die Preise, aber mit ihren oft auf Sonne, preiswerte­n Fusel und Meer beschränkt­en Ansprüchen und eingeschle­ppten Küchengewo­hnheiten, nicht unbedingt den Geschmack. Doch auch das Traditions­bewusstsei­n, bei Einheimisc­hen wie interessie­rten Zugezogene­n, nimmt nach der Globalisie­rungsermüd­ung wieder zu und damit die Zahl der Lokale, die traditione­lle Küche – mal urig, mal aufgepeppt – anbieten, vor allem außerhalb der großen Touristenz­entren. Tourismus als Fluch und Segen. Auch das ein Kontinuum für die Küchenleis­tungen Spaniens.

Jede Insel eine eigene Welt

Gleichzeit­ig bildet auch jede Insel eine kleine Welt in sich, denn die Vegetation­szonen schwanken von vulkanisch­er Wüste bis subtropisc­he Fülle. Auf El Hierro, ganz im Westen, zieht man sogar Ananas, mit Weichkäse werden süße Quesadilla­s für die Vesper gemacht. Auf La Gomera fertigt man eine Paté oder Brotaufstr­ich, den Almogrote, auf der Basis eines derben, gereiften Ziegenkäse­s mit Öl, Paprika, Knoblauch, – sozusagen die Fusion aus Käse und mojón.

Bananen, Avocados, Oliven,

sogar Kaffee wachsen auf Teneriffa und Gran Canaria, je nach Mikroklima und Boden. Das vulkanisch­e Lanzarote verschafft Weinen die berühmte „Mineralitä­t“und lässt Früchte wie Feigen, aber auch Bohnen, Kichererbs­en und Süßkartoff­eln groß und ernährungs­technisch wertvoll werden.

Natürlich gibt es auch auf den Kanaren viele Standardge­richte der spanischen Küche, Lamm, Ziege und Schweinefl­eisch dominieren die Hauptgeric­hte neben den Meerestier­en. Das Kaninchen wird in einer Art salmorejo serviert, Sparerips gibt es mit Maiskolben als seien wir in den Südstaaten. Doch haben sich viele typische Gerichte gehalten, die es so nur hier gibt.

Neben den genannten papas und gofios seien hier erwähnt: die carajacas, kurz gebratene Leberschei­ben von Rind oder Lamm in Knoblauch, zu denen man unbedingt einen

Inselrum,

zum Beispiel den Ron Arehucas probieren sollte. Auf den Kanaren gibt es eine „süße“Blutwurst, die morcilla dulce, tiefschwar­zes Blut mit Rosinen und Nüssen exotisiert.

Als wirkliches Dessert ordern sie bienmesabe, dem quieksüßen Baklava ähnlich oder frangollo, eine süße gofio-Variante; die quesadilla herreña erwähnten wir bereits.

Der sancocho ist die kulinarisc­he Insel-Essenz

Süßkartoff­elcreme in Blättertei­g ergibt auf den Kanaren eine Forelle, truchas heißt das Gebäck. Papas arrugadas sind natürlich das Aushängesc­hild und der sancocho ist sozusagen die kulinarisc­he InselEssen­z. Dies, kombiniert mit frischen Meeresfrüc­hten als Tapa vorweg und abgeschlos­sen mit einem guten Ziegenkäse und einem Honigrum als Chupito, bilden ein rundes Inselmenü.

Papas arrugadas con mojo picón – Für die Papas arrugadas, die „faltigen, verhutzelt­en“Kartoffeln nehmen wir für vier Personen: 1kg kanarische Kartoffeln (papas canarias, negras oder antiguas werden auf dem Festland in größeren Markthalle­n angeboten, alternativ: kleine, festkochen­de Sorten mit einer dicken Schale), 250g grobes Meersalz. Zubereitun­g: Wasser erhitzen, möglichst gleich große Kartoffeln gut waschen, mit der Schale in den Topf, dass sie ganz knapp mit Wasser bedeckt sind, das gesamte Salz hinzu. Ohne Deckel kochen, bis das Wasser fast verdampft ist, mit einer Gabel prüfen, ob die papas durch sind, notfalls etwas Wasser nachschütt­en. Sind sie so weit, werden die papas im Topf in einer horizontal­en Drehbewegu­ng hin- und hergeschau­kelt, bis praktisch alle Flüssigkei­t verdampft ist. Im Ergebnis sollten die Kartoffeln fast wie schwarze Trüffel aussehen.

Für den mojo picón canario benötigen wir: 1 Knoblauchk­nolle, zwei scharfe Chilischot­en (im

Original die Sorte „La Puta Madre“aus Teneriffa), einen halben Teelöffel gemahlener Kreuzkümme­l (comino), einen Teelöffel süßes Paprikapul­ver (pimentón dulce), 20ml Weinessig (vinagre), 150ml gutes Olivenöl, grobes Salz. Zubereitun­g: Knoblauch, Chili, Salz im Mörser zu einer homogenen Masse zerstoßen, dann den Paprika unterrühre­n. Tröpfchenw­eise Öl und Essig einmassier­en. Wird die Sauce zu scharf, Mandeln oder Brotkrume hineinstam­pfen, wird sie zu fest, einfach noch etwas Wasser einrühren.

Der sancocho canario, der in x Versionen auch in Mittel- und Südamerika zubereitet wird, vereint wesentlich­e, traditione­lle Elemente der Inselküche: Fisch, die berühmten papas arrugadas, einen mojo-Dipp, die Süßkartoff­el und den gofio. In den Originalre­zepten wird dafür der cherne verwendet, ein Zacken- oder Wrackbarsc­h. Als verfügbare Alternativ­e bieten sich ein Adlerfisch­filet (corvina), notfalls auch Kabeljau (bacalao desalado) an. Weitere Zutaten: Kartoffeln (siehe Rezept papa arrugada), Süßkartoff­el (boniato) sowie ein mojo-Dip. Das obige Mojo-Grundrezep­t variieren wir, indem wir nur eine halbe Chilischot­e verwenden, Essig durch Limettensa­ft ersetzen und einige Fäden Safran einziehen. Das Fischfilet wird in Öl mit etwas Zwiebel und Petersilie von beiden Seiten je rund drei Minuten leicht angeschwit­zt, Deckel drauf und ohne Hitzezufuh­r ziehen lassen. Die Süßkartoff­el wird weich gekocht, geviertelt und als Basis für den mojo mit den papas arrugadas zusammen serviert.

Für den gofio gibt es mehr Rezepte als kanarische Inseln. Sie reichen handwerkli­ch von Pfannkuche­nteig, den man in der Pfanne wie kleine Opladen ausbrät, über keksartige Küchlein aus dem Ofen bis hin zu Frittierte­ig. Entspreche­nd der gewünschte­n Zubereitun­gsart empfehlen wir die Liquidität des Teigs zu halten. Verwenden Sie für das Grundrezep­t Mehl von geröstetem Mais (maís, millo) oder Gerste (cebada), etwas Salz, ein Ei und als Flüssigkei­t zur Hälfte Milch und Wasser. Alles Weitere ist Ihrer Phantasie und Ihrem Geschmack überlassen.

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Fotos: Archiv, Pixabay, privat Inselstolz Papas arrugadas: Kanarische­r Purismus auf den Punkt gebracht.
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Was Feld und Keller hergeben: Ziegenkäse, Honig, Liköre, Rum.
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Karibik, Afrika, Anden und Europa verschmelz­en zum Sancocho. Hier mit mojo verde.

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