Von Sprüchen bis zu Nadeln
Machismo in Studentenheimen und Vergewaltigungsversuche auf Dorffiestas – Mühsamer Kampf gegen die Gewalt an Frauen
Madrid/Alicante – ann. Begrapschen, Vergewaltigung, K.oTropfen, Anzüglichkeiten, Beleidigungen, die Angst, alleine nach Hause zu gehen – es gibt vieles, was Frauen erleiden müssen, allein wegen der Tatsache, dass sie Frauen sind. Allein deshalb, weil sie körperlich unterlegen sind, weil natürlich nicht alle, aber doch so manche Männer tun, was ihnen gerade in den Sinn kommt, oder weil sie als Rudel samstagabends „auf die Jagd gehen“. Aus Überlegenheit, aus Geilheit, aus „Tradition“.
„Diesen Sommer hatten wir leider viel zu viele Vorkommnisse: von Gruppenvergewaltigungsversuchen über Nadel-Attacken – also dass sie nicht nur etwas ins Glas der Mädchen kippen, sondern es direkt spritzen –, wir haben von allem etwas erlebt, es war ein sehr schwieriger Sommer“, berichtet Marga Luján von der Vereinigung Mujeres con Voz in Villajoyosa in der Provinz Alicante. Der gemeinnützige Verein setzt sich für Frauen ein, die Opfer von machistischer Gewalt geworden sind, und ist seit 2016 auf Dorffiestas im Kreis Marina Baja mit einem Stand, einem sogenannten Punto Violeta, vertreten. „Dort informieren und sensibilisieren wir die Gesellschaft im Allgemeinen, aber unsere Stände sind auch geschützte Bereiche, in denen wir Frauen betreuen, die Opfer einer Misshandlung oder sexuellen Aggression wurden oder es noch sind“, erklärt Luján.
Ruhiges Oktoberfest
„Kommt ein Mädchen oder eine junge Frau, weil sie Opfer einer Aggression geworden ist, dann kümmern wir uns um sie, fragen, ob wir sie begleiten sollen zu einer ärztlichen Untersuchung oder zur Polizei, um eine Anzeige aufzugeben“, erzählt Luján, die selbst in ihrer früheren Ehe Opfer von Gewalt geworden ist. Auch nach der Aggression betreut die Vereinigung Mujeres con Voz die Opfer weiter, wenn sie dies möchten: mit psychologischer und rechtlicher Beratung, mit Workshops, Fortbildungen, Entspannungskursen und vielem mehr.
Allein in diesem Sommer stand bei Festen in 16 Gemeinden des Kreises Marina Baja ein Violettfarbener
Punkt. Auch beim Oktoberfest des deutschen Vereins CCC in La Nucía sind die Mujeres con Voz noch bis Ende der Woche vertreten. „Und es ist mit Abstand der Punto Violeta, an dem wir am wenigsten Vorkommnisse haben“, erzählt die 60-Jährige aus Villajoyosa. „Das liegt aber vermutlich auch an den vielen privaten Sicherheitsleuten, die im und rund um das Festzelt für Ordnung sorgen.“
Wie Luján erklärt, versuchen sie stets, mit drei bis vier Freiwilligen den Punto Violeta zu betreuen. „So können immer zwei von uns herumlaufen und im Zelt und draußen, an kritischen Punkten, ein Auge auf das Geschehen werfen und sich zeigen. Wenn wir etwas Verdächtiges sehen, rufen wir die Sicherheitskräfte“, berichtet sie. Und beim Oktoberfest des CCC in La Nucía hätten sie nichts Verdächtiges bemerkt.
Innerhalb des Vereins Mujeres con Voz gebe es eine Gruppe von Frauen, die sich den Puntos Violetas widme. Wenn es einmal vorkomme, dass Stände auf zwei Veranstaltungen gleichzeitig stehen, greife man auf freiwillige Helfer zurück, die sich an den Stand stellen können und möchten. Viele Frauen – und Männer – würden
sich den Ständen nähern, um sich über das Problem der machistischen Gewalt zu informieren, und bekommen anschließend einen violetten Button als Zeichen gegen die Gewalt an Frauen.
Beim Oktoberfest in La Nucía allerdings fühlen sich die Mujeres con Voz eher überflüssig. „Keiner
„Ihr nymphomanischen Huren, kommt aus euren Kaninchenlöchern!“
schaut mal an unserem Stand vorbei, keiner interessiert sich für das Thema“, erzählt Marga Luján, die vermutet, dass dies damit zusammenhängt, dass es eine von Ausländern organisierte Fiesta ist. „Es ist sehr schwierig, an die ausländische Gemeinschaft heranzukommen, es ist, als ob sie dieses Thema nichts anginge. Dabei existiert die Macho-Gewalt überall, in Deutschland, in Spanien, in Frankreich, in allen Ländern.“Und nur in Spanien würden die Frauen dabei in den „Genuss“eines so fortschrittlichen Gesetzes kommen, das laut Marga Luján zwar verbesserungsfähig ist, aber immerhin existiert.
Auf dem Papier eine gute Sache, doch auch in Spanien gibt es
im Kampf gegen den Machismo noch einiges zu tun. „Ihr seid nymphomanische Huren, kommt aus euren Kaninchenlöchern, ich verspreche euch, ihr werdet alle ficken – auf geht’s Ahúja!“– diese kultivierten Sprüche hallten vergangene Woche vom „Elite“-Studentenwohnheim Elías Ahúja in Madrid rüber zum Mädchenwohnheim Santa Mónica, bevor alle die Jalousien hochrissen, animalische Laute und „¡Vamos Ahúja!“-Rufe ausstießen – eine alteingesessene „Tradition“in dem ausschließlich von jungen Männern bewohnten Colegio Mayor, in dem übrigens auch der Ex-Generalsekretär der Volkspartei, Pablo Casado, während seiner Studienzeit wohnte.
Videos der Macho-Performance kursierten kurz darauf im Internet – und das Entsetzen und der Aufschrei waren zumindest in weiten Teilen der Gesellschaft groß. Politiker aller Couleur verurteilten die Gesänge des Colegio Mayor, außer Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso, die fand, dass viel „schlimmere Dinge“passieren. Doch auch einige Bewohnerinnen von Santa Mónica konnten an den ihnen gewidmeten Gesängen nichts Schlimmes finden, das sei eben „Tradition“.
Erst eine Woche nach dem Vorfall – und wohl nur angesichts der hohen Wellen, die dieser geschlagen hat – baten die Bewohner des Colegio Mayor Elías Ahúja um Verzeihung. Es sei ein „schlechter Scherz“gewesen, der „aus dem Ruder gelaufen“sei, schrieben sie auf ihrer Webseite. Der Vorsänger wurde des Wohnheims verwiesen. Auf einem anderen Video aus Ahúja sind übrigens nicht nur machistische Sprüche, sondern auch ein „Sieg Heil“mit gestrecktem Arm festgehalten. Eine ganz feine Gesellschaft also, mit der sich jetzt die Staatsanwaltschaft beschäftigt und prüft, ob ein Hassdelikt vorliegt.
„Was mich am meisten überrascht, ist, dass die Mädchen dieses Verhalten entschuldigen, natürlich nicht alle, aber viele fühlen sich davon nicht einmal beleidigt“, meint Marga Luján von Mujeres con Voz. In der Jugend von heute gebe es scheinbar keinen Mittelweg – „entweder sie sind überzeugte Feministen und Feministinnen, oder sie sind alle – Jungen und Mädchen – Machos“.
Für Luján liegt die Lösung dennoch in der Erziehung. „Es müsste ein Fach geben, in dem über die Gewalt gegen Frauen und auch über Feminismus gesprochen wird“, schlägt sie vor. „Damit die jungen Leute verstehen, dass der Feminismus nicht will, dass Frauen mehr sind als Männer, sein Ziel ist die Gleichheit.“
Die Schule Pérez de Guzmán in Ronda (Málaga) reagierte jedenfalls mit einer weiteren Performance auf die Macho-Sprüche von Ahúja. „Nein, die Gewalt ist keine Tradition! Und es gibt keine Rechtfertigung! Mehr Respekt, weniger Brutalität! Mehr Respekt, weniger Machismo! Mehr Respekt, weniger Vulgarismus!“rufen sie im Video aus den Fenstern ihrer Schule. Denn auch das ist zum Glück die Jugend von heute.
Staatliche Hilfe erhalten Opfer machistischer Gewalt unter 016, per WhatsApp 600 000 016 oder unter 016-online@igual dad.gob.es. Kontakt zu Mujeres con Voz: 664 105 541, www.mujeresconvoz.es