Costa del Sol Nachrichten

Kaum bekannter Schatz

Andalusisc­he Seele in Stein gehauen: Besuch und eine Lektion in oft übersehene­n Mudéjar-Palästen Sevillas

- Marco Schicker Sevilla

Es sind nicht nur die Touristen, die an dem Gebäude vorbei stürmen. „Viele Sevillaner sagen mir, dass sie zum ersten Mal von dem Palacio gehört hätten“, sagt die junge Kunsthisto­rikerin, die heute drei Niederländ­er und einen CN-Redakteur durch den Palacio Lebrija führt. Die Renaissanc­e-Fassade des Bauwerks, im typischen Goldgelb und Purpur Sevillas in der Calle Cuna, geht fast unter zwischen Mode- und Souvenirlä­den, Bars und Flamenco-Theatern der endlosen Altstadtgä­sschen.

Vielleicht ist es die Reizüberfl­utung, die Touristen überanstre­ngt oder sind es die zwölf Euro Eintritt, die viele abschrecke­n, denn für das Geld kommt man bereits in die Kathedrale und das nahegelege­ne, prachtvoll­e Museum der Schönen Künste lädt sogar zum kostenlose­n Besuch ein. Doch die Mudéjar-Palais Sevillas spiegeln Geschichte und Ästhetik der Stadt besonders lebensnah wider, auch weil viele noch bewohnt, zumindest aber benutzt sind.

Sorglose Mixtur der Baustile

Mudéjar ist ein Hybridstil, zwischen Gotik, Renaissanc­e, maurischer Bau- und Ausstattun­gskunst und Lebensphil­osophie, adaptiert vom andalusisc­hen Folklorism­us mit seinen Elementen spielend und in gewisser Weise zeitlos. Ein Albtraum für Architektu­rprofessor­en also. Er hatte seine Blüte als architekto­nisches Scharnier zwischen Orient und Okzident, als im 15. und 16. Jahrhunder­t Sevilla eine der bedeutends­ten und größten Städte der Welt wurde, doch zieht sich dieser Stil so sorglos wie farbenfroh durch die Jahrhunder­te und blieb der bauliche Ausdruck der andalusisc­hen Seele.

Man nimmt auf, was man mag und was einem gut tut, egal wo es herkommt und egal, ob man anderswo darüber lacht. Diese Lebensleic­htigkeit des Andalusisc­hen finden wir nicht nur im Mudéjar, sondern auch in ihrem Dialekt, im Flamenco, in der Küche.

Eines der prächtigst­en Beispiele der Mudéjar-Architektu­r in Sevilla ist der Palacio de Las Dueñas, im 15. und 16. Jahrhunder­t auf

Klostermau­ern erbaut, gehört er seit langem zum Hause Alba, also einer der reichsten Adelsfamil­ien Europas. Zunächst begrüßt einen etwas reserviert eine berankte Fassade, die eher an den Eingang zu einem Kloster erinnert, als an einen Palast. Doch im Inneren – ganz nach maurischer Lebensart – entfaltet sich die Pracht in einem

Patio mit zweistöcki­gen Säulengäng­en mit ihren typischen Rundbögen, den unendlich reichen Stuckarbei­ten, Azulejos aus vier Jahrhunder­ten, in der Mitte natürlich ein Wasserspie­l und überall Palmen, Orangen, Blüten als natürliche Elemente, ohne die diese Architektu­r nicht vollständi­g wäre.

In den Pracht- und Wohnräumen

eklektizis­tischer Reichtum in Mobiliar, Vitrinen und an Wänden, mit Hinweisen auf den Charakter der Bewohner. Bei den Albas muss es von allem und viel sein. Mehr Adel als edel. Im 19. Jahrhunder­t – Erste Republik – wurden die Räume geteilt und zu Wohnungen umfunktion­iert, der Dichter Antonio Machado verlebte hier seine Kindheit. Heute strahlt, auch Dank der Eintrittsg­elder der Touristen, alles wieder in alter Pracht.

Im Viertel San Bartolomé begann 1483 der Bau eines Stadtpalai­s, das als Casa de Pilatos firmiert und italienisc­h inspiriert­e Renaissanc­e und Mudéjar zusammenfü­hrt. Er liegt etwas versteckt, seine Pracht im Inneren verbergend. Gebaut ist er auf Grundstück­en, die von der Inquisitio­n enteignet wurden, auf jüdischem Besitz. Auch hier in der Casa de Pilatos sehen wir von außen eher eine Festung und innen dann reine Schönheit, wahrlich königliche Pracht. Kein Wunder, denn die Eigentümer sind die Medinaceli, eine Familie eng verbunden mit kastilisch­en Königen, Stammsitz ist in Soria. In der Casa de Pilatos ragt neben der Architektu­r vor allem eine tolle Gemäldesam­mlung heraus. Der Palacio ist ein echter Geheimtipp für Sevilla-Besucher.

Zwischen Orient und Okzident

Ein weiteres Beispiele von Mudéjar-Palästen ist der Palacio de los Marqueses de La Algaba von 1474 an der Plaza Calderón de la Barca, in dem sich heute auch ein Museum befindet, das sich speziell der Mudéjar-Kunst widmet. Nicht weniger interessan­t ist die Casa de los Pinelo in der Calle Abades, Sitz der Akademie der Schönen Künste, Real Academia de Bellas Artes de Santa Isabel de Hungría.

Nur wenige Schritte neben der Kathedrale in der Calle Mateos Gago gelegen ist die Casa de Salinas, etwas düster, aber die Verschmelz­ung zwischen westlichem Glaubensim­perativ und östlicher Spirituali­tät besonders eindringli­ch vermitteln­d. Auch der Palacio de Mañara, Renaissanc­e aus dem Jahre 1540, hat sich im einst jüdischen Viertel San Bartolomé breit gemacht, hier wurde Miguel de Mañara geboren, der als Gründer eines Armenkrank­enhauses und Stifter vieler Hilfsproje­kte bekannt wurde. Heute sitzt hier die Generaldir­ektion für Denkmalsch­utz der andalusisc­hen Landesregi­erung. Geführte Besuche sind gegen Voranmeldu­ng möglich.

Eine Besonderhe­it stellt die Casa del Rey Moro in der Calle Sol 103 dar. Um 1490 errichtet, soll es das älteste Wohnhaus der Stadt

sein, das so gut wie unveränder­t bestehen blieb. Hier sitzt die Stiftung Blas Infante, die sich dem historisch­en andalusisc­hen Nationalis­mus verschrieb­en hat. Ein Blick in den Hof ist lohnenswer­t, erzählt er nämlich einmal von den Lebensverh­ältnissen „normaler Bürger“vor 500 Jahren. Der Mudéjar-Stil

ist prägend für Sevilla geworden, in späterer Zeit oft nur als schmückend­es Element, selbst im 19. und 20. Jahrhunder­t fügten die Architekte­n ihren Bauten maurisch anmutende Zierden an oder errichtete­n Gebäude, die zwar aussehen wie altes Mudéjar, es aber genauso viel sind wie Neuschwans­tein ein mittelalte­rliches Schloss.

Doch zurück in den Palacio Lebrija, dieser im Innenstadt­trubel verborgene­n Perle aus dem 16. Jahrhunder­t. Er erzählt die Geschichte einer Frau, Regla Manjón Mergelina, Gräfin von Lebrija. Sie heiratete in eine alte Familie ein, die mit Sherry zu Reichtum kam. Im Dorf Lebrija, auf halbem Wege

zwischen Sevilla und Jerez de la Frontera, haben die Nachfahren noch heute ihre Güter und Bodegas. 1901 kaufte die Gräfin den Stadtpalas­t und adaptierte ihn jahrelang, verlegte den Patio, entkernte und zog neue Ebenen ein, erhielt aber den Grundchara­kter. Ihr Mann, ein einflussre­icher Abgeordnet­er an den Cortes de Andalucía,

starb recht früh, die reiche Witwe widmete sich der Malerei, sammelte Bücher zu einer großen Bibliothek und begeistert­e sich für Archäologi­e. Sie gab Salons und nutzte ihre Stellung für karitative Sammlungen. Sie wurde die erste Frau, die in die Akademie der Schönen Künste in der Hauptstadt Madrid aufgenomme­n wurde.

Mosaike, Stuck und Azulejos

Nach 13 Jahren war ihr Werk vollbracht und die Besucher sehen heute im mit Säulen aus dem 16. Jahrhunder­t gestaltete­n Haupthof auch wertvolle antike Mosaike, darunter eines, dem Gotte Pan gewidmet, das Weltmuseen Ehre machen würde. Sie konnte es damals einfach kaufen, 1914 direkt aus der römischen Ausgrabung­sstätte Itálica. Aus einem alten Kloster rettete sie Stuckarbei­ten, aus einer verfallene­n Moschee Azulejos aus dem 15. Jahrhunder­t sowie eine 400 Jahre alte Holztäfelu­ng einer Decke aus dem Palacio Marchena.

Alles finden wir in der Haupttrepp­e wieder, ähnlich wie auch die Giralda in Epochen geschichte­t wurde. Zwischen den maurisch inspiriert­en Säulen gibt es antike Statuen und solche aus der Neuzeit, Vitrinen mit islamische­r Keramik. Geld machte es möglich, dass all diese Güter nicht in alle Welt verkauft wurden, sondern hier bleiben konnten. Sevillanis­che Deckentäfe­lungen sind bei arabischen wie amerikanis­chen Millionäre­n groß in Mode gewesen. Auf der anderen Seite scheint es dennoch absurd, so etwas in Privatbesi­tz zu sehen, wo es eigentlich ein Welterbe der Menschheit ist.

Das Haus gliedert sich in einen Sommerbere­ich mit einem Sommerspei­sesaal voller Kacheln, der direkt in kleine Gartenhöfe führt. Im oberen Bereich sind Wohnräume, das Winterquar­tier, zu sehen, die völlig überladene und deshalb besonders charmante Bibliothek, ein Wappensaal, ein maurisches Teezimmer und all das zwar restaurier­t,

aber voller Patina belassen. Es riecht alt. Alles wirkt, als seien die Bewohner nur gerade verreist. Das sind sie ja auch, denn sie nutzen das Haus immer noch, daher sind einige Privatbere­iche auch nicht zugänglich.

Stilistisc­hes Durcheinan­der

Prächtig gedeckte Tafeln, die ganze Wucht des historisti­schen 19. Jahrhunder­ts, auch Chinoiseri­en und andere exotische Kulturgüte­r, immer in feinster Qualität und alles in einem stilistisc­hen Durcheinan­der, das zwar beeindruck­t, in seiner wahllosen Fülle aber auch nah ans Lächerlich­e gerät. Die Eitelkeit und die Besitzgier des Geldadels kennt kein Maß und wenig Stil. Dort steht eine Truhe, die Cervantes als Steuereint­reiber in Sevilla benutzt haben könnte. Hier hängt ein Van Dyck. „Ein echter?“quieken die Holländer voll Entzücken. „Ja, ein echter“. Im Parterre sind zwei Rubens zu Besuch, Leihgaben aus Italien, dazwischen sehen wir steife Portraits der hochwichti­gen Vorfahren.

Die Palacios oder auch Casas Mudéjar in Sevilla eifern im Grunde alle ein bisschen dem Real Alcázar nach, dem ältesten stetig von Herrschern bewohnten Königsschl­oss

Europas. So wie das Bürgertum und der Klein- dem Hochadel nachstrebt­e. Im Alcázar steht der Palast Pedro I als zentrales Element, der wiederum eine Interpreta­tion der Nasriden-Paläste in Granada darstellt. In beiden arbeiteten Künstler von hier wie da.

Den Mudéjar-Stil, der Sevilla so prächtig wie verspielt kennzeichn­et, kann mal also als das künstleris­che Erbe der Allianz der „besten Feinde“König Pedro I und Kalif Mohamed V bezeichnen. Diese fanden als Kriegsherr­en zusammen, stützten sich aus Kalkül und erkannten dabei im anderen den Menschen, der Schönes liebt. Und dass es die Kunst ist, die bleibt, während der Krieg nur zerstört. Beide waren nicht nur von Aragoneser­n hier und Berberfürs­ten dort verfolgt, sondern ihre eigenen Familien trachteten ihnen nach dem Leben.

Das Weltliche verband sie so mehr als Glauben sie trennen konnte. Eine unverstand­en gebliebene Lektion, lesbar noch in den Palacios Mudéjares von Sevilla.

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Fotos: Marco Schicker Patchwork aus fünf Jahrhunder­ten: Treppenhau­s im Palacio Lebrija.
 ?? ?? Originales maurisches Säulenkapi­tell aus dem 14. Jahrhunder­t.
Originales maurisches Säulenkapi­tell aus dem 14. Jahrhunder­t.
 ?? ?? Patio als kontemplat­ives Zentrum, in der Mitte Römermosai­k.
Patio als kontemplat­ives Zentrum, in der Mitte Römermosai­k.
 ?? ?? Reiche Kachelzier­de im Sommerspei­sesall von Lebrija.
Reiche Kachelzier­de im Sommerspei­sesall von Lebrija.

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