Kaum bekannter Schatz
Andalusische Seele in Stein gehauen: Besuch und eine Lektion in oft übersehenen Mudéjar-Palästen Sevillas
Es sind nicht nur die Touristen, die an dem Gebäude vorbei stürmen. „Viele Sevillaner sagen mir, dass sie zum ersten Mal von dem Palacio gehört hätten“, sagt die junge Kunsthistorikerin, die heute drei Niederländer und einen CN-Redakteur durch den Palacio Lebrija führt. Die Renaissance-Fassade des Bauwerks, im typischen Goldgelb und Purpur Sevillas in der Calle Cuna, geht fast unter zwischen Mode- und Souvenirläden, Bars und Flamenco-Theatern der endlosen Altstadtgässchen.
Vielleicht ist es die Reizüberflutung, die Touristen überanstrengt oder sind es die zwölf Euro Eintritt, die viele abschrecken, denn für das Geld kommt man bereits in die Kathedrale und das nahegelegene, prachtvolle Museum der Schönen Künste lädt sogar zum kostenlosen Besuch ein. Doch die Mudéjar-Palais Sevillas spiegeln Geschichte und Ästhetik der Stadt besonders lebensnah wider, auch weil viele noch bewohnt, zumindest aber benutzt sind.
Sorglose Mixtur der Baustile
Mudéjar ist ein Hybridstil, zwischen Gotik, Renaissance, maurischer Bau- und Ausstattungskunst und Lebensphilosophie, adaptiert vom andalusischen Folklorismus mit seinen Elementen spielend und in gewisser Weise zeitlos. Ein Albtraum für Architekturprofessoren also. Er hatte seine Blüte als architektonisches Scharnier zwischen Orient und Okzident, als im 15. und 16. Jahrhundert Sevilla eine der bedeutendsten und größten Städte der Welt wurde, doch zieht sich dieser Stil so sorglos wie farbenfroh durch die Jahrhunderte und blieb der bauliche Ausdruck der andalusischen Seele.
Man nimmt auf, was man mag und was einem gut tut, egal wo es herkommt und egal, ob man anderswo darüber lacht. Diese Lebensleichtigkeit des Andalusischen finden wir nicht nur im Mudéjar, sondern auch in ihrem Dialekt, im Flamenco, in der Küche.
Eines der prächtigsten Beispiele der Mudéjar-Architektur in Sevilla ist der Palacio de Las Dueñas, im 15. und 16. Jahrhundert auf
Klostermauern erbaut, gehört er seit langem zum Hause Alba, also einer der reichsten Adelsfamilien Europas. Zunächst begrüßt einen etwas reserviert eine berankte Fassade, die eher an den Eingang zu einem Kloster erinnert, als an einen Palast. Doch im Inneren – ganz nach maurischer Lebensart – entfaltet sich die Pracht in einem
Patio mit zweistöckigen Säulengängen mit ihren typischen Rundbögen, den unendlich reichen Stuckarbeiten, Azulejos aus vier Jahrhunderten, in der Mitte natürlich ein Wasserspiel und überall Palmen, Orangen, Blüten als natürliche Elemente, ohne die diese Architektur nicht vollständig wäre.
In den Pracht- und Wohnräumen
eklektizistischer Reichtum in Mobiliar, Vitrinen und an Wänden, mit Hinweisen auf den Charakter der Bewohner. Bei den Albas muss es von allem und viel sein. Mehr Adel als edel. Im 19. Jahrhundert – Erste Republik – wurden die Räume geteilt und zu Wohnungen umfunktioniert, der Dichter Antonio Machado verlebte hier seine Kindheit. Heute strahlt, auch Dank der Eintrittsgelder der Touristen, alles wieder in alter Pracht.
Im Viertel San Bartolomé begann 1483 der Bau eines Stadtpalais, das als Casa de Pilatos firmiert und italienisch inspirierte Renaissance und Mudéjar zusammenführt. Er liegt etwas versteckt, seine Pracht im Inneren verbergend. Gebaut ist er auf Grundstücken, die von der Inquisition enteignet wurden, auf jüdischem Besitz. Auch hier in der Casa de Pilatos sehen wir von außen eher eine Festung und innen dann reine Schönheit, wahrlich königliche Pracht. Kein Wunder, denn die Eigentümer sind die Medinaceli, eine Familie eng verbunden mit kastilischen Königen, Stammsitz ist in Soria. In der Casa de Pilatos ragt neben der Architektur vor allem eine tolle Gemäldesammlung heraus. Der Palacio ist ein echter Geheimtipp für Sevilla-Besucher.
Zwischen Orient und Okzident
Ein weiteres Beispiele von Mudéjar-Palästen ist der Palacio de los Marqueses de La Algaba von 1474 an der Plaza Calderón de la Barca, in dem sich heute auch ein Museum befindet, das sich speziell der Mudéjar-Kunst widmet. Nicht weniger interessant ist die Casa de los Pinelo in der Calle Abades, Sitz der Akademie der Schönen Künste, Real Academia de Bellas Artes de Santa Isabel de Hungría.
Nur wenige Schritte neben der Kathedrale in der Calle Mateos Gago gelegen ist die Casa de Salinas, etwas düster, aber die Verschmelzung zwischen westlichem Glaubensimperativ und östlicher Spiritualität besonders eindringlich vermittelnd. Auch der Palacio de Mañara, Renaissance aus dem Jahre 1540, hat sich im einst jüdischen Viertel San Bartolomé breit gemacht, hier wurde Miguel de Mañara geboren, der als Gründer eines Armenkrankenhauses und Stifter vieler Hilfsprojekte bekannt wurde. Heute sitzt hier die Generaldirektion für Denkmalschutz der andalusischen Landesregierung. Geführte Besuche sind gegen Voranmeldung möglich.
Eine Besonderheit stellt die Casa del Rey Moro in der Calle Sol 103 dar. Um 1490 errichtet, soll es das älteste Wohnhaus der Stadt
sein, das so gut wie unverändert bestehen blieb. Hier sitzt die Stiftung Blas Infante, die sich dem historischen andalusischen Nationalismus verschrieben hat. Ein Blick in den Hof ist lohnenswert, erzählt er nämlich einmal von den Lebensverhältnissen „normaler Bürger“vor 500 Jahren. Der Mudéjar-Stil
ist prägend für Sevilla geworden, in späterer Zeit oft nur als schmückendes Element, selbst im 19. und 20. Jahrhundert fügten die Architekten ihren Bauten maurisch anmutende Zierden an oder errichteten Gebäude, die zwar aussehen wie altes Mudéjar, es aber genauso viel sind wie Neuschwanstein ein mittelalterliches Schloss.
Doch zurück in den Palacio Lebrija, dieser im Innenstadttrubel verborgenen Perle aus dem 16. Jahrhundert. Er erzählt die Geschichte einer Frau, Regla Manjón Mergelina, Gräfin von Lebrija. Sie heiratete in eine alte Familie ein, die mit Sherry zu Reichtum kam. Im Dorf Lebrija, auf halbem Wege
zwischen Sevilla und Jerez de la Frontera, haben die Nachfahren noch heute ihre Güter und Bodegas. 1901 kaufte die Gräfin den Stadtpalast und adaptierte ihn jahrelang, verlegte den Patio, entkernte und zog neue Ebenen ein, erhielt aber den Grundcharakter. Ihr Mann, ein einflussreicher Abgeordneter an den Cortes de Andalucía,
starb recht früh, die reiche Witwe widmete sich der Malerei, sammelte Bücher zu einer großen Bibliothek und begeisterte sich für Archäologie. Sie gab Salons und nutzte ihre Stellung für karitative Sammlungen. Sie wurde die erste Frau, die in die Akademie der Schönen Künste in der Hauptstadt Madrid aufgenommen wurde.
Mosaike, Stuck und Azulejos
Nach 13 Jahren war ihr Werk vollbracht und die Besucher sehen heute im mit Säulen aus dem 16. Jahrhundert gestalteten Haupthof auch wertvolle antike Mosaike, darunter eines, dem Gotte Pan gewidmet, das Weltmuseen Ehre machen würde. Sie konnte es damals einfach kaufen, 1914 direkt aus der römischen Ausgrabungsstätte Itálica. Aus einem alten Kloster rettete sie Stuckarbeiten, aus einer verfallenen Moschee Azulejos aus dem 15. Jahrhundert sowie eine 400 Jahre alte Holztäfelung einer Decke aus dem Palacio Marchena.
Alles finden wir in der Haupttreppe wieder, ähnlich wie auch die Giralda in Epochen geschichtet wurde. Zwischen den maurisch inspirierten Säulen gibt es antike Statuen und solche aus der Neuzeit, Vitrinen mit islamischer Keramik. Geld machte es möglich, dass all diese Güter nicht in alle Welt verkauft wurden, sondern hier bleiben konnten. Sevillanische Deckentäfelungen sind bei arabischen wie amerikanischen Millionären groß in Mode gewesen. Auf der anderen Seite scheint es dennoch absurd, so etwas in Privatbesitz zu sehen, wo es eigentlich ein Welterbe der Menschheit ist.
Das Haus gliedert sich in einen Sommerbereich mit einem Sommerspeisesaal voller Kacheln, der direkt in kleine Gartenhöfe führt. Im oberen Bereich sind Wohnräume, das Winterquartier, zu sehen, die völlig überladene und deshalb besonders charmante Bibliothek, ein Wappensaal, ein maurisches Teezimmer und all das zwar restauriert,
aber voller Patina belassen. Es riecht alt. Alles wirkt, als seien die Bewohner nur gerade verreist. Das sind sie ja auch, denn sie nutzen das Haus immer noch, daher sind einige Privatbereiche auch nicht zugänglich.
Stilistisches Durcheinander
Prächtig gedeckte Tafeln, die ganze Wucht des historistischen 19. Jahrhunderts, auch Chinoiserien und andere exotische Kulturgüter, immer in feinster Qualität und alles in einem stilistischen Durcheinander, das zwar beeindruckt, in seiner wahllosen Fülle aber auch nah ans Lächerliche gerät. Die Eitelkeit und die Besitzgier des Geldadels kennt kein Maß und wenig Stil. Dort steht eine Truhe, die Cervantes als Steuereintreiber in Sevilla benutzt haben könnte. Hier hängt ein Van Dyck. „Ein echter?“quieken die Holländer voll Entzücken. „Ja, ein echter“. Im Parterre sind zwei Rubens zu Besuch, Leihgaben aus Italien, dazwischen sehen wir steife Portraits der hochwichtigen Vorfahren.
Die Palacios oder auch Casas Mudéjar in Sevilla eifern im Grunde alle ein bisschen dem Real Alcázar nach, dem ältesten stetig von Herrschern bewohnten Königsschloss
Europas. So wie das Bürgertum und der Klein- dem Hochadel nachstrebte. Im Alcázar steht der Palast Pedro I als zentrales Element, der wiederum eine Interpretation der Nasriden-Paläste in Granada darstellt. In beiden arbeiteten Künstler von hier wie da.
Den Mudéjar-Stil, der Sevilla so prächtig wie verspielt kennzeichnet, kann mal also als das künstlerische Erbe der Allianz der „besten Feinde“König Pedro I und Kalif Mohamed V bezeichnen. Diese fanden als Kriegsherren zusammen, stützten sich aus Kalkül und erkannten dabei im anderen den Menschen, der Schönes liebt. Und dass es die Kunst ist, die bleibt, während der Krieg nur zerstört. Beide waren nicht nur von Aragonesern hier und Berberfürsten dort verfolgt, sondern ihre eigenen Familien trachteten ihnen nach dem Leben.
Das Weltliche verband sie so mehr als Glauben sie trennen konnte. Eine unverstanden gebliebene Lektion, lesbar noch in den Palacios Mudéjares von Sevilla.