Die Verlassenen proben den Aufstand
Bewohner einer Seniorenresidenz in Alarcón prangern „unmenschliche“Zustände an
Madrid – sk. Man sollte meinen, die Politik hätte aus der Corona-Pandemie zumindest eine Lehre ziehen müssen: dass ein gut aufgestelltes Sozial- und Gesundheitswesen unerlässlich ist. Dem ist scheinbar nicht so. Wieder sorgt ausgerechnet die Region Madrid für Negativschlagzeilen.
Derzeit schließt Spanien die Abandonados ins Herz, das Wort steht für die Verlassenen. Jüngst sind damit die Bewohner einer Seniorenresidenz in Pozuelo de Alarcón gemeint, die den Aufstand proben. Weil sie sich vernachlässigt fühlen, ihre Angehörigen bei sonntäglichen Besuchen feststellten, dass den Senioren weder Frühstück gebracht, noch die Möglichkeit einer Dusche gewährt wurde. Nur wussten die 200 Bewohner nicht so recht, wie sie ihren Frust kanalisieren sollten, ihre Angehörigen wohl. Über die Presse. Das hat den Bürgermeister, Jesús Santos (Podemos), auf den Plan gerufen, der sich in der von der Landesregierung geführten Einrichtung für 218 Personen umsah und aufnahm, was ihm Pfleger so ins Mikrofon posaunten.
„Wir haben keine Zeit mehr, sie zu duschen und zu waschen, und deswegen müssen sie in ihren Betten frühstücken, die voller Urin und Stuhlgang sein können“, sagte eine Angestellte. Es ist eigentlich nicht nur ein Aufstand der Bewohner, es ist auch ein Hilferuf der Pfleger. Denn um einen Flügel mit 40 Bewohnern kümmern sich oft nur drei Pflegekräfte. „Die Verantwortlichen haben vergessen, dass wir hier mit Menschen arbeiten“, sagte eine Pflegekraft. Hinzu kommt, dass offensichtlich in der
Residenz nur zwei ausgebildete Krankenpfleger tätig sind. Obendrein gelten viele Geräte, etwa die zum Heben von Pflegebedürftigen, als verschlissen. Und die Qualität des Essens genießt einen unterirdischen Ruf. „Es ist unmenschlich und ich mache dafür keinen der Pflegekräfte verantwortlich“sagte der 82-jährige Alberto Nieto, der mit seiner Frau dort wohnt.
Es ist nicht das erste Mal, dass diese Seniorenresidenz von Alarcón in die Schlagzeilen gerät. Mehrmals wurde Anzeige erstattet, weil Angehörige vermuteten, dass Bewohner aus rätselhaften Gründen verstarben. Während der Corona-Pandemie zählte das Altenheim zu den Einrichtungen, die am meisten Todesfälle verzeichnete. 64 Bewohner verstarben. „All das hört sich wie ein Horrorfilm an“, sagte Bürgermeister Jesús Santos. Die Landesregierung hält diesem „Einzelfall“entgegen, dass der
Etat für Seniorenresidenzen um 18 Prozent auf über eine Milliarde Euro aufgestockt wurde.
Angesichts der sich überstürzenden Ereignisse im Gesundheitswesen kann man aber kaum von einem Einzelfall reden. Die Mitarbeiter der Erstversorgung in der Region Madrid haben für den 25. Oktober einen unbefristeten Streik ausgerufen. Die Gewerkschaften sprechen von katastrophalen Zuständen.
Daraufhin reichte die Verantwortliche für die medizinische Erstversorgung, Sonia Martínez Machuca, „aus medizinischen und persönlichen Gründen“ihren Rücktritt ein der sechste Abtritt seit Juli in der Führungsriege des Madrider Gesundheitswesens. Und nur der Volkszorn konnte Präsidentin Isabel Díaz Ayuso von ihrem Vorhaben abbringen, nur 17 der 34 Notaufnahmen in Gesundheitszentren zu öffnen und davon sieben ohne Arzt.
„Die Verantwortlichen vergessen, dass wir mit Menschen arbeiten.“