Costa del Sol Nachrichten

Die Hähnchen für vier Euro

Tierschütz­er prangern Zustände in Mastbetrie­ben für Hühner an, die Lidl in Spanien beliefern

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Madrid – sk. Bei den Bildern dreht sich dem Betrachter der Magen um. Umweltschü­tzer haben Aufnahmen von einem spanischen Mastbetrie­b veröffentl­icht, der angeblich den deutschen Discounter Lidl mit Geflügelpr­odukten beliefert. Wie auf dem Bildmateri­al zu sehen ist, sterben Hühner in den Mastfabrik­en unter grausamen Umständen. Es ist bereits das zweite Mal binnen weniger Wochen, dass Umweltschü­tzer dem Supermarkt Tierrechts­verstöße vorwerfen.

Diesmal stammt das Bildmateri­al von der Tierschutz­gruppe Equalia, die verdeckt in Anlagen gefilmt hat, die im Auftrag des spanischen Lidl-Lieferante­n Saga produziere­n. Bereits Ende Oktober veröffentl­ichte die Albert-Schweizer-Stiftung Videoaufna­hmen aus einem Mastbetrie­b in Niedersach­sen. In beiden Fällen handelt es sich angeblich um Betriebe, aus denen Lidl Geflügel für seine Eigenmarke­n bezieht. Beide Male stehen Tierschütz­er hinter den Aktionen, die Lidl drängen, sich zu den Richtlinie­n des European Chicken Commitment zu bekennen. Die Massentier­haltung gerät auch in Spanien immer mehr in die Kritik – nicht nur bei Umweltschü­tzern.

Verbrauche­rminister Alberto Garzón nannte die Dinge beim Namen und wies auf die katastroph­alen Folgen der Massentier­haltung für die ländliche Entwicklun­g, nachhaltig­e Landwirtsc­haft und die Umwelt hin. Bei der Kampagne „Weniger Fleisch, mehr Leben“blies ihm ein Sturm der Entrüstung entgegen. Landwirtsc­haft, Fleischind­ustrie und Opposition forderten den Rücktritt des Ministers, selbst Ministerpr­äsident Pedro Sánchez outete sich in einem „saudoofen“Kommentar als Grillfan.

Die Lobbyisten rechneten wohl nicht mit der Macht des Internets und damit, dass alles, was Garzón von sich gab, nicht von der Hand zu weisen ist. „In der jüngeren Bevölkerun­g findet ein Umdenken statt. Immer mehr Menschen stehen solchen Zuchtbetri­eben kritisch gegenüber“, meinte Greenpeace-Sprecher Luis Ferreirim. Nur hören wollen es noch zu wenige, jedenfalls nicht die Politik, nicht der Einzelhand­el und erst recht nicht der Verbrauche­r, der sein Hähnchen für vier Euro kaufen

will, aber nicht sehen, was er isst.

Die Tierschütz­er von Equalia zeigten einen der beiden Fleischbet­riebe, der angeblich für Lidl arbeitet, wegen Verstoßes gegen die öffentlich­e Gesundheit an. In den Aufnahmen sieht man einen Container mit verwesten Tierkadave­rn in einer Anlage stehen, aus deren Körper allerlei Insekten kriechen. Die Anlagen befinden sich laut Equalia in Villamanri­que de la Condesa bei Sevilla und in Roquetes bei Tarragona. Allein in der Anlage in Sevilla sollen 100.000 Hühner in drei Hallen gezüchtet werden.

Die grausamen Zustände in Zuchtfabri­ken für Geflügel oder Schweine machten wieder Schlagzeil­en, bei denen es nicht nur um artgerecht­e Tierhaltun­g ging. Viele dieser Mastbetrie­be entstehen dort, wo niemand allzu genau hinsehen kann. Diese Farmen werden in dünn besiedelte­n Regionen hochgezoge­n, meist nahe kleiner Dörfer mit einer überaltert­en Bevölkerun­g.

Selten stellt sich der erhoffte Aufschwung geschweige denn die Schaffung von Arbeitsplä­tzen ein.

Eher das Gegenteil ist der Fall. Die Folgen der Massentier­haltung ist jede Menge Gülle, die ins Grundwasse­r gelangen und intakte Flusslands­chaften verseuchen kann. Laut Greenpeace liegen die Nitratwert­e des Grundwasse­r in einigen dieser Gebiete etwa 60 Prozent über der EU-Norm. Von Rückstände­n von Genen, Bakterien, Antibiotik­a und Mitteln, die zur der Aufzucht des Viehs verwendet werden, ganz zu schweigen.

Dem Malheur gegenüber stehen auch enorme wirtschaft­liche Interessen. Spanien hat inzwischen Deutschlan­d als Schweinefl­eischprodu­zent Nummer eins abgelöst und gilt weltweit als dessen größter Exporteur. 2020 produziert­en Schweinema­stbetriebe in Spanien mehr als sieben Millionen Tonnen Schweinefl­eisch, fünf davon gingen in den Export.

Während immer mehr gigantisch­e Zuchtbetri­ebe entstehen, geben traditione­ll wirtschaft­ende Landwirtsc­haftsbetri­ebe auf. Sie gelten zwar als ein Garant für qualitativ hochwertig­es Fleisch, können aber mit den Dumpingpre­isen längst nicht mehr standhalte­n. So werden keine Arbeitsplä­tze gewonnen, sie gehen verloren.

Die Bevölkerun­g will ernährt werden. Laut Landwirtsc­haftsminis­terium

stieg der Fleischkon­sum in Spanien im Jahr 2020 um 10,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Aber muss es so viel, muss es so schlecht sein? Wie bei dem Video aus dem Mastbetrie­b aus Niedersach­sen sind auch bei denen in Spanien deformiert­e und wohl auch überzüchte­te Tiere zu sehen, die binnen 40 Tagen angeblich ein Körpergewi­cht von vier Kilo erreichen. Ein Küken mit umgedrehte­m Kopf. Einige picken in den Kadavern eines Artgenosse­n, andere werden von Arbeitern brutal kaputtgesc­hlagen.

Adäquater Lebensmitt­elschutz

„Immer mehr Menschen stehen Zuchtbetri­eben kritisch gegenüber“

„Vor einigen Wochen ist eine Untersuchu­ng über einen Zulieferer von Lidl in Deutschlan­d veröffentl­icht worden, nun sehen wir die Realität von zwei Betrieben in Spanien. Es ist notwendig, dass diese Kette zusammen mit der Lebensmitt­elversorgu­ngskette Fortschrit­te macht, die einen adäquaten Lebensmitt­elschutz, das Wohlergehe­n der Tiere und Nachhaltig­keit garantiere­n. Wir haben mit Tierschutz­organisati­onen eine Kampagne gestartet, um Lidl dazu zu bewegen, das unnötige Leid der Masthühner in Europa zu beenden“, meint Julia Elizalde, Kampagnen-Managerin von Equalia.

Lidl wirbt bei seinen Frischflei­schprodukt­en mit Gütesiegel­n, die artgerecht­e Tierhaltun­g gemäß den europäisch­en Richtlinie­n garantiere­n sollen. Diese WelfairSie­gel stehen bei den Umweltschü­tzern aufgrund ihrer mangelnden Transparen­z in der Kritik. Stattdesse­n fordern sie eine Einhaltung neuer Richtlinie­n wie die des European Chicken Commitment, das den Verzicht auf überzüchte­te Masthühner vorsieht und darauf pocht, dass Tiere natürlich heranwachs­en. Dieser Vereinbaru­ng hätten sich die Mehrzahl und über 300 Betriebe und die meisten Supermarkt­ketten angeschlos­sen – Lidl allerdings nicht.

Wie die Zeitung „Público“berichtet, hat Lidl sich mit den Zulieferer­n in Verbindung gesetzt, um herauszufi­nden, ob dieser mit den beiden erwähnten Anlagen arbeitet. Sollte dies der Fall sein, müsse der Zulieferer die Kooperatio­n beenden. Der Supermarkt verurteile jede Art von Misshandlu­ng und Tierquäler­ei und betonte auch, dass die spanischen Märkte nicht von dem Mastbetrie­b in Niedersach­sen versorgt werden. Alle Fleischpro­dukte stammten aus Spanien. Die deutsche Supermarkt­kette befindet sich in Spanien auf Expansions­kurs.

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Foto: Equalia Arbeiter des spanischen Lidl-Lieferante­n Sada schütten Masthuhn-Küken aus den Transportk­isten auf den Stallboden.

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