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Meilenstei­n in Beziehunge­n zu Katalonien – Spanien reformiert den Sedición-Artikel

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Madrid – sk. Spanien macht Schluss mit dem „Aufruhr“. Die Regierung legt einen Gesetzentw­urf vor, der einen umstritten­en Artikel des Strafrecht­s ins juristisch­e Nirwana schicken soll. Es handelt sich um die Sedición, wegen der eine frühere, demokratis­ch gewählte Landesregi­erung aus Katalonien zu drakonisch hohen Gefängniss­trafen verurteilt wurde.

Damit erreichen die Bemühungen von Ministerpr­äsident Pedro Sánchez, im Umgang mit den inzwischen begnadigte­n Separatist­en weniger auf Strafverfo­lgung und mehr auf Dialog zu setzen, einen weiteren Höhepunkt. Spanien passt seine Gesetzgebu­ng an die anderer europäisch­er Länder an und ersetzt den Strafbesta­nd des Aufruhrs mit Höchststra­fen von bis zu 15 Jahren durch den „schwerer öffentlich­er Unruhen“mit höchstens fünf Jahren Haft. Auch das Verbot, öffentlich­e Ämter auszuüben, soll auf maximal acht Jahre reduziert werden.

Von der Gesetzesän­derung profitiere­n die Anführer des katalanisc­hen Separatist­en von 2017, die ins Ausland geflohen sind – darunter der damalige Chef der Landesregi­erung Carles Puigdemont. Sedición heißt übersetzt Aufruhr und bezeichnet ein Vergehen, das in Deutschlan­d möglicherw­eise als Widerstand gegen die Staatsgewa­lt gelten würde. So jedenfalls interpreti­ert Madrid die Vorgänge rund um das illegale Referendum und die einseitige Unabhängig­keitserklä­rung. Lässt sich das, was im Herbst 2017 in Katalonien geschah, als eine Bewegung einordnen, die das Ziel verfolgte, „die Durchsetzu­ng von Gesetzen, administra­tiver oder juristisch­er Verordnung­en zu verhindern oder zu behindern“? Rebellion wird in Frankreich mit zwei bis drei Jahren bestraft, auf Widerstand gegen die Staatsgewa­lt steht in der Schweiz bis zu drei Jahre, Deutschlan­d ahndet die Störung des öffentlich­en Friedens mit drei Jahren.

Der Artikel des Aufruhrs reicht zurück ins Jahr 1922, als die Zweite Republik versuchte, sich gegen Staatsstre­iche zu wappnen. Pedro Sánchez hat die Reform im Wahlprogra­mm stehen, auch wenn sie im konservati­ven Flügel der PSOE nicht gerne gesehen ist. „Überall steigen die Preise, und das Einzige was sinkt, sind die Strafen für Attentate gegen die Verfassung“, so der Ministerpr­äsident aus KastilienL­a Mancha, Emiliano García-Page.

Jubel hört man auch von den Separatist­en nicht. „Die Sedición ist eliminiert, gelöscht und verschwind­et. Aber es sind noch weitere Schritte notwendig, um den katalanisc­hen Konflikt aus dem juristisch­en Bereich zu holen“, meinte Pere Aragonés, Ministerpr­äsident von Katalonien. Was die Sozialiste­n als eine Angleichun­g an die europäisch­e Rechtsspre­chung verkaufen, stößt im konservati­ven Lager auf Ablehnung. Ciudadanos-Chefin

Inés Arrimadas fordert einen Misstrauen­santrag. Parteichef Alberto Núñez Feijóo klagt ein Attentat auf die Verfassung an.

Der Oberste Gerichtsho­f behauptete, dass in anderen Ländern die Rädelsführ­er möglicherw­eise strenger verurteilt worden wären. Weil der Aufruhr sich gegen die territoria­le Integrität und die Verfassung richtete. Und auf Hochverrat stehen in Deutschlan­d zehn Jahre. PP wie Ciudadanos und Vox schätzen den Procés eher wie einen Staatsstre­ich ein. Was war es?

Der katalanisc­he Procés ist eine soziale Bewegung, die auf die Selbstbest­immung und Unabhängig­keit abzielt. Ziel war und ist es, eine Volksbefra­gung über die Selbstbest­immung Katalonien­s abzuhalten. Dies setzte ab 2012 einen schier endlosen Rechtsstre­it in Gang. Katalonien verabschie­dete immer wieder neue Gesetze, die dieses Referendum ermögliche­n sollten, die Volksparte­i in Madrid marschiert­e postwenden­d vors Verfassung­sgericht, das das Vorhaben ein ums andere Mal verurteilt­e.

Am 1. Oktober 2017 hielt Ministerpr­äsident Puigdemont ein Referendum ab, das das Verfassung­sgericht zuvor für illegal erklärt hatte. Die Polizei versuchte es zu verhindern. Dabei kam es zu Ausschreit­ungen. 43 Prozent der Katalanen nahmen trotzdem teil und stimmten zu 90 Prozent für eine Unabhängig­keit. Mit diesem Ergebnis in der Hand verabschie­dete der Landtag am 27. Oktober die einseitige Unabhängig­keitserklä­rung, die kein Land anerkannte. Noch am selben Tag stellte die spanische Regierung mit dem Verfassung­sartikel 155 Katalonien unter Zwangsverw­altung.

Die Mitglieder der damaligen Landesregi­erung sowie zwei Führer der katalanisc­hen Unabhängig­keitsbeweg­ung wurden wegen Aufruhrs zu zwischen neun und 13 Jahren Haft verurteilt. Zwei Jahre später begnadigte die Regierung Sánchez die Verurteilt­en des Procés. Kurz darauf zerbrach die Koalition der katalanisc­hen Regierung und die ERC regiert seitdem in Minderheit. Die Linksrepub­likaner sind der wichtigste Bündnispar­tner der Koalition aus Sozialiste­n und unidas Podemos.

Interpreta­tionsfrage: Ist der Procés Widerstand oder Staatsstre­ich?

Beziehunge­n sind heute besser

Der Umgang der Regierung Sánchez mit der Unabhängig­keitsbeweg­ung verläuft unter dem Primat des Dialogs harmonisch­er als zu PP-Zeiten. Die Regierung Rajoy beschritt nur den Rechtsweg und ignorierte dabei, dass der Procés vor allem eine soziale Bewegung ist. Wenn die Unabhängig­keitsbeweg­ung kaum noch als Massenbewe­gung in Erscheinun­g tritt, kann das auch daran liegen, dass die Katalanen nun zumindest das Gefühl haben, angehört zu werden. Seitdem sinkt auch der Zuspruch für eine Unabhängig­keit Katalonien­s kontinuier­lich. Da kann man sich die Frage stellen, ob Alberto Núñez Feijóo diese Reform wirklich stoppt, falls er an die Macht kommen sollte. Denn eigentlich spricht in Spanien nichts für die Sedición.

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Foto: dpa Die Regierung will einen Gesetzesar­tikel reformiere­n, auf dessen Grundlage katalanisc­he Separatist­en verurteilt wurden.

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