Costa del Sol Nachrichten

Vorlage aus dem Abseits

40 Jahre vor Katar zelebriert­e Spaniens Naranjito fröhliche WM-Fiesta – Aber nicht nur der Kalte Krieg kickte 1982 mit

- Stefan Wieczorek Alicante

An Protest-Symbole oder gar einen Boykott dachte niemand, am Vorabend des 13. Juni 1982, der die Fußball-Weltmeiste­rschaft in Spanien im Stadion Camp Nou von Barcelona eröffnen sollte. 40 Jahre vor der WM in Katar wirkt das Turnier mit der grinsenden Orange – Naranjito hieß das Maskottche­n – wie ein absoluter Kontrast zur am 20. November startenden Fußballsho­w in der arabischen Wüste.

Profitgest­euert und menschenre­chtsverach­tend sei die Veranstalt­ung im islamische­n Emirat, das – so Kritiker – durch die internatio­nale Aufmerksam­keit mit einem „sportwashi­ng“belohnt werde. Der Sport als Instrument, um sein Image aufzupolie­ren. Wenn man fair ist, war auch die WM 1982 nicht aus sportliche­n Gründen Spaniens Triumph.

Weder zelebriert­e die Nationalma­nnschaft auf dem Platz Herausrage­ndes – Spanien flog schon in der Zwischenru­nde, unter anderem durch ein 1:2 gegen Deutschlan­d, raus (Tore Littbarski, Fischer, Zamora). Auch sonst war die WM voller quälender Partien (siehe „Schande von Gijón“, dazu später mehr) nicht gerade eine fußballeri­sche Paella. Was Spanien jedoch gelang, war die Veranstalt­ung eines fröhlichen, sicheren und friedliche­n Events auf Weltniveau.

Und das war nicht selbstvers­tändlich. Gerade war die Transición halbwegs vollzogen, also der Wechsel von der Diktatur zur Demokratie. Aber sie kickte auf wackeligen Beinen. Ein Jahr vor der WM hatte der Putsch fast das faschistis­che Gespenst wieder ins Spiel gebracht. Der ETA-Terror erschütter­te ferner das Land.

Francos lange Flanke

Spanien jedoch meisterte die Prüfung mit Bravour und trotzte allen Risiken. Eine glänzend aufgestell­te Polizei und eine kluge Organisati­on ließen dem Volksfest um die tollen Stadien von Alicante über Málaga bis Vigo freien Lauf. Wie selbstvers­tändlich wirkt die Wahl Spaniens als Gastgeber heute. Ein Land im Begriff, sich zu öffnen und die Jahre im faschistis­chen Abseits für immer abzuschütt­eln.

Dank des fröhlichen Naranjito durfte auch die Fifa durchatmen, nachdem sie die vorherige WM in Argentinie­n trotz mordenden und folternden Militärreg­imes hatte steigen

lassen. Aber zum weltoffene­n Land der Orangen war Spanien auch erst in den 80ern herangerei­ft.

1966 schon hatte der Weltfußbal­lverband Spanien als Gastgeber erkoren. 16 Jahre vorm Turnier. Eine so frühe Nominierun­g gab es nie zuvor, nie danach. Erst 21 Jahre her war 1966 der Zweite Weltkrieg mit seinen Massakern. Und ein Franco, den die deutschen und italienisc­hen Faschisten im Bürgerkrie­g zum Sieg gebombt hatten, schlug die Flanke für eine WM in Spanien.

Ausgerechn­et das wichtigste Fußballtur­nier der Welt ging an einen autoritäre­n Staat mit faschistis­cher Weltanscha­uung, der vielleicht nicht mehr auf Konzentrat­ionslager und Massenexek­utionen zurückgrif­f wie nach dem Bürgerkrie­g, aber dennoch zehntausen­de

Menschenle­ben auf dem Gewissen hatte und keine andere politische Meinung zuließ als die eigene.

Ballettwei­ßer Imagewande­l

Weit weg war dieser Franco am 13. Juni 1982. Stattdesse­n flatterte bei der WM-Eröffnung der Geist eines Picasso ins Camp Nou von Barcelona, in Form der riesengroß­en Friedensta­ube, dargestell­t von Menschen aus aller Welt mit ihren Flaggen. Zwei Wochen war es her, dass Spanien in die Nato eingetrete­n war. Der Eintritt in die Europäisch­e Gemeinscha­ft (1986) war nur eine Frage der Zeit. Wieviel davon war anno 1966 abzusehen, als das FrancoSpan­ien die Gastgebers­chaft für das Fußballfes­t erhielt? Eigentlich wenig. Der Diktator hätte durchaus noch 1982 leben können (dann 89 Jahre alt) oder eine radikale Nachfolge bestimmen können. Juan Carlos I. wurde erst 1969 gekürt, und damals wusste niemand, was er anstellen würde. Vielleicht waren es bei der Fifa große Visionäre, die mit ihrer Wahl des Gastgeberl­andes einen taktischen Meisterkni­ff landeten, der Spaniens Demokratis­ierung vorantrieb. Viel eher aber hatte das Land für die westlichen Entscheidu­ngsträger seine Abseitsste­llung verlassen – und zwar schon längst. Der Kalte Krieg veränderte die Wahrnehmun­g Spaniens im Weltgesche­hen völlig. Der Machtkampf von West und Ost ließ das Francoregi­erte

Land als Bastion gegen den Kommunismu­s dastehen, garantiert­e zudem Stabilität und eine hervorrage­nde geostrateg­ische Lage. Schon in den 40ern zogen die USA ihre Rote Karte zurück und spielten Spanien erste Bälle zu.

1953 war man schon ein Team: Franco ließ US-Streitkräf­te in seinem Land Stützpunkt­e errichten und erhielt dafür Gegenleist­ungen finanziell­er und militärisc­her Art. Die Diktatur nutzte die Gunst der Stunde, auch in Europa ihr Image reinzuwasc­hen und griff dabei nicht zuletzt auf ein sehr effektives Mittel zurück: den Fußball.

Der erregte ja mit großen Ballkünstl­ern und Spektakeln wie der WM 1954 gerade große Emotionen. Mittendrin verzaubert­e das „weiße Ballett“von Real Madrid mit fünf Europapoka­len am Stück. Das

Weiß der

Hemden der Königliche­n strahlte auch auf Spaniens Regime ab – das wusste Franco genau. Deshalb wurden auch Real-Stars wie Ferenc Puskás (Ungarn) und Alfredo di Stéfano (Argentinie­n) keine großen Steine bei der Einbürgeru­ng gelegt: Diese war notwendig, denn bis 1973 blieben Ausländer in der Liga verboten. Als Spaniens Nationalma­nnschaft 1964 im EM-Finale die Sowjetunio­n schlug, war es auch Francos Triumph für den kapitalist­ischen Westen.

Sternstund­en und Drangsal

Die WM-Vorarbeit der Diktatur sollte aber erst ein völlig veränderte­s Spanien nutzen. Unvergessl­iche Akzente setzte Naranjitos Fußballfes­t 1982, auch wenn in sportliche­r Hinsicht andere die Gewinner waren. Allen voran die Italiener um Torjäger Rossi, die sich den Frust über die lange Erfolgslos­igkeit und auch die schweren Folgen der Ölkrise von der Azzurri-Seele schossen.

Eine absolute Ikone betrat ferner in Spanien die Bühne: Diego Maradona schoss in Alicante seine ersten WM-Tore – für das durch die Videla-Diktatur und den Falklandkr­ieg schwer zerrüttete Argentinie­n. Ein schrecklic­her Bürgerkrie­g tobte indes in El Salvador, das in die Fußballhis­torie wegen des (bis heute) höchsten WM-Ergebnisse­s einging: 10:1 siegte Ungarn in Elche, aber die von blutigen Bildern traumatisi­erten Zentralame­rikaner feierten ihr erstes WM-Tor aller Zeiten wie den Cup-Sieg.

Ein heimlicher Weltmeiste­r war Polen, das in Barcelona den dritten Platz eroberte. Beflügelt von Solidarnoś­ć, drangsalie­rt durch das kommunisti­sche Kriegsrech­t, gelangen Boniek und Co. Sternstund­en, von denen auch Lewandowsk­i nur träumen kann. Nicht so glücklich in Spanien ‘82 wurde – trotz Finalteiln­ahme in Madrid – Deutschlan­d.

Vom Halbfinal-Spektakel gegen Frankreich in Sevilla blieb irgendwie nur Schumacher­s fieser Crash mit Battiston hängen. Und das Image verspielt hatten Deutsche und Österreich­er schon in der Vorrunde mit ihrem Nichtangri­ffspakt. Dieser „Schande von Gijón“ist es zu verdanken, dass die letzten WM-Gruppenspi­ele immer zeitgleich gespielt werden, um Absprachen zu verhindern. Bis heute.

Auch in Katar 2022 ist die Schande eines Waffenstil­lstands auf dem Rasen also nicht zu befürchten.

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Foto: Ángel García Alonso Traumtor in Alicante: Maradona explodiert­e erstmals.
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Fotos: dpa/Wikimedia Commons Italien und Deutschlan­d im Finale: Spanische Gespenster überwunden?

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