Küste oder Campo?
Die Qual der Wahl – In Spanien auf der Suche nach dem perfekten Altersruhesitz
Diese Diskussion, ob nun an die Küste oder ins Campo, schwappt zur Zeit wieder hoch, auch unter uns Residenten hier: Zum einen, weil die Preise – von Immobilien bis zur Lebenshaltung – an den Küsten höher sind als im Landesinneren, zum anderen, weil bei ansteigendem Meeresspiegel durch Klimawandel Wohnsitze in primera linea de la playa auch nicht als das Wahre für die Zukunft erscheinen. Andererseits ist das Klima in Meeresnähe besser zu ertragen als die Hitze schon zehn Kilometer weiter in Richtung Hinterland.
Seit etlichen Jahren wohnt der Großteil der Menschheit in Städten und nicht mehr wie vorher auf dem Land. In immer größeren urbanen Anhäufungen mit Millionen von Einwohnern, in übereinandergestapelten Behausungen auf engem Raum mit viel Lärm, Gestank, Stau und daraus resultierenden Aggressionen. Auch die Slums nehmen damit zu und die Obdachlosen. Klar, da gibt es auch die Penthäuser, die üppigen Shoppingzentren und ein großes Angebot an Nahverkehrsmitteln. Vor allem ziehen die Menschen der Arbeitsplätze wegen in die Städte, für die sie dann einen oft stundenlangen Weg dahin mit allen möglichen Verkehrsmitteln brauchen.
Für uns Residenten, besonders aber Rentner, trifft das mit den Arbeitsplätzen in der Stadt ja meist nicht mehr zu. Es zeichnet sich seit dem Krieg in der Ukraine und der Energiekrise ein neuer Einwanderungstrend nach Spanien ab. Da es sich meistens nicht um Millionäre handelt – die haben längst ihre Zweit-/Drittvillen oder/und Yachten – zieht es Leute, die den Rotstift ansetzen, gerne jetzt ins Campo. Und nicht nur Aussteiger oder
Selbstversorger mit Gemüsebeet.
Meinen Mann und mich zog es schon der Tiere wegen aufs Land. Allerdings erfordert der Weg zum Status eines Dörflers oder gar Campesinos mehr als nur eine Ortsveränderung. Es kommt vor allem auf die innere Einstellung an. Man sollte wissen, dass man Intimsphäre verliert, aber viel
Nachbarschaftshilfe gewinnt.
Nichts bleibt geheim, aber die Anteilnahme ist wahrhaft echt. Natürlich kann man nachts auf dem Land vergessen, das Auto abzusperren
oder den Schlüsselbund draußen an der Haustür hängen lassen. Keiner unserer Besucher braucht eine komplizierte Wegbeschreibung zu unserem Haus, denn schon am Dorfeingang kann jeder X-Beliebige über unser Wohnhaus Auskunft geben und ob wir überhaupt zuhause sind.
Aber man muss es auch mögen, dass alle 200 Dorfseelen mitkriegen, wenn man wegen eines Infekts zum Centro de Salud muss. Oder dass man nach dem frühmorgendlichen Aufziehen unserer Vorhänge eine Schamfrist von genau sieben Minuten verstreichen lässt, um bei uns zu klingeln und das von der Transportfirma für uns abgegebene Online-Paket zu überreichen.
Doch all dies machen wir wett mit bereitwilliger Befriedigung der dörflichen Neugier und durch einen nicht unerheblichen Unterhaltungswert unsererseits: Sei es durch den Transport einer Doppelbadewanne durch enge Türen, vom ganzen Dorf im Spalier mit fachmännischem Rat begleitet oder durch meinen erst kürzlich erfolgten Sturz vom Pferd beim Galopp über den gegenüberliegenden Hügel. Spätestens bei letzterem Vorkommnis lernt man die dörfliche Nachbarschaftshilfe schätzen:
Während mein Mann die panischen Pferde einfing, fuhr mich der Nachbar von gegenüber zur Klinik. Wir revanchierten uns dafür, indem wir neulich tatkräftig mit anzogen, um eine planschende Ziege aus dem Swimmingpool zu hieven. Sie hatte sich offenbar von der Herde abgesondert und war in Panik geraten. Das alles um halb sechs Uhr in der Früh.
Man muss es auch mögen, dass alle 200 Dorfseelen mitkriegen, wenn man zum Centro de Salud muss
Die Mär von der Ruhe am Land
Wissen Sie, wie laut Natur sein kann? Ich rede jetzt nicht von den mindestens 200 Fröschen, die wir mit unserem Natur-Schwimmteich anlockten. Auf dem Land hat natürlich jeder mindestens zwei bis 14 Hunde. Wenn da einer zu bellen anfängt und die anderen alle ausnahmslos antworten – na, da ist was geboten! Dann gibt es da noch den Dorf-Stammkuckuck mit seinen zwei Tönen. Noch schlimmer der Uhu, der irgendwo in den Bäumen sitzt und ich dann senkrecht im Bett. Dieser eine durchdringende dumpfe Ton dieses Vogels ist Folter.
Mein Fazit: Es gibt Zeiten für die Stadt und es gibt Zeiten fürs Land. Während des Studiums mitten im Zentrum einer größeren Stadt zu wohnen, zu Fuß zur Uni und zu den Kleinkunstbühnen zu gelangen – etwas Schöneres gibt es fast gar nicht in jungen Jahren. Und im Alter? Landleben auf einer Finca, auch nur vier Kilometer entfernt vom Dorf, macht einsamer. Zudem braucht man viel zu oft das Auto für Besorgungen. Ich liebäugele eines Tages mit Cádiz oder Valencia und der Möglichkeit, auch wieder alles zu Fuß zu erreichen: die Tapasbar, den Zeitungskiosk, den Supermarkt, die Friseuse. Und überall einen ausführlichen Schwatz zu halten.
Gabriele Hefele ist Autorin von „... oder man zieht aufs Land“.