Lammfromme Weihnacht
Die Weihnachtsgans der Spanier ist das Lamm: Traditionen und ein Rezept mit weihnachtlichem Gusto
mar. Wer bei „den Franzosen“vom Carrefour oder Al Campo (Auchan) in Spanien nach einer Weihnachtsgans fragt, wird vom Fachverkäufer mitunter schamlos zu einer Barbarie-Entenbrust geführt und muss sich dann mit Putenkeulen, den Daunen der Bettenabteilung und einer Foie gras sein Zombie-Tier selbst basteln. Bei den deutschen „Gesandten“, Lidl oder Aldi, bricht der Email-Kundendienst bei einer dementsprechenden Anfrage in Spanien zusammen. Mehr als „das Produkt führen wir nicht“, kommt nicht.
Der Marktfleischer meines Vertrauens in Alicante hat mir einmal mit großem Aufwand eine Biogans organisiert, die dann aber älter war als er selbst und noch heute auf ihren Garpunkt wartet. Die Spanier essen zwar gern Gänseleber, exportieren das Tier drumherum aber eher, als dass sie es verspeisen. Gans hat auf der Iberischen Halbinsel schlicht keine Tradition, nicht einmal zu Weihnachten. Einige Ausnahmen gibt es in der Sierra Morena im Norden Andalusiens und in Galicien, rund um Pontevedra.
Die Weihnachtsgans der Spanier ist das Lamm. An dieses wollen wir uns heute halten. Die Zuchtzyklen in Spanien beschränken sich nicht auf die Osterlämmer, die genügsamen Tiere werden rund um das Jahr gezüchtet – allein schon wegen der Milch für die Käse nach Manchego-Art. Die Lämmer vereinen die Küchentraditionen aller großen Kulturen, die Spanien prägten. Eigentlich müsste Spaniens Wappentier ein Lamm sein. Die Römer verspeisten sie mit Lust, den sefardí, den jüdischen Spaniern, waren sie kosher, den Mauren halal und die Christen nahmen sich alsbald auch der Innereien und sonstigen „Abfälle“an.
Der baltische Österreicher Hermann Graf Keyserling, angeblich Philosoph, beschrieb noch Anfang des 20. Jahrhunderts während einer Spanienreise, dass man mit dem Überqueren der Pyrenäen und dem Eintritt nach Spanien eigentlich Europa verlässt und Afrika betritt. Er machte das an den Wüstenlandschaften, der maurischen Ornamentik Andalusiens, den Temperaturen,
den Palmen, der Korruption, vor allem aber an der Musik (Flamenco), Kleidung und Gewohnheiten (Siesta) der Menschen sowie der Präsenz der Hammel bei den Fleischern fest. Diese schwätzenden „Bildungsreisenden“mit ihrem überlegenen Kolonialblick durch die mitteleuropäische Brille waren damals eine echte Landplage und sind bis heute nicht ganz ausgestorben.
Nun, bei der Siesta und beim Lamm immerhin behielt Keyserling Recht. Außer in Frankreich mit seiner jüngeren Maghreb-Vergangenheit findet man in keinem europäischen Supermarkt oder beim Fleischer so selbstverständlich viel Lamm wie in Spanien.
Doch auch hierzulande geht der Lammfleischkonsum zurück, laut Landwirtschaftsministerium sank er binnen nur zehn Jahren dramatisch um fast 40 Prozent. Nur noch jeder fünfte spanische Haushalt konsumiere Lamm mindestens einmal pro Monat. Die wachsende Eile im Lebensrhythmus raubt Zeit und Nerven der Eltern, Industrie und das Fast Food verderben den Geschmack der Jugend.
Schäfer, Händler und Köche halten dagegen, fürchten das Aussterben
von Rassen, einen Wandel der Landschaften, Kulturverlust. Die neuseeländische Konkurrenz, die ganzjährig tiefgekühlte Einheitsware liefert, drückt zudem auf das Geschäft. Gastro-Events in Spanien widmen sich daher wieder traditionellen wie innovativen Rezepten, zugeschnitten auf lokale Rassen, um Kunden für Lammfleisch zu begeistern. Kochbücher werden gefördert, Bio-Initiativen kämpfen um den Ruf der Zucht.
Darin, dass Lämmer Schafskinder sind, die zum Zwecke unserer Gaumenfreuden von ihren Eltern getrennt und getötet werden, sehen immer mehr Menschen heute ein ethisches Problem. Vegetariern mag man das noch abnehmen, wer aber sonst die Lämmer bedauert, während er sorglos ein Kalbsschnitzel oder überhaupt Fleisch verspeist, möge auf immer schweigen und mit der Schuld leben.
Als Lamm (cordero) wird in
Eigentlich müsste Spaniens Wappentier ein Lamm sein
Spanien grob alles zwischen vier Monaten und einem Jahr bezeichnet, als Milchlamm (lechal) die Tiere von bis zu eineinhalb Monaten Alter, die noch kein Grünfutter, also nur Muttermilich (leche = Milch) verspeist haben. Zwischen den beiden liegt noch das recental oder ternasco, das sich in Aragón sogar einen eigenen Herkunftsschutz erarbeitet hat und unter Kennern als beste Wahl gilt, weil es die Zartheit des lechal mit der fleischigen Deftigkeit des cordero verbindet, ohne tranig zu schmecken.
Zarajo, der Touristenschreck
Mag auch die Lammkeule (man unterscheidet paletilla, das Vorderbein, und pierna, die Hinterkeule) aus dem Ofen zu Ostern wie zur spanischen Weihnacht, meist am ersten Weihnachtsfeiertag, der Klassiker sein und Lammkoteletts – am besten im Ganzen (spanisch: costillar, also die ganze Rippe) gebunden, auf dem Grill markiert und im Ofen sanft gezogen – der Renner in Restaurants, lohnt es, die Vielfalt des Lammfleisches in der Küche nicht aussterben zu lassen: Sei es als hauchfeiner Lammschinken, als Kebab oder kosakisches Schaschlik am Schwert mit Zwiebeln und Gemüsen, als rotweinseliges Confit oder Ragout mit einer breiten Pasta, als Füllung für Teigtaschen, als Lammwürstel auf dem Grill, als indisches oder thailändisches Curry, orientalischer Couscous oder kaukasischer Lammeintopf mit frischem Koriander und Pinienkernen. Echte Gourmets erfreuen sich an geräucherter Lammzunge, die im Gallert der Wange mit in Brandy gesottenem Fenchel zu einer feinen Sülze werden kann.
Eine besondere Spezialität sind Lammdärme – Sie haben richtig gelesen – die, mariniert und um einen Rebstrunk gebunden frittiert oder im Ofen gebacken werden. Als Zarajos (Schnürsenkel) sind sie in und um Cuenca, aber auch in einigen Vierteln von Madrid eine beliebte Tapa und werden manchmal auch als Eintopf mit Schnecken serviert oder zum Erschrecken von Touristen verwendet.
Lammhals und -kopf gelten in der Tradition von Al-Ándalus – und so noch heute in Nordafrika – zum Beispiel in Suppen als Spezialität und werden dem Patriarchen zum Auszutzeln vorbehalten – Zunge, Wange und Gehirn inklusive. Den Lammeintopf mit grünen Bohnen kennt man womöglich auch in Deutschland, in Spanien kocht man den Eintopf Caldereta cordero manchego, mit Brandy und ordentlich Knoblauch, ohne den es in der Mancha kein Rezept zu geben scheint. Eine Variante ist Cordero en chilindrón, eine Spezialität in Aragón, Navarra und La
Rioja, wo der passende Wein praktisch mit den Lämmern zusammen aufwächst.
Die Suppenbasis für den chilindrón sind Lammknochen. Mit Tomate (anfechtbar) und Gemüsen, ausgelassener Chorizo-Wurst und Paprika, Zitronenschale und Knoblauch wird dann eine Art sofrito produziert, auf dem Lammstücke gegart werden – mit Safran abgeschmeckt und langsam fertig gezogen. Kurz vor Ende gibt man Kartoffeln dazu. Es ist in diesen Regionen traditionell eine Festspeise zu den Romerías, den Wallfahrten, und wird, wie alle gute Küche, mit vielen Freunden gemeinsam gekocht und verspeist. Hierzu eignen sich übrigens ganz wunderbar die großen Paella-Pfannen.
Weihnachtliche Lammkeule
Unsere spanische „Weihnachtsgans“soll aber – besonders leserfreundlich – das wohl einfachste und zugleich variabelste Lammgericht sein, die Lammkeule. Das traditionelle Rezept, das es so nicht gibt, weil jede Region, jedes Tal und Dorf sein eigenes Rezept hat, haben wir etwas spanisch verweihnachtlicht und mehrfach ausprobiert: Es funktioniert.
Wir entscheiden uns für eine pierna, also das Hinterbein, die am einfachsten zu haben ist und für rund vier Personen ausreicht. Ob beim Metzger oder im Supermarkt: Achten Sie darauf, dass das Fett weiß ist, neigt es ins Gelbliche, denn ist das Tier bereits älter, das Fett schmeckt dann schnell tranig. Gourmands mögen das, die Mehrheit nicht.
Zutaten: Lammkeule, Rotwein (vino tinto), Knoblauch (ajo), frischer Rosmarin (romero), Thymian (tomillo), Lorbeerblätter (laurel), Schale von 2 bis 3 süßen BioOrangen und eine Bitterorange (naranja amarga, alternativ englische Orangenmarmelade), spanischer Brandy (Veterano, Carlos I, Cardenal Mendoza o.ä.), Orangenlikör (Gran Manier, Cointreau oder spanische Marken), rohe, geschälte Mandeln, Honig, Kartoffeln, Karotten, Stangensellerie (apio), weiße Zwiebel, Salz, Pfeffer, Olivenöl, Butter.
Vorbereitung: Am Tag zuvor bereiten wir eine Beize zu. In halb und halb Olivenöl und Butter zerschmelzen wir die kleingeschnittenen Orangenstückchen sowie den Orangenabrieb mit etwas Honig vorsichtig in einer Pfanne zu einer Art Marmelade, hinzu kommen: 2-3 Zweige sehr klein gehackter Rosmarin, Thymian, etwa 4-5 zerdrückte Knoblauchzehen, etwas Salz und Pfeffer. Ist das Ganze nach rund 15 Minuten lackartig einreduziert, wird mit Orangenlikör und Brandy abgelöscht und wieder einreduziert.
Mit der noch lauwarmen Beize massieren wir die Lammkeule, die nur von überstehendem Fett befreit wird, fest und geduldig und lagern sie, am besten fest in Alufolie eingewickelt, an einem kühlen Ort mindestens über Nacht.
Sollte Ihnen die Marinade etwas zu süß erscheinen: Keine Sorge. Die Derbheit des Lammsaftes und der Zauber der Physik gleichen am Ende alles wieder aus.
Zubereitung: Am nächsten
Tag kommt die Lammkeule in einen leicht gefetteten großen Bräter, die Marinade, die nicht am Lamm haften bleibt, heben wir auf. Der Ofen wird auf 120 Grad vorgeheizt und die Keule kommt hinein. Wir garen die Keule sozusagen umgekehrt. Also nicht scharf anbraten und dann ziehen lassen, sondern zuerst sanft angehen, damit sich innen das Fett und der Knochen aktivieren, um sie dann ganz am Ende knusprig zu machen.
Wir haben jetzt 30 Minuten Zeit und öffnen daher den Rotwein, den wir aber bei diesem Rezept gar nicht zum Kochen verwenden, sondern trinken und so etwas Heiterkeit in die Küche bringen.
In die Schüssel mit der RestMarinade schnippeln wir im Verhältnis 2:1 Karotten- und Kartoffelwürfel sowie zwei Stängelchen Sellerie, die Zwiebel sowie zwei weitere Knoblauchzehen. Leicht salzen und pfeffern und gründlich mit dem Rest der Marinade vermischen. Das Ganze geben wir nun zur Lammkeule (ringsherum, nicht obenauf), die Temperatur wird auf 150-160 Grad hochgestellt und 30-40 Minuten weitergegart, wobei wir alle zehn Minuten das Bratensaft-Marinadengemisch über die Keule gießen.
In der Zwischenzeit rösten wir sachte die Mandeln in einer Pfanne ohne Fett an, bis sie leicht goldbraun werden, nach Laune kann man am Ende nochmals etwas Brandy und Honig hinzugeben und ganz klein geschnittene Orangenschale mit hineintun. Nach rund 60 Minuten Gesamtgarzeit (variiert mit der Größe der
Keule) stellen wir den Ofen auf 220 Grad Oberhitze ein und beobachten, wie sich relativ schnell eine knusprige Hülle auf der Lammkeule bildet, die sich wegen des darunter brodelnden Fetts fast wie ein Soufflée anhebt. Passt die Bräunung, drehen wir ab und lassen die Keule – nicht abgedeckt und bei offener Ofentür – ziehen.
Zum Servieren: Der Purist serviert den Bräter, so wie er ist. Es spricht aber wenig dagegen, die Lammkeulen auf einem Brett anzurichten, die Beilagen in dekorative Schüsselchen zu füllen, mit Kräutern zu bestreuen und die Sauce aus dem Bräter abzugießen und dann entweder die festen Bestandteile herauszufiltern oder mit dem Pürierstab einzumixen, was eine schöne Bindung bringt. Ist die Sauce zu dünn, kann man sie einreduzieren, mit Butter aufmontieren oder eine rohe Kartoffel ganz fein hineinreiben.
Am Ende streuen wir über Keule und Sauce geröstete Mandeln und rammen einen Rosmarinzweig als Flagge unseres Küchentriumphes hinein. Frohe Weihnachten!
Weinempfehlung: Das Lamm blökt natürlich geradezu nach einem Rioja oder einem Ribera del Duero. In valencianischen Gefilden bieten sich auch regionale Gewächse wie der uralte Monastrell oder der lange verkannte Bobál an.
Unser Lammrezept erlaubt aber sogar auch einen kräftigen Weißwein mit einer leichten Süße, wie einen Sauternes oder einen (eher trockenen) Moscatel.