Devotion und Spieltrieb
Die große Welt im Kleinen: Im Krippen-Museum in Mollina bei Málaga geht es nicht nur um Weihnachten
Mollina – mar. Ob etwas „das Größte der Welt“ist, hängt nicht selten davon ab, wie groß die Welt desjenigen ist, der es behauptet. Dem Krippenmuseum in Mollina, Provinz Málaga, wird dieser Superlativ umgehängt, für das Erlebnis vor Ort ist er irrelevant. Jede der rund 100 hier ausgestellten Krippen und Schaukästen sind eine Landschaft und eine Ideenwelt für sich, ein Nano-Kosmos, der in der Hand des Erschaffers oder im Auge des Betrachters natürlich der „größte der Welt“sein kann.
In diesen Miniwelten wird nicht nur die Jesus-Geschichte von der Geburt, die wir Weihnachten feiern, bis zum Leidensweg der Semana Santa nachgebildet, überhöht, verkitscht, vermenschelt, sondern der Himmel wird auf die Erde geholt, in fassbare Dimensionen gewerkelt, in einer Mischung aus spielerischer Freude, frommer Devotion, Folklorismus und bastlerischer Besessenheit.
Ja, die Krippenkunst, ob nun wirklich Kunst oder eher Kunsthandwerk oder eine spirituell erweiterte Modelleisenbahn, erfüllt das uralte Sehnen des Menschen nach Welterklärung und Selbstdarstellung. Und das ist ein Heidenspaß für Alt und Jung, Imagination und Spieltrieb zu vereinen, dem schönsten, weil vordergründig unnützesten Instinkt, den wir haben.
Von Málaga nach Neapel
In Mollina, einem charmanten weißen Dorf in den Montes de Málaga, das ohnehin schon einen Besuch wert ist, es liegt unweit von Antequera, leben sie ihren Spieltrieb mit betonter Ernsthaftigkeit aus. In sieben Sälen, auf über 5.000 Quadratmetern in einem Neubau am Ortsrand gibt es gigantische Krippen-Installationen, aber auch kleinere Diaramas, dazu tausende Einzelfiguren, Hinweise auf die Erschaffer, die Stars dieser sehr speziellen Szene. Die Krippe heißt auf Spanisch belén, Bethlehem. Doch die Zeit- und Weltenreisen führen uns nicht nur in die Jesus-Geburtsstation, sondern auch in die dörfliche Welt Andalusiens, zu der es draußen noch ein Freilichtmuseum gibt.
Der Besucher reist aber auch nach Neapel, ins alten Rom, nach Bethlehem sowieso und in die Kommandozentrale der Sternenflotte. Phantasie- und heile Welten, mal
hyperrealistisch, mal fantastisch, mal naiv, mal absurd, mal kitschigfrömmelnd. Mal lohnt es sich, die Landschaft als Ganzes zu bestaunen, mal sollte der Besucher sich in die Details einzelner Figuren vertiefen, die fast lebendig wirken können.
Dazwischen Überraschendes, eine vom Bürgerkrieg verheerte Straße taucht als Mahnung auf, bevor wir wieder in pastorale Szenen tauchen oder plötzlich Ex-Papst Ratzinger und Papst Franziskus Hand in Hand neben dem frischgeborenen Jesus stehen. Jeder kann sich seine Welt schaffen, einbilden oder verhunzen wie er will oder hier in Mollina einfach eine aussuchen, darüber staunen, schmunzeln – aber „bitte nicht berühren“.
Eine volkstümliche Krippe von gigantischen 25 Metern Länge begrüßt uns in Saal eins, die die acht andalusischen Provinzen nachstellt, der Circo romano von Cartagena erscheint im nächsten Saal, als wäre
er gerade eingeweiht worden. Dann ein traditioneller Nachbau des Heiligen Berges, der Auferstehung, dazwischen eine Barock-Krippe, mehr schon ein goldschimmernder Altar des Neapolitaners Antonio Pigozzi, in dem die Figuren auftreten wie in einer Oper. Mein Gott, natürlich, die Italiener!
Ein Saal wird frommen Murcianern, ein anderer katalanischen Krippenstilen gewidmet, es gibt monumentale wie feinsinnige Krippen aus Málaga und Bilbao, solche voller Pathos, andere mit Augenzwinkern, fast alle mit einem gehörigen Maß nostalgischer Verklärung.
Ein ganzes Leben haben Antonio Díaz und Ana Caballero die Stücke bei ihren vielen Reisen zusammengetragen
und nach ihrer eigenen Lebensreise vor fünf Jahren in ihrem 5.000-Seelen-Heimatdorf das Museum in Form einer Familienstiftung eröffnet.
Alicante, Murcia, Andalusien sind die Zentren des „belenismo“, der Krippenbewegung Spaniens, nicht zufällig sind es auch die gleichen Gegenden, die zur Semana Santa am dicksten auf-, wenn sie ihre Heiligen um die Häuser tragen. Zusammen mit Neapel und Sizilien, dem „spanischen Italien“. Der Katholizismus hier wie dort ist so tief verwurzelt, dass er nicht mal mehr zwangsläufig religiös sein muss, längst Folklore wurde. Die Wiege der Krippen als künstlerisch gestaltete Schaukästen mit Hang zum dekorativen Protz steht in Neapel.
Angeblich hat eine Prinzessin aus Sachsen sie Mitte des 18. Jahrhunderts von dort nach Spanien gebracht. Maria Amalia von Wettin nämlich, die Gemahlin von König
Carlos III., sie war an dessen Seite 20 Jahre Königin von Neapel, bevor er König von Spanien wurde und sie ihm nach Madrid folgte, um hier nur ein paar Monate später an der Tuberkulose zu sterben.
Sächsische Weihnachtskönigin
Auch ihrem heimatlichen Sachsen soll sie die Krippen mitgebracht haben. In beiden Fällen dürfte es sich um die typische geschichtsklitternde Verklärung durch Hofschranzen handeln. Möglich, dass sie in ihren Schlössern Krippen aus Neapel aufstellen ließ und die Hofdamen das entzückt übernahmen. Im Volke, in Sachsen wie in Spanien, dürfte diese Tradition aber bereits viel früher angekommen sein. Im Erzgebirge über italienische Einwanderer zur Zeit des Silberrauschs im 15. und 16. Jahrhundert und in Spanien im steten Austausch über das Mittelmeer, das die spanisch regierten Territorien Neapel, Sizilien mit der spanischen Levante, eben Valencia, Alicante, Cartagena und natürlich Andalusien verband, Matrosen, Handwerker, Glückssucher siedelten sich hier und dort an und lebten ihre Traditionen.
Wenn ein römisches Kind im 1. Jahrhundert mit geschnitzten Figuren eine Art Puppenstube baute und darin Zeus und Hera und deren Kinder auftauchten, war das dann nicht auch schon eine Krippe? Oder doch nur eine Puppenstube? Dass die Krippe nicht exklusiver Flohzirkus der Katholiken ist, das belegt sogar das Museum in Mollina.
Und vergessen wir nicht die sozialen Aspekte der Krippentradition, hier wie dort: Für nicht wenige Figurenhersteller und „Männlmacher“wurden Krippen und anderer Weihnachtsschmuck wichtiger Zuverdienst, als das Silber ausging, Marmor-Bergwerke schlossen, der Seehandel einbrach, die Ernte verdarb. Aber die Krippen bringen auch Tröstliches in arme Hütten, geben Traditionen weiter, erzählen Geschichten und schaffen wärmende Gemeinsamkeit. Vor allem aber machen sie kleinen wie großen Kindern eine Freude. Was könnte weihnachtlicher sein?
Ein Heidenspaß: Krippen holen den Himmel spielerisch auf die Erde
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