Eklektizismus an der Ziegelfabrik
Statt Heiligenstatuen verehren die Bewohner von Santa Inés Schornsteine, ihre Feria feiern sie maurisch und im Samba-Takt
Málaga – mar. Es ist ein eigenartiges Fleckchen, diese Colonia de Santa Inés, die am nordwestlichen Stadtrand Málagas und dessen einziger Lagune, der Laguna de la Barrera, gelegen ist. Der Eingang zu dem Barrio wird durch ein aufwendig im andalusischen Regionalismus-Stil mit MudéjarEinschlag gehaltenes Portal geziert, als ginge man auf ein Feria-Gelände oder in einen Themenpark.
Kacheln für Sevilla
Und beides stimmt auch irgendwie. 2.000 Kerzen, 40 Aktivitäten und mittendrin ein Zoco árabe, einen maurisch angehauchten Marktplatz, installieren die gerade paar hundert Bewohner der „Kolonie“, um vom 6. bis 8. Oktober ihre Fiesta del Barrio, ihr Stadtteilfest zu feiern. „Träume der Kolonisten“ist es überschrieben und es schwingt viel Nostalgie darin, Malagueños der alten Schule versichern, dass hier die beste Party der Stadt steigt.
Die Kolonie entstand in den 1920er Jahren rund um eine große Ziegelfabrik aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die bekam damals einen neuen Eigentümer, Modesto Escobar Acosta, der den Laden der alteingesessenen Familie Viana-Cárdenas abkaufte und bald expandierte. Er machte nun auch Dachziegeln, Marmor und Zierkacheln und war der Idee des „aufgeklärten Urbanismus“verbunden, der Arbeitsplatz und würdige Wohnbedingungen verknüpfen wollte. Soweit wie das Bauhaus ging er freilich nicht, vielmehr steckte vor allem auch das Kalkül dahinter, mit dem Bau einer „Stadt“um die Fabriken, die Familien an sich zu binden, das reine Arbeitsverhältnis um praktische und emotionale Abhängigkeiten zu erweitern, zum beiderseitigen Vorteil. Aber natürlich mit dem längeren Wurstende für den Boss. Kinderarbeit war damals fast normal, auch noch in den 1950er Jahren und für die Familien ein „Segen“.
Mit der Lagune und den Montes, den Hügeln nebenan, einer Gemeinschaftsküche, Spielplätzen, Schule und Altersheim, sogar einer Krankenstation und Bibliothek, hatten die Bewohner alles, was sie brauchten und viel mehr als die meisten Arbeiter ihrer Zeit im nahen Málaga, die Kolonie lag damals noch außerhalb der Stadt.
Die Fábrica de Ladrillos Cerámica Santa Inés arbeitete früh mit Dampfmaschinen und Fließbandtechnik und wurde so erfolgreich, dass die Zahl der Arbeiter bald die 200 überstieg und Escobar sogar Arbeiter aus China holte. Neben 20.000 Ziegeln täglich, stießen die Fabriken Zierbrunnen, Treppen, Marmorplatten, Mosaike und Azulejos aller Art aus, 1929 schmückten tausende davon die neuen Bauten
der Weltausstellung in Sevilla.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Ziegelfabrik just in den 1990er Jahren, als der Bauwahn in Spanien seinen Höhepunkt erreichte, Pleite ging und allmählich verfiel beziehungsweise umgewidmet oder abgetragen wurde. Doch mit dem Billigbeton und Trockenbauwänden aus Massenproduktion konnte Santa Inés nicht mehr mithalten.
Heilige Kubanerin
Benannt ist die Kolonie, in die mittlerweile Neubauten ohne Ziegel gestellt wurden, nach der kubanischen Frau des Fabrikherren, ob sie eine Heilige war wissen wir nicht, denn statt Heiligenfiguren verehren die Kolonisten hier alte Schornsteine und Öfen, die unter Denkmalschutz gestellt wurden.
Die Fiesta spiegelt den Eklektizismus der Geschichte der Kolonie: Hier gibt es täglich ab 18 Uhr neben viel Musik und Tanz, auch aus Inés‘ Heimat Kuba, dazu brasilianische Samba-Trommler, Feuerwerk, Kindertheater, Barbecue, Umzüge mit Kapellen und lustigen Figuren, dann den maurischen Marktplatz samt Bauchtanz und Musik. Im Zentrum stehen aber passenderweise Keramikwerkstätten, bei denen Jung und Alt selbst Hand anlegen dürfen.
Der Eigentümer baute in den 1920ern eine Stadt um die Fabrik, um Arbeitskräfte auch emotional zu binden