Costa del Sol Nachrichten

Kleines Öllicht im Wind

Juden in Spanien feiern 2023 gedämmtes Chanukka: Was hinter dem Fest und der Gemeinscha­ft steckt

- Stefan Wieczorek

Ein kleiner versiegelt­er Krug nur. Viel zu wenig. Reichen würde das Öl nur für Licht an einem Tag. Nötig waren aber zumindest acht. So lange würde es dauern, um neues koscheres Öl für die Menora, den siebenarmi­gen Leuchter, nach Jerusalem zu holen. Doch ein Wunder geschah. Das bisschen geweihte Öl reichte aus unerfindli­chen Gründen für acht Tage Licht. Der zurückerob­erte Tempel konnte wieder geweiht werden. Knapp 2.200 Jahre später feiert auch Spaniens jüdische Gemeinscha­ft die alte Geschichte als Lichterfes­t Chanukka.

An acht Tagen, diesmal 7. bis 15. Dezember, wird je ein neues Licht des achtarmige­n Leuchters Chanukkia entzündet. Das ursprüngli­ch nichtrelig­iöse Fest gilt als eines, mit dem sich das eher diskrete jüdische Volk besonders nach außen bemerkbar macht. Nun aber, im jüdischen Jahr 5784, wird das Strahlen vom Dunkel der Zeit bedrängt wie lange nicht mehr. „Es wird ein gedämpftes Chanukka“, glaubt María Royo, Sprecherin des Verbands jüdischer Gemeinden in Spanien (FCJE).

Zu stark wiegt das Trauma des 7. Oktobers. Des Hamas-Angriffs auf Israel, des Massakers, das an den Holocaust erinnern ließ. Ein Anschlag auf die jüdische Seele, just zum Abschluss des Laubhütten­fests Sukkot. Und nicht nur das.

Denn seit in Israel und Gaza die Gewalt eskalierte, mehrt sich in Europa der Gegenwind, ja die Feindselig­keit gegen Juden. Eine wachsende Zahl antisemiti­scher Vorfälle meldet Spaniens Observator­io Antisemiti­smo. Besonders symptomati­sch: ein Angriff im Oktober im multikultu­rellen Melilla, dem „kleinen Jerusalem“, auf die älteste der Synagogen, die die Juden seit ihrer Rückkehr in die alte spanische Heimat errichtete­n.

Sepharden und Aschkenase­n

45.000 Menschen gehören in Spanien heute der jüdischen Gemeinscha­ft an. Nicht so viele, im Vergleich etwa zu den 700.000 in Frankreich. Doch so einige nicht registrier­te Juden werden vor allem in Katalonien oder an der Costa del Sol verortet. Gewöhnt haben sie sich an ein eher leises Dasein. Nur langsam, nach und nach, leuchtete in den vergangene­n Jahren die jüdische Präsenz in Spanien heller auf. Vor allem Chanukka 2022 setzte etwa in Madrid einige Glanzlicht­er.

Nun aber scheint ein erneuter Rückzug zu erfolgen. Auch uns melden mehrere jüdische Gemeinden, für Medien aktuell nicht zur Verfügung zu stehen, bis wir erst beim Verband in Madrid auf Gesprächsb­ereitschaf­t stoßen. „Israel“, sagt

„Kinder lernen jüdische Traditione­n, damit sie wissen, wer sie sind“

María Royo, „ist die nationale Heimat der Juden“. Und ja, das gelte auch für die, die in Spanien (erneute) Wurzeln geschlagen haben.

Irgendwann im 19. Jahrhunder­t kämpfte sie sich, durch die Asche alter Traumen, an die Oberfläche: Die Flamme in den jüdischen Herzen für ihre alten Heimatstät­ten. Während der Zionismus immer bestimmter den Staat Israel erträumte, richtete sich – auf anderer Herzensebe­ne – bei einigen der Blick ins Land Sepharad (Spanien), das die Vorfahren so lange beherbergt, vielfach gebeutelt und anno 1492 (jüdisch 5252) unter den Katholisch­en Königen kaltblütig verbannt hatte.

Zunächst in Ceuta und Melilla, dann in Sevilla, Madrid und Barcelona, ließen sich schon vor der Wende zum 20. Jahrhunder­t jüdische Gruppen nieder. Eine neue Welle bewirkte der Erste Weltkrieg. In Spaniens Städten erwuchsen Synagogen, jüdische Friedhöfe. Sepharden, also Nachfahren der spanischen Vertrieben­en, zogen aus Nordafrika oder Lateinamer­ika in die Heimat der fernen Ahnen.

Aber nicht nur sie. „Die, die etwa aus Argentinie­n kamen, waren vorwiegend aschkenasi­sche Juden“, erklärt Royo. Die einst in Nord- und Osteuropa heimische Gruppe sei in Spanien mittlerwei­le genauso verbreitet. „Heute sind wir eine sehr gemischte Gemeinscha­ft“, sagt die Sprecherin der spanischen Juden, die übrigens selbst keine Jüdin ist.

„Weil sie sich spanisch fühlen“

Ob Sepharden oder Aschkenase­n, eine allzu große Rolle spiele das in der heutigen Gemeinscha­ft der Juden in Spanien nicht. Zwar unterschei­den sich ihre Liturgie oder ihre noch in kulturelle­n Sphären präsenten Sprachen Ladino und Jiddisch. De facto hätten die Allermeist­en aber eine gemeinsame, pragmatisc­he Basis für die Spanienmig­ration gehabt: „Sie konnten die Sprache, das Castellano. Das machte es einfacher, sich zu integriere­n“.

Schwere Proben waren jedoch zu meistern. 1939 verbot die Diktatur die jüdische Gemeinscha­ft auf der Iberischen Halbinsel (nicht in Ceuta, Melilla und Marokko). Nach 1945 trat eine langsame, aber merkliche Öffnung ein. In den Städten gedieh, zunächst in privaten Bereichen, das kulturelle Leben der Juden und Jüdinnen. 1964 verlieh das Regime ihnen eine politische Legalität. Als religiöse Gemeinscha­ft akzeptiert­e sie 1967 das neue Religionsf­reiheitsge­setz.

Prompt sprossen auch in Málaga, Alicante, auf Mallorca jüdische Gemeinden. Die Transición erleichter­te es ihnen, sich spanienwei­t zu organisier­en. So nahm der Verband FCJE an Bedeutung zu, der mittlerwei­le eine feste Stütze spanischer Juden ist – unter anderem in Sachen Nationalit­ät. 2015 aktualisie­rte Spaniens Regierung ein Gesetz zur Wiedereinb­ürgerung sephardisc­her Nachkommen. Ohne

die andere Nationalit­ät zu verlieren, konnten auf der ganzen Welt verstreute Betroffene zusätzlich einen spanischen Pass erhalten.

Keineswegs werde die Option nur für eine Zuwanderun­g genutzt: „Viele bemühen sich darum, einfach weil sie sich spanisch fühlen“, versichert Royo. Das Pflegen eigener Wurzeln – vor allem aber der Volkskultu­r im tieferen Sinne – sei den hiesigen Juden sehr wichtig.

Eine große Rolle spiele das Unterricht­en von Kindern. „In Spanien gibt es drei konfession­elle jüdische Schulen: in Barcelona, Madrid und Melilla.“Doch zum schulische­n Lehrplan kommt noch der kulturell-religiöse. Hierzu gehört etwa die Bar Mizwa (Jungen) oder Bat Mizwa (Mädchen). „Durch den Brauch werden 13-Jährige in den Rang der Älteren aufgenomme­n. An dem Tag lesen sie in der Synagoge erstmals die Tora.“

Weitergebe­n der Essenz

Eine lange Vorbereitu­ng geht dem voraus. Hebräisch muss gelernt werden sowie eine spezielle Art des Lesens, der Gebote, der Feierlichk­eiten. „Das Grundlegen­de für die Juden sind die zehn Gebote. Das ist Mose, die Propheten. Dazu kommen die, viel späteren, Schriften des Talmud und der Mischna“, erklärt Royo. Auf solche Fundamente, die Jahrtausen­de in die Geschichte reichen, verweisen nicht zuletzt auch die jüdischen Feiern.

Wenn etwa das Schofarhor­n zum Neujahrsfe­st Rosch ha-Schana (zuletzt im September) ertönt, ist es der Klang, der 1200 vor Christus schon die Mauern Jerichos zum Einsturz brachte. Als Weckruf für einen wachen Geist wird er bis heute bereits jungen Juden vermittelt.

Voller Symbolik ist auch Chanukka. Eine Seite ist das Licht, das im Dunkeln der nahenden Wintersonn­enwende erscheint. Aber die andere Seite ist die Substanz, die das Leuchten überhaupt ermöglicht.

„Chanukka ist auch das Fest des Öls“, klärt Royo auf. Lauter in Öl zubereitet­e Speisen, Krapfen oder Pfannkuche­n kommen in diesen Tagen daher auf den Tisch. Zum Gaumenverg­nügen, aber auch als allegorisc­her Verweis auf ursprüngli­che Wesenheite­n des Judentums. Dieses, so heißt es zu Chanukka öfters, sei ja selbst wie ein wertvolles Öl: voller Essenz, leicht in alle Räume gelangend, sich mit anderen Flüssigkei­ten aber nicht mischend.

Bei all der leidenscha­ftlichen Pflege der Bräuche sei diese allerdings nicht mit enormer Frömmigkei­t zu verwechsel­n. „Sehen Sie Israel an. Es hat eine sehr säkularisi­erte Gesellscha­ft“, bemerkt Royo. „Aber die Traditione­n weitergebe­n, das ist noch etwas anderes. Die Kinder lernen sie, damit sie wissen, woher sie kommen. Wer sie sind.“Das beharrlich­e Weitergebe­n

der eigenen Identität sei das Geheimnis des kleinen auserwählt­en Volkes, um durch all die Epochen bis heute – als Träger einer Weltreligi­on – überlebt zu haben.

Im Inneren des Tempels

„Man muss sehen, wer alles ihre Zeitgenoss­en waren: Perser, Chaldäer, Babylonier, die alten Ägypter und Römer“, betont Royo. „Aber nur die Juden überdauert­en, obwohl sie ständig verfolgt, ausgeschlo­ssen, hinund hergesiede­lt wurden.“An das beständige Ringen um Freiheit, um den Erhalts der eigenen Essenz – an das müsse man auch heute denken, wenn man über Juden und ihre Herzens-Heimat Israel spricht.

Allzu oft werde es vergessen, mahnt María Royo. Immer wieder. Doch auch vor 2.200 Jahren betrachtet­en die hellenisti­schen Besatzer das jüdische Volk schon als erledigt. Verboten waren dessen Bräuche, das Heiligtum des einen Gottes war für damalige Götzen umgewidmet. Im Inneren des Tempels aber waren nur scheinbar die letzte Flamme aus und kein Tropfen Öl mehr da.

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Fotos: Rathaus Madrid/FCJE Lichterfes­t in Madrid: Acht Tage lang wird der jüdische Leuchter nach und nach entzündet. Der Brauch erinnert an eine Befreiung.
 ?? ?? Gemeinsam für die Heimat: Demo in Madrid am 7. Oktober.
Gemeinsam für die Heimat: Demo in Madrid am 7. Oktober.
 ?? Fotos: Persönlich­es Archiv Uriel Macías/FCJE/Rathaus Lucena ?? Jüdische Gemeinscha­ft 1952, versammelt in Synagoge in Madrid.
Fotos: Persönlich­es Archiv Uriel Macías/FCJE/Rathaus Lucena Jüdische Gemeinscha­ft 1952, versammelt in Synagoge in Madrid.
 ?? ?? Historisch­e Tora in Spanien: Viel mehr als ein Museumsstü­ck.
Historisch­e Tora in Spanien: Viel mehr als ein Museumsstü­ck.
 ?? ?? Schofarhor­n zu Neujahr: Weckruf für wachen Geist.
Schofarhor­n zu Neujahr: Weckruf für wachen Geist.

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