Weltdorf am Atlantik
Sanlúcar de Barrameda: In Andalusiens wildem Westen bei der roten Herzogin und dem sorglosen Philosophen Manzanilla
Sanlúcar – mar. Die etwas schlampige Leichtlebigkeit Sanlúcars überdeckt die Brisanz seiner Historie. Vielleicht ist es wegen des Manzanillas, dieses wundersam sorglosen Trunks, der dem blassen Wein der Palomino-Traube fast philosophischen Tiefgang eingegärt hat. Manzanilla, das ist dünner Traubensaft, den Zeit, Bakterien, Mikroklima und Cleverness in ein goldiges Elixier verwandeln, das zwar zur Sherry-Familie gehört, aber ganz ein Andalusier geblieben ist, fast nur in Spanien verkauft wird, während der JerezSherry ein Exportschlager wurde. Der Manzanilla, der nur so heißen darf, wenn er aus Sanlúcar kommt, wird getrunken wie ein venetianischer Prosecco, einfach so, zum lustig sein, ohne großen Anlass. Er schmeckt auch nirgendwo besser als hier, wo das Glas stetig von einer frischen Atlantikbrise beschlagen ist und der Gast den Trunk mit einer Spur Salz auf den Lippen genießt, wie einen von der Natur gebrauten Margarita.
Gehen Sie Ihren Besuch in Sanlúcar de Barrameda richtig an, haben Sie spätestens gegen Mittag schon leicht einen sitzen. Dann enden erste Führungen samt Verkostung durch die Bodegas, genehmigen sich Einheimische in einer der zahllosen Tascas, Tabernas und Tabancos ihr zweites Frühstück, ein paar Langostinos hier, ein Schwätzchen in der Markthalle dort, in der man sich die Meeresfrüchte stückweise pflücken und am nächsten Stand nach gusto zubereiten lässt. Dazu einen Manzanilla, dessen Name mal grünen Äpfelchen, mal der Kamille, mal einem Ort in der Nähe entsprungen sei und der uns bald so leicht von den Lippen geht, wie er allen die Kehle hinunterrinnt.
Safari mit Gitana
Während in der Oberstadt die Familiendynastie der Barbadillos ganze Bodega-Straßen besitzt, die sich um das Castillo de Santiago und den Palacio der herzöglichen Platzhirsche der Medina Sidonia schlängeln, haben sich in der unteren Altstadt die Bodegas ganz ins Straßen- und Plätzegewirr integriert. Gleich neben der Plaza del Cabildo, eigentlich ein Ensemble von drei engen Plätzchen rund um das alte Rathaus (consistorio) mit vielen niedlichen Häuschen, steht die große „Kathedrale“der Zigeunerin. La Gitana ist die bekannteste Manzanilla-Marke und die Bodega Hidalgo, aus der sie stammt, bildet den Anfang der Manzanilla-Allee, auf der die Feria abgehalten wird und die bis zum Strand führt.
In der unteren Altstadt bietet sich eine Bodega-Safari an, die sogar ohne Anmeldungen möglich ist, in die Bodegas Argüeso, Elías González, Manzanilla Gabriela, La Guita oder informellere Bodegas wie „La Vinagre“, in der es aber bei weitem nicht nur Essig gibt, sondern wo man frisch gezapften Manzanilla und Hausmannskost direkt zwischen den „Soleras“, den Fasspyramiden genießt. Mein Geheimtipp ist die Bodega Juan Piñero, ein kleiner Familienbetrieb an der Calle Trasbolsa, dort wird der Manzanilla „Maruja“kultiviert, ein göttliches Tröpfchen als „pasado en rama“. Der Unterschied zum „Fino Seco“aus Jerez, der aus den gleichen Zutaten auf die gleiche Art gemacht wird, kommt von der Brise des Atlantik.
Schicksal Atlantik
Der Atlantik machte für ganz Sanlúcar stets den Unterschied, er prägte, genauso wie die Lage an der Mündung des Guadalquivir, nicht nur das Schicksal der Stadt, er machte sie überhaupt möglich. Wir stehen jetzt in der Oberstadt – die nur ein paar Stufen Aufstieg erfordert – und schauen von der fast kitschig mittelalterlichen Burg der Herzöge von Medina Sidonia hinüber zum Meer und zur Flussmündung. Am anderen Ufer bildet der Nationalpark Doñana, früher das Jagdgebiet der hiesigen Herzöge,
eine Grenze, die Sanlúcar etwas von einer letzten Bastion der Zivilisation gibt, etwas wildwestliches. Ein Vorort heißt zu allem Überfluss auch noch Bonanza, ein Wort, das sowohl Meeresstille wie Wohlstand bedeuten kann. Dort liegen die Boote wild am Strand herum, ist der Fischerhafen installiert und fahren die Fähren hinüber nach Doñana.
Neben einer organisierten Safari durch den Park (CN berichtete), sind zwei Wanderungen zu empfehlen: Nach Bonanza, flussaufwärts immer den Strand entlang bis La Algaida, wo die Sümpfe beginnen. Bei der Rückkehr müssen Sie an der Fährstation neben der alten Eisfabrik in die Casa Bigote einkehren, das Fischlokal schlechthin. Unweit davon: Stiftung und Denkmal für Manolo Sanlúcar, den großen Flamencogitarristen.
Die andere Wanderung führt uns die endlosen Sandstrände gen Atlantik, bis man über eine Holzbrücke durch die wilden Dünen von La Jara hinauf in ein Villenviertel gelangt. Von dort folgen wir einem rotgetünchten Fahrradweg, der uns bald an die wirklich