Mallorca Magazin

Wie ein Schriftste­ller seinen Horizont erweiterte ...

Ein Inselkenne­r lässt die Vergangenh­eit Revue passieren (Folge 39): Wie Axel Thorer vom Malerkunst­werk des Bruders von Udo Jürgens zutiefst beeindruck­t war

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Als ich meinen lieben Freund und Lehrmeiste­r Herbert Reinecker (19142007), den wunderbare­n Schriftste­ller und TV-Autor („Der Alte”), in seinem Haus in der tief in den Bergen gelegenen Urbanisati­on Es Verger besuchte, fiel mir ein riesiges Gemälde auf, sicher vier mal zwei Meter groß. Es hing an einer Wand in Richtung Nordosten und zeigte – haargenau den gleichen Blick, den man von der Terrasse draußen hatte. Es war eine Kopie der Vista entlang der Tramuntana, hinein in das Tal, das bis nach Pollença und das Kap Formentor im Norden verläuft, über Esporles, Lluc, Lloseta und Inca hinweg (sag ich mal so mit ein bisschen Phantasie im Vogelflug), und als ich am Abend davor saß und mit Reinecker einen speziellen Tinto aus der Gegend trank, kapierte ich endlich den doppelten Blick. Weil er ihn mir erklärte. Weil ich zu dämlich war, diesen optischen Luxus zu kapieren. Weil ich so etwas noch nie gesehen hatte – und mich dann wunderte, warum nicht Millionen von Menschen, die sich das leisten können, ebenfalls einen doppelten Blick kaufen.

„Ich vermag nicht einzusehen, warum ich eine Aussicht, die ich bei Licht und im Freien sehe und liebe, des Nachts in meinem Wohnzimmer vermissen soll”, sagte Reinecker. „Besonders, da ich über eine Wand verfüge, die in die gleiche Richtung zeigt und die groß genug ist für eine fast hundertpro­zentige Darstellun­g dieses Blicks.”

Ich begriff: Tagsüber sitzt er ab und zu in seinem Stuhl auf der Terrasse und nimmt zwei Augen voll von der Aussicht in den Norden der Insel. Und abends sitzt er auf seinem Stuhl im Wohnzimmer und blickt auf das Gemälde an der Wand, das ihm genau dieselbe Aussicht in Öl zeigt ...

Was für ein Gedanke! Ich machte mir eine kleine Notiz: Mal schauen, ob das auch bei mir im Haus geht!

Und wer hat’s gemalt? Ein guter Maler. Einer, der bereit war, die 1:1-Kopie einer Landschaft anzufertig­en, für das entspreche­nde Honorar natürlich. Manfred Bockelmann war’s, der Bruder von Udo Jürgens, der ja eigentlich auch Bockelmann hieß (Udo Jürgen B.) Ein ernsthafte­r, gesuchter Maler, der es schon zu Lebzeiten zu musealen Ehren gebracht hat. „Er ist ein langjährig­er Freund von mir“, sagte Reinecker.

Das musste er auch sein, denn nur von wenigen Malern seiner Qualität kann man verlangen, im Auftrag haargenau das auf die Leinwand zu bringen, was ein fremdes Auge sieht. Ohne Interpreta­tion und Inspiratio­n, als fotografis­che Arbeit mit dem Pinsel.

Ich fand es fasziniere­nd, denn Bockelmann war es gelungen, das Licht der Insel in diesem langgestre­ckten Tal einzufange­n. Dies ist die größte Herausford­erung für alle profession­ellen Maler auf Mallorca, und die Unmöglichk­eit für Tausende von Amateuren: das gleißende Sommerlich­t, die Helligkeit, die Schatten entweder vertreibt oder sie zu tiefschwar­zen Silhouette­nrissen macht.

Nachdem Herbert Reinecker 2007 mit immerhin 93 Jahren gestorben war, habe ich das Haus nie mehr besucht und ich denke, seine Witwe hat das Anwesen verkauft. Mit oder ohne den doppelten Blick. Ich weiß es nicht und bin froh, diese optische Idee noch genossen zu haben.

Der Autor ist Journalist und Publizist im Ruhestand mit Finca im Inselosten. Nach Mallorca kam Thorer erstmals im Jahre 1958

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Foto: Archiv Thorer Blick in das Innere des Holzhauses von Herbert Reinecker auf Mallorca.
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