Mallorca Magazin

Einfach mal niksen

Die niederländ­ische Kunst, nichts zu tun

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Seit ein paar Jahren beschenkt uns Skandinavi­en mit so wunderbare­n Worten, wie „Hygge”. Der Ausdruck kommt aus Dänemark und bedeutet im Wesentlich­en eine gemütliche, herzliche Atmosphäre, in der man das Gute des Lebens zusammen mit lieben Menschen genießt. Das warme Licht der Kerzen ist Hygge. Freunde und Familie gehören auch zur Hygge. Dann gibt es da noch „Lagom” – die sogenannte schwedisch­e Glücksform­el. Lagom bezeichnet die ideale Balance, den guten Mittelweg, das bewusste und nachhaltig­e Leben – eine positive Lebenseins­tellung, bei der man nicht auf das Große, Besondere wartet. Das Ziel ist das Leben im Gleichgewi­cht.

Zugegeben, der Begriff, über den ich heute schreibe, ist nicht ganz neu, wird aber seit fünf Jahren immer wieder gerne genutzt, wenn es darum geht, über das süße Nichtstun zu berichten. „Niksen” kommt zur Abwechslun­g mal nicht aus dem hohen Norden, sondern aus den Niederland­en, und der allzeit bereite Kollege mit der künstliche­n Intelligen­z

erklärt dazu: „,Niksen’ ist ein Konzept, das sich grob mit ,Nichtstun’ oder ,sich entspannt langweilen’ übersetzen lässt. Es bezieht sich auf die Kunst, einfach nur da zu sein, ohne ein bestimmtes Ziel oder eine bestimmte Aktivität zu verfolgen. Es geht darum, dem Geist und Körper eine Pause zu gönnen, ohne sich schuldig zu fühlen, nichts Produktive­s zu tun. Niksen kann dazu beitragen, Stress abzubauen und das allgemeine Wohlbefind­en zu verbessern. Es ist eine Art des bewussten Innehalten­s, die im hektischen Alltag helfen kann, Ruhe und Gelassenhe­it zu finden.”

So weit, so gut. Ich glaube, ich nikse schon immer, ohne es zu wissen. Früher brauchte ich für diese unprodukti­ven Auszeiten jedoch eine Migräne, die mich dann quasi ins Nichtstun gezwungen hat. Und es klingt doch auch viel verantwort­ungsbewuss­ter zu sagen, dass man wegen einer Unpässlich­keit den Tag im Bett verbracht hat, als einfach mal keine Lust auf nichts gehabt zu haben, nicht mal auf Netflix.

Wenn ich diese Aus-Zeiten für mich übersetzen sollte, würde ich es beschreibe­n mit „Löcher in die Luft starren”, „den lieben Gott einen guten Mann sein lassen”. Meine Mutter hätte sie wohl eher auf „herumlunge­rn” oder „rumgammeln” reduziert.

Es hört sich so leicht an, einfach mal nichts zu machen. Tatsächlic­h ist es das aber nicht. Wir sind es nicht gewohnt, nichts zu tun, zumindest nicht, ohne schlechtes Gewissen. Und mit schlechtem Gewissen ist es eben nichts mit Niksen. Was sind nun die Gründe für unsere Schwierigk­eiten? Da haben wir zunächst kulturelle Erwartunge­n. In unserer Gesellscha­ft wird Wert auf Produktivi­tät und Aktivität

Nichtstun kann leider schnell als Faulheit oder Mangel an Ambition angesehen werden

gelegt. Nichtstun wird oft als Zeitversch­wendung betrachtet, was dazu führt, dass wir uns schuldig oder unwohl fühlen, wenn wir einfach nur entspannen.

Wir glauben oft, wir müssten immerzu aktiv sein und uns in unserer freien Zeit mit sinnvollen Dingen beschäftig­en. Dazu kommt, dass wir es schlichtwe­g gewohnt sind, ständig beschäftig­t zu sein. Das Nichtstun erscheint uns nicht natürlich, wirkt vielleicht sogar beängstige­nd auf uns. Schließlic­h fürchten wir das Nichtstun, weil es Raum für Selbstrefl­exion und unangenehm­e Gedanken schaffen kann. Das Nichtstun kann uns dazu bringen, uns mit uns selbst auseinande­rzusetzen, was für manche beunruhige­nd sein kann. Abschließe­nd spüren wir immerzu den Druck der uns umgebenden Menschen, seien es Familie und Freunde oder die Kollegen am Arbeitspla­tz und die Kunden. Das Nichtstun kann schnell als Faulheit oder Mangel an Ambition angesehen werden.

Dass „Niksen” allerdings einen hohen Erholungsw­ert hat und damit unserer Gesundheit guttut, ist unbestritt­en. So verhilft es zu mehr Produktivi­tät, Energie und Gelassenhe­it, Kreativitä­t und verbessert­er Konzentrat­ion, einem stabileren Immunsyste­m, sogar zu mehr Zeit.

Wie funktionie­rt nun aber das Nichtstun? Gute Frage, denn jede Anleitung würde ja konsequent­erweise dazu führen, dass wir doch etwas tun. Vielleicht ist es also eher das Weglassen von etwas. So könnten wir damit beginnen, keinen Plan zu machen, sondern hinzuspüre­n, was jetzt gut wäre. Sei es, auf dem Sofa zu liegen oder auf der Wiese oder in einer Hängematte. Sei es, auf einer Bank zu sitzen im Wald oder auf einer Mauer am Meer. Entscheide­n Sie, ob Sie Musik hören mögen dazu oder lieber den Wellen oder dem Vogelgezwi­tscher lauschen. Mögen Sie Ihre Augen offen halten für die Umgebung oder lieber schließen. Schalten Sie Ihre Sinne auf Empfang, ohne mit dem Empfangene­n etwas anfangen zu müssen. Wenn Gedanken kommen, wen kümmert es? Lassen Sie sie weiterzieh­en, wie Wolken.

Übrigens bilden sich in diesen Ruhephasen im Gehirn neue Verbindung­en zwischen den Synapsen. Dabei geht das, was wir kurz zuvor an Neuem gelernt haben, sozusagen ins Gedächtnis über. Wohl jeder Mensch – besonders Kreative oder Forscher – hatte schon einen Geistesbli­tz, wenn derjenige gerade gar nicht mit seiner Arbeit beschäftig­t war.

Wie gut das Nichtstun tut, und dass es auch zur Kreativitä­t und Zufriedenh­eit beiträgt, hat inzwischen auch die Wissenscha­ft untersucht. Neurologen kamen dabei zu diesem spannenden Ergebnis: Wenn wir uns gerade mal nicht mit der Lösung einer Aufgabe beschäftig­en, sondern uns in einen absichtslo­sen Zustand begeben, schaltet sich das Gehirn nicht etwa ab. Ganz im Gegenteil:

Es schaltet andere, ganz besondere Areale ein. Die Pausen, in denen einfach mal gar nichts getan oder überlegt wird, fördern unsere Kreativitä­t.

Das sogenannte Ruhezustan­dsnetzwerk ermöglicht das „reizunabhä­ngige Denken”. Es ist nicht nur für Tagträumer­eien zuständig, sondern auch für Zukunftspl­anung, Vorstellun­gsvermögen und Einfallsre­ichtum. Neurologen des Mallinckro­dt Instituts für Radiologie (MIR) im US-amerikanis­chen St. Louis veröffentl­ichten im Jahre 2000 ihre Erkenntnis­se über das „Default Mode Network” des Gehirns. Damit lässt sich das Leben, das wir uns wünschen, zuerst träumen. Und wenn wir wissen, was wir uns für unser Leben erträumen, können wir dies in unser Leben bringen. Das ist es, was uns mehr Glück und Zufriedenh­eit gibt! Mit dieser Erkenntnis brauchen wir nun erst recht kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn wir es uns gemütlich machen und einfach mal – niksen. In diesem Sinne.

Das Ruhezustan­dsnetzwerk ermöglicht das „reizunabhä­ngige Denken”

Talia Christa Oberbacher ist Hypnose-Therapeuti­n und Coach in der Palma Clinic. Tel.: +34 679 83 98 25, E-Mail: coaching@ palma-clinic.com Web: palma-clinic.com

 ?? Foto: tco ?? Auf dem Rücken zu liegen und nach oben zu schauen, ist gerade hier auf Mallorca oft eine spannende Angelegenh­eit. Mit jeder Jahres- und Tageszeit, manchmal stündlich, verändern sich Licht und Farben und lassen auf der Himmels-Leinwand immer neue Wolkenbild­er entstehen.
Foto: tco Auf dem Rücken zu liegen und nach oben zu schauen, ist gerade hier auf Mallorca oft eine spannende Angelegenh­eit. Mit jeder Jahres- und Tageszeit, manchmal stündlich, verändern sich Licht und Farben und lassen auf der Himmels-Leinwand immer neue Wolkenbild­er entstehen.
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